Orang Utan – Kein Lebensraum

Orang-Utans sind uns als Menschenaffen besonders ähnlich.
In meiner Zeit in einer Orang-Utan-Rehabilitationsstation durfte ich genau das lernen.  Mittlerweile ist es schon relativ lange her – 2019 reiste ich nach dem Abitur unter anderem durch Malaysia, um dort in einem Orang-Utan-Rehabilitationscamp zu helfen.

Seitdem lässt mich das Thema nicht mehr los: Bilder von gerodeten Regenwäldern rufen mir sofort das Bild der Orang-Utans im Camp vor Augen.

von Kate Becher

TRAURIGE BILDER – VIEL BEDEUTUNG

Das Titelbild mag auf den ersten Blick gruselig wirken: tatsächlich handelt es sich jedoch um einen Orang-Utan, dem nach bestem Gewissen eine Altersresidenz geboten wird, da er wegen zu viel Menschenkontakt nicht mehr ausgewildert werden kann. Dass Aman nun sein Leben in Gefangenschaft verbringen muss liegt an zahlreichen Fehlern, die Menschen zuvor mit dem hochintelligenten Tier gemacht haben.

Aber noch einmal von Anfang an: Meine drei Wochen in Malaysia beginnen mit einer ausführlichen Einführung über das Land, die Tiere und das entsprechende Verhalten. Vieles ist einem als Europäer (zumindest noch im Jahr 2019) unbekannt. Beispielsweise: Die Orang-Utans im Camp dürfen auf keinen Fall angefasst werden. Das ist die oberste Regel. Wieso? Wenn die Tiere zu viel Kontakt mit Menschen haben, dann sinkt deren Chance, wieder in die freie Natur ausgewildert zu werden, auf null. Grund ist, dass die Orang-Utans dann den Respekt vor den Menschen, den diese normalerweise instinktiv haben, verlieren. Domestizierte Tiere freizulassen, führt dazu, dass Orang-Utans Dörfer überfallen, Plantagen lokaler Bauern plündern und als Konsequenz erschossen werden, da das Risiko für die Bevölkerung nicht tragbar ist. Dass dabei weder Mensch noch Tier gewinnt, steht außer Frage.

DIE TIERE VOR UNS SCHÜTZEN

Deswegen betreten wir die Gehege der Tiere, ohne diese anzufassen (auch nicht mal eine Hand durchs Gitter !!!) und schon damals mit Maske über Mund und Nase. Dass Zoonosen, also Krankheiten, die sich von Tieren auf Menschen übertragen und vice versa, ein großes Problem werden können, ist spätestens nach der Covid-Pandemie außer Frage. Besonders groß ist das Risiko der Übertragung bei den besonders nah verwandten Orang-Utans (die Menschenaffen teilen sich etwa 95% ihrer DNA mit dem Menschen) und natürlich den ständig wechselnden freiwilligen Arbeitenden aus der ganzen Welt (auch ich bin eine potentielle Gefahr für die Tiere).

Von den Mitarbeitenden des Rehabilitatsionscamps lerne ich schnell: Wenn man Tiere anfassen kann, dann beabsichtigt die Vereinigung in der Regel nicht, dass diese wieder ausgewildert werden. Auch häufig nicht, wenn Touristenorganisationen von ihren tollen Haltungsbedingungen und Fortpflanzungsprogrammen zum Artenschutz schwärmen. Denn: in Gefangenschaft geborene Tiere (so ist es zumindest bei Orang-Utans) können in der Regel nicht ausgewildert werden und sind so auch keine Hilfe für geringere Bestände in der Natur. Sorry für den Dämpfer, aber der Affe im Urlaub auf der Schulter, Elefanten- und Kamelreiten, genauso wie die Großkatze an der Leine beim „Spaziergang durch die Wüste“ sind nichts anderes als eine Touristenattraktion, bei der die Tiere schamlos für das große Geschäft ausgenutzt werden. Mit Artenschutz hat das wenig zu tun. Ahnungslosen Touristen wird aber gerne die Geschichte des Tierschutzes aufgetischt: „Unsere Elefanten haben ihre Stoßzähne verloren, diese wurden ihnen nicht gewaltsam abgenommen“ – »Na klar« denke ich.

PRIMITIVE AUFGABEN DEUTEN AUF SERIÖSE ORGANISATIONEN HIN

Meine Aufgaben im Camp beinhalten in erster Linie das Reinigen der mit Kot und Futterresten verschmierten Wände. Die Affen machen dies zu ihrer Belustigung, da sie genau wissen, dass wir diese später aufwendig reinigen werden. Dabei beobachteten sie uns gerne.

Das Putzen der Orang-Utan-Gehege empfinde ich nicht als lästige Aufgabe, im Gegenteil: dabei wird mir bewusst, wie intelligent die Tiere sind. Während ich notdürftig mit einem kleinen Schrubber und einem Eimer bewaffnet versuche, jede Ecke des Geheges zu reinigen, beobachten mich die Tiere durch die Gitterstäbe: Erst verfolgen sie ganz still meine Bewegungen und nach einiger Zeit versuchen sie immer wieder meine Aufmerksamkeit zu erregen, indem diese ihre Hände in meine Richtung ausstrecken oder probieren, das Gitter zu entfernen, das uns trennt. Was vielleicht wie ein liebenswürdiges Verhalten der Menschenaffen wirkt, ist in Wirklichkeit das Naturell eines unausgelasteten Tieres, welches nicht artgerecht, in der Wildnis, im Dschungel, stattfindet.

Der Meeresbiologe und Forschungstaucher Robert Marc Lehmann, der ebenfalls (länger als ich) in einem Orang-Utan-Rehabilitationscamp gearbeitet hat, spricht immer wieder davon, dass einzig und allein die Freiheit artgerecht ist – Eine Aussage, der ich nicht nur bezogen auf Orang-Utans zustimmen kann.

Es geht dabei weniger darum, die perfekte Lösung zu entdecken, die in vielen Fällen ohnehin nicht existiert, sondern darum, etwas zu finden, das funktioniert. Schon eine kleine Verhaltensänderung kann helfen, aus eingefahrenen Problemmustern auszubrechen. Oft ist es zudem hilfreich, sich auf das Wesentliche und die eigenen Stärken zu konzentrieren, um sich nicht in Nebensächlichkeiten zu.

Faszinierende Eindrücke vor Ort – so sieht ein richtiger Regenwald aus. Die Bilder stammen von einem nahegelegenen Gelände, auf dem nahezu jeden Tag „semiwilde” Orang-Utans gesichtet werden. Da sich der Regenwald verkleinert und die Tiere so weniger Futter finden, werden sie täglich ohne direkten Menschenkontakt von Plattformen zugefüttert.

BESCHÄFTIGUNGSMÖGLICHKEITEN ALS TROPFEN AUF DEM HEISSEN STEIN

Der Unausgeglichenheit der Tiere versuchen wir mit »Enrichment« entgegenzuwirken. Sprich: Futter möglichst kompliziert verpacken, damit die Tiere eine Beschäftigung haben und zumindest zum Teil ihre äußerst intelligenten Sinne verwenden. Also setzte ich mich in den heruntergekommenen Hinterhof und matsche in der klirrenden Hitze von Malaysia mit den Händen Haferflocken mit Bananen zusammen und verpacke diese (möglichst kompliziert) in eine Bananenschale.

Dass meine Anstrengungen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein für die Tiere sind, merke ich daran, wie schnell die Orang-Utans die zum Teil von mir stundenlang zusammengebundenen Pakete auseinandernehmen und den darin befindlichen Snack verspeisen. Außerdem sind die Gehege der Tiere zu klein, um diese auszulasten – und das trotz der ständigen Bemühungen, größere und bessere Unterkünfte für die Orang-Utans zu finden. Was ich vorher nicht wusste: Organisationen stehen ständig in Konflikt mit der Regierung. Von Tierhaltungsbedingungen über staatliche Zuschüsse bis hin zu Auswilderungsverboten: So einfach ist »nach Malaysia fliegen und Affen retten« nicht. Es gibt zahlreiche Hürden, die mir als Laie nicht klar sind.

Traurigerweise können die meisten Tiere im Camp nicht ausgewildert werden. Grund dafür ist in aller Regel, dass die Orang-Utans, wie bereits beschrieben, zu viel Kontakt mit Menschen hatten. Das macht mich traurig: Da die Menschenaffen nicht im Rehabilitationscamp mit Menschen in Kontakt kamen (oder nur in einem geringen Maß), heißt dies, dass diese zum Teil zuvor in Privathaushalten als Haustiere gehalten wurden. Dass das solch einem Tier nicht gerecht wird, davon muss ich, glaube ich, nicht erzählen. Dann ist der Kontakt zum Menschen nicht vermeidbar, da die Jungtiere ohne Zuneigung und körperlichen Kontakt sterben (das ist übrigens genauso bei Menschenbabys – ohne Liebe und körperlichen Kontakt sterben die Neugeborenen auch, wenn ihnen körperlich nichts fehlt).

Also versucht das Camp den Tieren eine möglichst lebenswerte Altersresidenz zu bieten. Beschäftigung und möglichst viel Abwechslung sind dabei die Grundprinzipien. Jüngere Orang-Utans haben bessere Auswilderungschancen: Sie können unter Umständen die Verhaltensweisen, die sie zum Überleben benötigen, noch lernen. Umso dramatischer ist ihre Vergangenheit: ein junger Orang-Utan heißt gleichzeitig, dass das Tier seine Mutter verloren hat – wahrscheinlich als der Lebensraum der Affen durch Brand gerodet wurde – und wofür: Dass wir im Westen Palmöl in Nutella, in unseren Kosmetikprodukten, aber auch als »Biosprit« in unsere Tanks füllen. Ein Nutzen, der in meinen Augen in keinem Verhältnis zu den Kosten steht.

EINE KURZE ZEIT — VIELE ERKENNTNISSE

Nach meinen drei Wochen im Land kehre ich zurück – ein Teil meines Herzens habe ich jedoch in Malaysia bei den faszinierenden Orang-Utans, zu deutsch Waldmensch, gelassen. In den Augen der Tiere habe ich Verständnis und Intelligenz gesehen und ihre Hände zeugen von Geschick – ich erkenne mich, zumindest in Teilen, in ihnen wieder. Es fühlt sich nicht mehr richtig an, diese als Affen zu bezeichnen.

*INFOS ZUM AUFENTHALT

• Lage: Kuching, Sarawak, Malaysian Borneo
• Organisation: Matang Wildlife Center
• Projekt: The great orangutan project
• Arbeitsweise: Freiwilligenarbeit
• Dauer des Aufenthalts: etwa drei Wochen
• Umgebung: Dschungel
• Temperatur vor Ort: 27°C Durschnittstemperatur im Jahr
• Aufgaben: Flexible Pflege der Tiere vor Ort: z.B. Futter zubereiten, Gehege putzen, Beschäftigungen basteln
• Arbeitserfahrungen: Teil eines Teams sein, das alles für die Tiere tut

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