Die Fantasie und das Nichts

von Lea Lange

FA N TA S I E – E I N W U N D E R B A R E S WO RT, DA S J E D E R K E N N T.

In der Kindheit waren wir vermutlich dabei uns auszumalen, wie wir in unseren mittelalterlichen Rollen ausleben konnten, oder  wie wir mit mindestens einem Elternteil verarzten gespielt haben. Das Ergebnis ist in beiden Fällen dasselbe: wir durften in andere  Welten schlüpfen und konnten uns eine andere Welt nach eigenen Vorstellungen ausmalen. Wenn ihr euch aus der heutigen Sicht  fragt, wie real diese Welt war, kann man nur eines dazu sagen: Sie war so real, wie ihr sie empfunden habt.  Prof. Hannes Rakoczy von der Universität Göttingen hat in einem Versuch herausgefunden, dass Kinder sehr wohl unterscheiden  können, was real und was Fiktion ist. Dies nennt sich „als-ob“ Spiel und ist zum Beispiel beim „verarzten“ eines Elternteils der Fall. Besonders stark reagieren Kinder auf Mimik und Gestik. Sie nutzen ihre bisherigen Erfahrungen und können anhand dieser zwei  Komponenten eine passende Handlung ableiten. So wäre beispielsweise ein vor Schmerz verzogenes Gesicht ein Warnsignal für das  Kind. Denn es hat sich jemand verletzt. Wenn dies nicht der Fall ist und bei dem „als-ob“ Spiel kein Gesicht verzogen wird, ist dies  ebenfalls ein klares Signal. Doch nun genug, von der wissenschaftlichen Seite und der Vorrede des eigentlichen Themas.

D I E FA N TA S I E U N D DA S N I C H TS – W I E D I E S E M I T E I N A N D E R  ZUSAMMENHÄNGEN 

Auch der Autor Michael Ende hat erkannt, wie wichtig die Fan tasie ist. Nicht nur für Kinder ist die diese von enormer Bedeu tung, sondern auch für Erwachsene.  Jedem ist bewusst, dass man mit zunehmendem Alter ten denziell weniger “Fantasiemomente” erlebt . In einigen aus gewählten Berufen wie Künstler*in, Schauspieler*in oder  dergleichen, müssen Personen ihre Vorstellungskraft nutzen:  Das ist manchmal gar nicht so einfach. Wenn man jedoch in  Berufsfeldern wie dem Finanzwesen oder ähnlichem tätig ist,  liegt es sehr nahe, die Fantasie in einem engeren Rahmen zu  verwenden. Und hier ist der springende Punkt: Je erwachsener der Mensch  wird, desto mehr hat man die Tendenz, „das Kind in sich“ zu  verlieren. Auch dies hat Michael Ende verstanden und diese  beiden Tatsachen in seinem Buch „Die unendliche Geschichte“ aus dem Jahre 1978 verarbeitet. Das Werk gilt noch heute  als eines der bedeutendsten Werke der deutschen Literaturgeschichte. Der Autor spricht viele Facetten der Fantasie an,  welche man bis ins kleinste Detail analysieren könnte: auf die  wichtigsten Bereiche möchte ich mich konzentrieren.

» Alles ist möglich und noch so vieles mehr. Das ist es, was die  Fantasie so besonders macht.«

In dem Roman geht es um das Land Fantasien, das von einer  Bedrohung heimgesucht wird. Ihr merkt es schon selbst, oder? Fantasie und Fantasien sind  sehr ähnlich. Und das nicht ohne Grund. Fantasien ist die physische Manifestation der menschlichen  Fantasie. Sie ist wie ein Topf, in dem alle Vorstellungen, Träume  und Wünsche der Menschen zusammenkommen.  Das unendlich im Titel ist ebenfalls kein Zufall, denn die Fanta sie (und damit auch Fantasien) kann unendlich sein, wenn man  die Kraft und den Mut hat sie zu erkunden. Ihr sind in keinster  Weise irgendwelche Grenzen gesetzt.

Aber auch bei all den Chancen, die die Fantasie bietet, hat dies auch ihre Kehrseite.Wie bereits er wähnt, wird das Land von einer unheimlichen Macht  heimgesucht, welche Fantasien zu verschlingen droht. Von den Bewohner*innen dieses wunderbaren Landes, wird es das Nichts genannt, denn es hinterlässt eine Leere. Diese wird als große, schwarze Wolke dargestellt. Dieses “Nichts” ist in der “unendlichen Geschichte” davon abhängig, wie viele Menschen den Glauben an die Fantasie verlieren. Eine weitere Besonderheit des Werkes ist, dass es sich um eine Geschichte innerhalb einer anderen Geschichte handelt. Wenn man so will, kann man es eine Binnenerzählung nennen. NUN ZUR HANDLUNG: Denn der junge Bastian Balthasar Bux hat sich (in der „realen“  Welt) auf dem Dachboden seiner Schule versteckt und liest das  Buch „Die unendliche Geschichte“. Er erfährt von dem Schicksal Fantasiens und auch davon, dass  die Bewohner und Bewohnerinnen einen Helden aussenden,  um das Land von “dem Nichts” zu heilen. Der Name des jungen Helden ist Atréju. Er nimmt die Aufgabe  sehr ernst und macht sich sogleich auf den Weg, um die Welt zuretten. Auch Bastian begleitet ihn auf seiner Mission. Der Name des Buches in Bastians Welt, sowie der Titel des Bu ches für den eigentlichen Leser (also wir) ist derselbe. Es wird  eine Parallele geschaffen, die eine Art Wirklichkeit und Authen tizität erzeugt. Wir können uns also, genau wie Bastian, so in  das Buch vertiefen, dass wir in unserer Vorstellung denken, wir  seien inmitten der Geschichte. 

Und genau das macht die Fantasie und deren Ausleben so besonders. Wir vergessen alles um uns herum und können ein neuer Mensch sein. Oder ein Steinriese, je nachdem, was wir uns vorstellen. Fantasien ist jedoch noch an eine andere Lebensquelle gebunden: An die der kindlichen Kaiserin. Diese wird genauso dargestellt, wie sie genannt wird – als eine sehr junge königliche  Persönlichkeit. Vor allem in dem gleichnamigen Film aus dem  Jahre 1984 wird die Darstellung betont.

Leider, schwindet durch das Nichts auch die Lebenskraft der kindlichen Kaiserin. Vom Titel angefangen, bis hin zur Einflechtung der Charaktere ist es auch  bei der kindlichen Kaiserin kein Zufall, dass sie als Kind dargestellt wird. Sie ist ein Symbol für „das Kind in jedem“. Sie zeigt, dass jeder Mensch seine Fantasie nach Belieben ausleben kann und diesem Ausleben kein Hindernis im Wege steht.

» Sie ist wie ein Topf, in dem alle Vorstellungen, Träume und Wünsche der Menschen zusammenkommen.«

Ihr denkt euch jetzt mit Sicherheit: „Das hat doch bestimmt et was mit dem Nichts zu tun.“ Ja, das tut es. Denn je schwächer Gute meistens siegt. Dennoch ist es Atréju, trotz all seiner Mühen, nicht möglich das  Heilmittel zu finden. Es existiert innerhalb Fantasiens nicht, sondern bei Bastian in der Menschenwelt. Dies zeigt deutlich, dass sogar die Fantasie über die Grenzen Fantasiens hinausgehen kann. Bastian versteht irgendwann, dass es ihm bestimmt ist, die Hoffnung wiederherzustellen und spricht den neuen Namen der kindlichen Kaiserin laut aus. Damit ist ein glückliches Ende geschaffen worden.

» Die Fantasie kann unendlich sein, wenn man die Kraft und den Mut hat, sie zu erkunden.«

So wie die kindliche Kaiserin ein Symbol für Fantasien ist, so ist auch Bastian ein Symbol für die Fantasie und alles, was damit zusammenhängt. Der Name stellt eine Art Zugang für die Fantasie dar, um das Land aus den Trümmern, die das Nichts verursacht hat, aufbauen zu können. Alles ist möglich und noch so vieles mehr. Das ist es, was die Fantasie so besonders macht. Wir alle sollten das Kind in uns mehr bewahren und über den Tellerrand hinausblicken. 

Herausgeber

fuks e.V. – Geschäftsbereich Karlsruher Transfer

Waldhornstraße 27, 76131 Karlsruhe transfer@fuks.org

Urheberrecht:

Alle Rechte vorbehalten. Die Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigungen jeglicher Art sind nur mit Genehmigung der Redaktion und der Autoren statthaft. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider. Der Karlsruher Transfer erscheint einmal pro Semester und kann von Interessenten kostenlos bezogen werden.