Das Nichts bin Ich – Depression und innere Leere
Wer kennt es nicht? Du bist gestresst, demotiviert und traurig. Du bist in einer scheinbar ewigen Dunkelheit gefangen. Für viele Menschen ist das Adjektiv depressiv ein umgangssprachlicher Ausdruck für Traurigkeit. Für viele andere Menschen bestimmt dieses Wort ihren gesamten Alltag.
von Melanie Baron und Tanja Becker
Was sind Depressionen?
Eine Depression ist eine Beeinträchtigung des inneren Erlebens, der Gefühls- und Stimmungslage. Man diagnostiziert sie nach klinisch-diagnostischen Leitlinien. Eine depressive Episode kann als leicht, mittelgradig oder schwer bezeichnet werden. Die betroffene Person leidet gewöhnlich unter gedrückter Stimmung, Interessenverlust. Freudlosigkeit und einer Verminderung ihres Antriebs. Die reduzierte Energie führt zu erhöhter Ermüdbarkeit und Aktivitätseinschränkungen. Unverhältnismäßige Müdigkeit tritt oft nach nur kleinen Anstrengungen auf. Andere häufige Symptome sind: verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, reduziertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit, negative und pessimistische Zukunftsperspektiven, Suizidgedanken, erfolgte Selbstverletzung oder Suizidhandlungen, Schlafstörungen, verminderter Appetit. Die gedrückte Stimmung ändert sich von Tag zu Tag wenig, reagiert nicht auf die jeweiligen Lebensumstände, kann aber charakteristische Tagesschwankungen aufweisen. In Abgrenzung zu einer depressiven Verstimmung muss eine depressive Episode mindestens zwei Wochen andauern. Außerdem dürfen die Symptome nicht auf den Missbrauch psychotroper Substanzen oder auf eine organische psychische Störung zurückzuführen sein. Da die Manie das Gegenstück zur Depression ist, muss diese ebenfalls ausgeschlossen werden.
»Es gab früher die Idee, Depressionen bei Kindern gäbe es gar nicht.«
Bei Kindern und Jugendlichen ist häufig ein untypisches Erscheinungsbild vorhanden, wie beispielsweise eine erhöhte Reizbarkeit. Schon Kleinkinder im Alter von ein bis drei Jahren zeigen Symptome, wie zum Beispiel ein ausdrucksarmes Gesicht, Schlafstörungen, Spielunlust und eine erhöhte Irritabilität. Die eigenen negativen Gedanken sprechen erst Schulkinder aus. Diese können zu Schulleistungsstörungen führen. Hier kommt auch das Thema des Suizidgedankens zum ersten Mal auf. In der Pubertät werden die Symptome der Betroffenen denen der leidenden Erwachsenen ähnlich. Dabei geht es um eine große Apathie, vermindertes Selbstvertrauen, psychosomatische Beschwerden, Angst und ein geschwächtes Selbstwertgefühl.
» Jede Depression sieht anders aus.«
Die Diagnose verläuft im Gespräch. Hier werden Fragebögen und ein diagnostisches Interview eingesetzt. Bei Kindern und Jugendlichen können auch Eltern und Lehrer:innen für die Diagnose eine Hilfe sein. Außerdem muss sich der Betroffene von einem Arzt oder einer Ärztin untersuchen lassen, um sicherzustellen, dass die Beschwerden nicht körperlich sind. Häufig treten neben der Depression ebenfalls Angst-, Zwangs-, Ess- oder Aufmerksamkeitsstörungen auf.
»Oft wird auch mehr als eine Diagnose gegeben.«
Nicht alle Therapieformen werden von der Krankenkasse bezahlt. Grundsätzlich werden einige Arten angeboten. Es gibt beispielsweise die analytische Psychotherapie, welche in der Umgangssprache als Psychoanalyse bezeichnet wird. Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, die Verhaltenstherapie und die systemische Therapie sind auch Möglichkeiten, sich helfen zu lassen. Die medikamentöse Therapie kann bei mittelgradigen und schweren Depressionen eingesetzt werden. Weitere Therapieformen sind: Gestalttherapie, Psychodrama, Paar- und Familientherapie. Risikofaktoren für eine depressive Entwicklung sind meist ein Zusammenspiel aus biologischen, sozialen, kognitiv-emotionalen und familiären Faktoren, sowie kritischen Lebensereignissen und Stress. Biologische Faktoren sind zum Beispiel das Geschlecht, das Alter, eine hormonelle Veränderung oder ein Mangel an Serotonin. Kognitiv-emotionale Risiken bestehen in Denkfehlern, sowie negativen Zukunftsperspektiven, einer gestörten Emotionsregulation oder geringen sozialen Kompetenzen. Generell sind Schwierigkeiten in der Bindungsphase ebenfalls ein Risiko.
Einige Zahlen
Laut einer Studie aus 2016 erkranken in Deutschland etwa 5,3 Millionen Menschen in einem Jahr an Depressionen. 2004 wurde herausgefunden, dass jeder Fünfte bis Sechste einmal in seinem Leben eine depressive Episode erlebt. Außerdem werden bei Frauen doppelt so häufig wie bei Männern Depressionen diagnostiziert.
»Da der Depressions-Prozentsatz in den letzten Jahren eher gestiegen ist, gehe ich davon aus, dass die Zahl weiter steigen wird.«
Auch im Alter gibt es Unterschiede. Während im Kindesalter ein bis zwei Prozent der Kinder erkranken, sind es bei den Jugendlichen schon zwei bis acht Prozent. Ab 15 Jahren ist zu beobachten, dass sich die Symptome der Jugendlichen an die der Erwachsenen annähern. Nach einer beendeten Therapie ohne Rückfallprophylaxe fallen 50 Prozent nach einem halben Jahr zurück. Handelt es sich um Patient:innen mit einer schweren Depression, liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall bei 75 Prozent. Laut der Bundespsychotherapeutenkammer muss ein Betroffener durchschnittlich fünf Monate auf eine Behandlung warten, wobei die Wartedauer in großen Städten wesentlich kürzer ist als die auf dem Land. Eine Sprechstunde lässt sich in der Regel nach 5,7 Wochen finden.
Mein Alltag mit Depressionen
Ich bin Melanie, 21 Jahre alt und studiere mittlerweile seit zwei Jahren Germanistik. Schon in der Grundschule war mir klar, dass mit mir etwas nicht stimmte. Ich war leiser als die anderen und traute mich nicht, mit anderen Kindern zu sprechen. In der Oberstufe holte ich mir zum ersten Mal Hilfe: eine tiefenpsychologische Therapie, welche mir jedoch nicht half. Nach weiteren zwei Jahren begann ich eine Verhaltenstherapie, die nun seit zwei Jahren läuft. Da ich nicht nur unter Depressionen leide, sondern auch an einer sozialen Phobie und Panikattacken, aufgrund derer ich eine Zeit im Krankenhaus verbringen musste, nehme ich jeden Morgen SSRI (Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer). Das Aufstehen fällt mir schwer, da mir jeden Tag aufs Neue eine weitere Herausforderung bevorsteht. Für die Uni mache ich mich jeden Morgen fertig, schaue mich im Spiegel an und gefalle mir nicht. Meistens versuche ich, möglichst weite Klamotten anzuziehen, damit man meine Körperform nicht erraten kann. Wenn ich mit der S-Bahn auf dem Weg zu einer Vorlesung bin, muss ich währenddessen Musik hören, um mich von den Menschenmassen in der Bahn abzulenken. Als ich noch Mathe studierte und in einem Hörsaal mit 100 Studierenden saß, konnte ich spüren, wie mein Herz schneller klopfte, mir immer heißer wurde und ich allmählich keine Luft mehr bekam. Manchmal habe ich noch immer solche Episoden. Während der Vorlesung frage ich mich, was ich dort überhaupt soll. Die Klausur werde ich eh nicht meistern und eine Zukunft habe ich mit diesem Studienfach auch nicht. Daheim setze ich mich in mein Zimmer und frage mich, wieso sich nie jemand mit mir treffen möchte. Bin ich etwa nicht genug? Ich rede mich so lange in eine Spirale aus Gedanken, dass ich anfange zu weinen. Am liebsten wäre ich jemand anders. Um mich abzulenken, mache ich die von meiner Therapeutin vorgeschlagenen Entspannungsübungen, atme tief ein und aus, spanne bestimmte Muskelgruppen und lasse wieder locker. Schließlich habe ich keine Motivation mehr, an diesem Tag etwas zu unternehmen. Ich lege mich auf mein Sofa und schlafe. Wenn ich abends ins Bett gehe, liege ich stundenlang wach, frage mich, warum ich so bin, wie ich bin. Schlafe ich endlich ein, so werde ich von mindestens zwei Alpträumen geplagt und wache mehrmals auf. Am nächsten Morgen fühle ich mich weder ausgeruht noch entspannt. Ich weiß, dass ich etwas ändern muss. Falls Du selbst an Depressionen leidest, scheue nicht davor, Dir Hilfe zu holen. Anfangs mag es schwierig sein, aber Du wirst merken, dass es sich auf lange Zeit lohnt zu kämpfen.
Tanja Becker
studierte in Mannheim und Esslingen Soziale Arbeit und Sozialpädagogik. Beim IFKV Bad Dürkheim machte sie ihre Weiterbildung zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin mit der Fachrichtung Verhaltenstherapie. Einige Zeit arbeitete sie als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin im Johanniter Zentrum in Neuwied. Seit 2010 ist sie in ihrer eigenen Praxis tätig.
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