7 Tage, 100 Dinge – Ein Selbstexperiment

2010 veröffentlicht Dave Bruno sein Buch »The 100 Things Challenge«, in dem er von seinem Leben mit nur 100 Dingen berichtet. Zwölf Jahre später ist der enorme Konsum und die Klimakrise präsenter als je zuvor, und die Challenge noch immer auf meiner To-do Liste.

von Ella Lutzweiler

Wie bei vielem, dem ich mit gemischten Gefühlen gegenüber stehe, kommt der Trend aus Amerika. Dave Bruno setzte es sich als Challenge, seinen gesamten Besitz für ein Jahr auf 100 Dinge zu reduzieren, um seinem konsumorientierten Lebensstil entgegenzuwirken. Was als Experiment begann, wurde zum lang-fristigen Lebensstil und zur Inspiration für Viele. Auch mich hat er in seinen Bann gezogen. Kaufen und Haben sei keine Lösung, sondern vielmehr Problem. Ich teile schon lange diese Einstellung und finde es doch erstaunlich, wie sehr man von einer Sache überzeugt sein kann und im Handeln dem Gegenteil folgt. Zuoft erwische ich mich beim Online-Shoppen und Horten unnötiger Gegenstände. »Diese eine Sache noch und mein Leben wird leichter. Gerade brauche ich das nicht, aber irgendwann vielleicht. Es zu haben, kann ja nicht schaden«.

Es heißt, weniger sei mehr. In der heutigen Zeit scheint jedoch jedes Leuchtreklame-Schild und jedes Sale-Angebot »mehr ist mehr« zu schreien. Mehr Auswahl und Möglichkeiten – mehr Überforderung und Unentschlossenheit. Ein minimalistischer Lebensstil soll Klarheit im eigenen Leben schaffen. Und dann ist da auch noch die Geschichte mit der Klimakrise. Das wohl größte Problem der heutigen Zeit und vermutlich auch der ganzen Menschheitsgeschichte baut auf übermäßigem und unreflektierten Konsum auf. Der Markt leitet Schritte ein, die nicht zielführend sind. Vielleicht werden bei der Produktion der neuen Kollektion in Bangladesch ein paar Liter Wasser gespart. Die Behauptung, man würde mit jenem Kauf der Welt etwas Gutes tun, ist jedoch schlichtweg falsch. Nachhaltiger Konsum, ein Widerspruch in sich. Stichwort: Greenwashing. Dabei ist die Abstinenz vom Kaufrausch und der Einstellung, Dinge könnten uns glücklich machen, am nachhaltigsten. Klar – kein Konsum ist auch keine Lösung. Wir brauchen Dinge. Aber wie so oft macht eben die Menge das Gift.

Lange Rede, kurzer Sinn. Ich will mich selbst herausfordern und am besten mein Leben durch weniger bereichern. In der Hoffnung auf Inspiration für meine Liste an 100 Dingen – ich gebe selbstbewusst »100 Things Challenge« bei Google ein – wird mir als erster Link eine Amazon Anzeige geschaltet. Spare du beim Buch »The 100 Things Challenge« – wie ironisch.

Schnell wird mir klar, auf was ich mich da eingelassen habe. Zwar mache ich diese Challenge nur für eine Woche, obwohl sie ursprünglich eigentlich für ein Jahr ausgelegt wurde. Damit fallen sehr viele Dinge weg. Kleidung brauche ich nur für eine Jahreszeit, Sachen für den Urlaub kann ich getrost aus meiner Liste streichen. Trotzdem sind 100 Dinge ziemlich wenig.
Wenn man bedenkt, dass meine Hautpflege-Routine in so manchen Zeiten aus 10 Steps und über 20 Dingen bestand, fast nichts. Ähnlich wie Dave Bruno stelle ich mir eigene Regeln auf. Manche Dinge, die man einzeln zählen könnte, zähle ich in Gruppen, wie zum Beispiel elektronische Geräte mit Ladekabel oder Socken. Was regelmäßig aufgebraucht wird, hauptsächlich Lebensmittel, zähle ich nicht – Teller, Gläser und Besteck aber schon. Meine Liste an 100 Dingen kommt schnell zusammen. Es gibt echt viel, was man so braucht. Oder zumindest viel, was ich mir einbilde zu brauchen.

An Tag drei die erste Herausforderung: Eine Freundin hat Geburtstag und ich will ihr eine Karte basteln. Dinge wie Schere, Klebestift, ein paar Farben, Papier, Bleistift und Lineal hatte ich nicht einkalkuliert. Kaum zu glauben, wie viele Gegenstände für so eine kleine Aufgabe nötig sind. Alles, was ich dazu brauche liegt in einer Schachtel einen halben Meter von mir entfernt, und bleibt doch für mich unzugänglich. Ich leihe mir das Nötigste von meiner Mitbewohnerin aus. Ob ich damit die Regeln umgangen oder gar gebrochen habe? Ich weiß es nicht. Aber in dem Moment fühlt sich das Ganze ziemlich lächerlich an. Was macht es für einen Unterschied, ob ich die Schere meiner Freundin benutze oder meine eigene? Die Erde bleibt ein paar Grad zu heiß und mein Leben fühlt sich auch nicht leichter an.

Zehn Minuten später dann Gegenteiliges: Als Outfit für die Feier sind meine Optionen begrenzt. Die Auswahl an vier schwarzen Tops und zehn Paar Ohrringen begrenzt sich auf je eines und ich war noch nie schneller fertig. Generell merke ich, dass Entscheidungsfreiheit durch unzählbare Optionen erstaunlich wenig mit Freiheit zu tun hat. Das Leben fühlt sich ein Stück simpler an.

Überraschenderweise ging die Woche ohne größere Unannehmlichkeiten vorüber. Was ich gelernt habe: Nur 100 Dinge auf Dauer zu besitzen, ist eine enorme Veränderung. Nur 100 Dinge zu nutzen – das ist eine ganz andere Sache. Dann ist diese Zahl gar nicht mehr so gering. Und welchen Nutzen haben Dinge, die man nicht nutzt? »100« ist in erster Linie auch einfach nur eine Zahl, die sich gut anhört. Dass man diverse Regeln und Ausnahmen in die Challenge implementieren kann, zeigt schon, dass es dabei nicht um Kleinigkeiten geht. Solch ein radikaler Eingriff ist natürlich keine Notwendigkeit. Manchmal ist es jedoch schwer, klein anzufangen und Step-by-Step einen neuen Lebensstil zu beginnen. Bei dem Meer an Möglichkeiten, das Leben minimalistischer und nachhaltiger zu gestalten, ist die 100-Dinge Challenge der Sprung ins kalte Wasser.

Die Woche hat mir gezeigt, dass minimalistisches Leben entgegen meiner Erwartungen nicht so viel mit Verzicht zutun hat. Es geht eher darum, zu verstehen, was man wirklich braucht und was aussortiert werden kann. Das Wenigste habe ich vermisst. Sieben Tage sind jedoch zu kurz. Meine Veränderung war nicht lang genug und mein Ergebnis nur Vorgeschmack auf das, was ich haben könnte. Nämlich weniger unnötige Dinge und im Gegenzug mehr Freiheit und Unabhängigkeit.

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