Ansichtssache
Wo lässt sich Mut überall finden? Ist jeder mutig? Oder nur wenige? Wann sehen wir Mut? Sieht jeder denselben Mut? Schon Zitate aus vergangenen Jahrhunderten zeigen auf, wie vielfältig und wandelbar Mut sein kann. Ein Beitrag über die vielen Fragen, die der schwer zu fassende Begriff aufwirft.
von Anna Caroline Hein
„Heldentum ist Ausnahmezustand und meist Produkt einer Zwangslage.“
– Theodor Fontane, deutscher Schriftsteller (1819-1898)
Wir alle kennen sie, die Helden aus Sagen, Erzählungen und geschichtlichen Begebenheiten. Herkules, Sohn des mächtigsten olympischen Gottes Zeus, der zwölf ihm auferlegte Prüfungen tollkühn bestand, um ebenfalls in den Olymp der Götter aufzusteigen. David, der den Riesen Goliath mit seiner Steinschleuder besiegte und damit den Kampf zwischen den Philistern und den Israeliten beendete. Jeanne d’Arc, die französische Nationalheldin, die während des Hundertjährigen Krieges Orléans 1429 von der Besetzung der Engländer befreite. Sie alle waren mutig, sie alle vollbrachten Heldentaten.
Aber können nur wenige Auserwählte mutig sein?
„Mut ist die Tugend, die für Gerechtigkeit eintritt.“
– Marcus Tullius Cicero, römischer Redner und Staatsmann (106-43 v. Chr.)
In Legenden und fiktiven Geschichten gibt es Helden, die mutig für die Gerechtigkeit kämpfen. Robin Hood zum Beispiel, der für soziale Gerechtigkeit sorgt, indem er den Reichen nimmt und den Armen gibt. Oder auch Superman, der als Kämpfer für das Gute Heldentaten vollbringt. Auch in der Realität gibt es Personen, die für Gerechtigkeit eintreten. So setzte sich Nelson Mandela für die Rechte der schwarzen Bevölkerung und gegen die Apartheid in Südafrika ein.
Aber muss Mut immer etwas mit Gerechtigkeit zu tun haben?
„Mut bedeutet das freiwillige Aufsichnehmen einer bewusst erkannten Gefahr.“
– Erich Limpach, deutscher Lyriker (1899-1965)
Ritter im Mittelalter kamen oft in Situationen, in denen sie mutig sein mussten. In Schlachten kämpften sie gegen Feinde. Bei Turnieren kämpften sie gegeneinander. Sie waren sich dieser Gefahren vorher bewusst. Sie haben sich dafür entschieden, mutig zu sein. Vor nicht ganz so langer Zeit, während des zweiten Weltkriegs, gab es auch mutige Menschen. Manche haben zum Beispiel Juden vor den Nazis versteckt. Sie waren sich der Gefahr über Monate und manchmal auch Jahre bewusst und sie haben es trotzdem getan.
Doch können nur Menschen, die sich in Gefahr begeben oder die in Gefahrensituationen geraten, mutig sein? Und sind die anderen dann feige?
„Mut ist, wenn man Todesangst hat, aber sich trotzdem in den Sattel schwingt.“
– John Wayne, US-amerikanischer Schauspieler (1909-1979)
Viele Zitate beinhalten den Aspekt, dass bei einer mutigen Tat die Angst überwunden wird. Da Ängste von Person zu Person verschieden sind, gibt es auch viele unterschiedliche mutige Handlungen. Ein Schulkind nimmt all seinen Mut zusammen und geht zum ersten Mal allein zur Schule. Aber auch im Erwachsenenalter bedarf es Mut. Zum Beispiel, um zu seinen Werten zu stehen, auch mit der Angst im Nacken, dafür ins Gefängnis zu kommen. So wie es zurzeit für die Mitarbeiter der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“ aussieht. Manche der Mitarbeiter wurden schon unter dem Vorwand verhaftet, sie würden eine terroristische Vereinigung unterstützen. Die übrigen Mitarbeiter lassen sich dadurch aber nicht verängstigen und gehen weiter ihrem Recht zur Presse- und Meinungsfreiheit nach.
Aber muss Angst bei der Betrachtung von Mut immer eine Rolle spielen?
„Unübersehbare Spuren hinterlassen wir dann, wenn wir den Mut haben, Wege zu gehen, die noch niemand vor uns gegangen ist.“
– Ernst Ferstl, österreichischer Lehrer und Schriftsteller (*1955)
Ist es nicht auch eine mutige Entscheidung, aus seinem Land auszuwandern in dem Bewusstsein, dass die Zukunft in völliger Ungewissheit liegt? So wie es manche Deutsche im 19. Jahrhundert getan haben, als sie nach Amerika ausgewandert sind und Deutschland für immer den Rücken gekehrt haben. Auch die Wikinger waren mutig auf ihren langen Reisen über Meere und auch Flüsse. Bis ins heutige Istanbul konnten sie vordringen. Und sind nicht auch viele Entscheidungen in unserem Leben mutig? Wir machen Pläne für die Zukunft, nicht wissend, ob Schicksalsschläge sie wieder zunichtemachen. Der Ehepartner verunglückt bei einem Unfall. Man selbst erhält die Diagnose Krebs. Wir machen uns dies wohl einfach nicht klar, es wäre zu beängstigend.
Sind alle Handlungen, die der Gefahr, der Angst und dem Ungewissen trotzen, uneingeschränkt mutig?
„Der Furchtsame erschrickt vor der Gefahr, der Feige in ihr, der Mutige nach ihr.“
– Jean Paul, deutscher Schriftsteller (1763-1825)
Bei der Betrachtung von mutigen Taten gibt es einen Unterschied, ob wir spontan handeln oder nicht. Bei einer spontanen Handlung kann es sein, dass andere Gefühlsregungen wie Empathie oder Mitleid stärker sind als die verspürte Angst. Die Studentin Mara Hoffmann schritt ein, als pöbelnde Jugendliche ein Mädchen auf einem Bahnsteig bedrohten. Dafür wurde sie 2014 mit dem XY-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet. Sie sagte nach dem Vorfall, dass sie zwar nervös gewesen sei, aber instinktiv gehandelt habe. Und weiter meinte sie, wenn sie länger darüber nachgedacht hätte, wäre sie zu nervös geworden, um einzugreifen. Manchmal passiert es auch, dass Personen, die Zivilcourage zeigen, die potentielle Gefahr des Eingreifens gar nicht abschätzen können.
Ist das dann wirklich Mut? Oder nicht, weil es eigentlich nur eine Affekthandlung war? Oder doch, weil es trotzdem nicht jeder spontan tun würde?
„Was andere uns zutrauen, ist meist bezeichnender für sie als für uns.“
– Marie von Ebner-Eschenbach, mährisch-österreichische Schriftstellerin (1830-1916)
War Helmut Schmidt in seiner Zeit als Innensenator in Hamburg mutig? Bei der Sturmflut in Hamburg 1962 sind Deiche gebrochen, viele Menschen drohten zu ertrinken und die Polizei war überfordert. Helmut Schmidt forderte NATO-Streitkräfte und Bundeswehrsoldaten an, ohne die Befehlsgewalt dafür zu haben, und rettete so viele Menschenleben. Aber vielleicht war dies für ihn gar keine mutige Entscheidung, vielleicht war sie für ihn völlig alternativlos?
Können wir dann eigentlich beurteilen, was mutige Taten anderer waren oder nicht?
„Aufrichtigkeit ist höchstwahrscheinlich die verwegenste Form der Tapferkeit.“
– William Somerset Maugham, englischer Erzähler (1874-1965)
Die meisten von uns wissen, wie schwer es sein kann, die eigene Meinung zu vertreten. Besonders wenn alle anderen oder auch der Chef eine gegensätzliche Meinung haben. Oder den Mund aufmachen und Missstände ansprechen, auch auf die Gefahr hin, sich damit in die Rolle eines unbequemen Querulanten zu begeben. Häufig kann man zu einem späteren Zeitpunkt negative Konsequenzen erfahren, wenn man lauthals seine Meinung äußert. Zum Beispiel im Job nicht befördert werden. Bei diesen Situationen handelt es sich nicht um die Überwindung einer Angst oder um eine Handlung in einer Gefahrensituation. Aber potentielle Nachteile werden in Kauf genommen.
Spielt diese Aufrichtigkeit in unserer Zeit eine wichtige Rolle? Vielleicht gibt es ganz viele mutige Menschen, nur wir nehmen es gar nicht so sehr wahr?
„Mut ist so schön wie er selten ist.“
– Detlev von Liliencron, deutscher Lyriker (1844-1909)
Dieses Zitat wirkt, als möchte es die glorreichen Taten der Helden in den Sagen beschreiben. Sicherlich hat sich das Verständnis von Mut im Laufe der Jahrhunderte verändert. Ist Mut wirklich selten? Jeder kann nur für sich selbst beantworten, wann er mutig im Leben war, ist und wie oft. Und ist Mut schön? Zumindest hat Mut viele Facetten. Mutig ist jeder von uns in ganz unterschiedlichen Situationen und auf ganz verschiedene Arten und Weisen. Jeder hat sein individuelles Verständnis von Mut.
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