Sharing Economy
Vor vier Jahren brach ein riesiger Hype um das Thema „Sharing Economy“ aus. Doch was ist Sharing Economy eigentlich? Wie hat sie sich entwickelt? Und wie lässt sie sich mit Konzepten wie dem Minimalismus und dem Konsumismus verbinden?
von Daulet Shamuratov
Unter allen möglichen Definitionen von Sharing Economy gilt die Definition nach Kennzeichen als die umfangreichste. Zu diesen Kennzeichen gehört die C2C-Struktur. Das heißt, zwei oder mehr Personen nutzen ein Produkt und der Besitzer befindet sich unter den Nutzern. Dabei nutzen die Verbraucher Hardware, Software und Online-Tools, um verschiedene Güter und Dienstleistungen zu verleihen, zu teilen, zu tauschen oder einzukaufen. Rachel Botsman und Roo Rogers unterscheiden in ihrem Werk „What‘s Mine Is Yours – The Rise of Collaborative Consumption“, welches vielen als das Manifest der Sharing Economy gilt, zwischen „Product Service Systems“ (z. B. call-a-bike), „Redistribution Markets“ (z. B. ebay) und „Collaborative Lifestyles“ (z. B. Airbnb). Die Faktoren, die Menschen am häufigsten zu diesem Wirtschaftsmodell zwingen, sind idealistische Ideen, sozialer Austausch und die persönliche wirtschaftliche Situation.
Die Sharing Economy als zweischneidiges Schwert
Die Vorteile von Sharing Economy sind zahlreich. Effiziente Güterverwendung – das System erlaubt, Stillstandzeiten zu reduzieren und mit diesem Umtauschtyp unbenutzte Gegenstände nicht einfach wegzuwerfen. Rationaler Konsum – der umweltschonende Umgang mit Ressourcen. Vielfalt in Wettbewerb – mehr Angebote auf dem Markt bieten mehr Auswahlmöglichkeiten für den Verbraucher. Produktivitätssteigerung – gemeinsamer Konsum ist produktiv von Natur aus.
Doch es gibt auch Nachteile: Soziale Ungleichheit könnte zunehmen, wenn die Ressourcenanbieter durch die Pacht noch reicher werden. Preiskämpfe können entstehen und Rivalitäten um Kunden können zum Preisdumping führen. Große Nachfrage kann auch zum ReboundEffekt führen, wenn die Armen mehr konsumieren, und somit die Umweltbelastung steigt, die man durch Share-Angebote vermeiden wollte. Risiken werden auf die einzelnen Anbieter übertragen – Menschen, die in den jüngsten Unternehmen der Sharing Economy tätig sind, werden durch Grauzonen in Gesetzen verpflichtet, sich selbstständig um ihre Rechte und Risikovermeidung zu kümmern. Proteste der Taxifahrer und Verbote von Uber in mehreren Städten und Ländern dienen als Beweis dafür. Professor Trebor Scholz aus New York hat über die Probleme, die mit der sogenannten „Uberisierung“ von Wirtschaft und Arbeitsmarkt einhergehen, in seinem Buch „Uberworked and Underpaid: How Workers are Disrupting the Digital Economy“ geschrieben. Für ihn sind Vorteile der Sharing Economy wie Flexibilität, Autonomie und die Idee des Mikrounternehmers reiner Mythos. In Wahrheit kleben die Arbeiter die ganze Zeit vor dem Computer-Bildschirm oder am Smartphone, um einen der etwas besser bezahlten Jobs zu ergattern. Somit handle es sich weniger um Sharing Economy, sondern um Rental Economy. Freiwillige Mitarbeiter bereichern Investoren und Eigentümer von Vermittlungsplattformen. In der Zwischenzeit erlangen diese immer mehr politische und wirtschaftliche Macht. Somit beeinflussen sie die Qualität und die Lebensweise von tausenden Menschen. Deswegen, so Professor Scholz, müsse man daran denken, wie die gesamte Gesellschaft von der Benutzung dieser Plattformen profitieren kann. Eine mögliche Lösung wäre eine Verpflichtung solcher Plattformen, lokalen Kommunen zu gehören. In diesem Fall könnte die Sharing Economy sozial gerecht sein, weil dann die Gesellschaft organisatorische Spielregeln definieren und auch für gerechte Verteilung sorgen würde.
Laut einer Umfrage der Europäischen Kommission im Jahr 2016 zählen Unklarheit über Verantwortungsträger, unerfüllte Erwartungen und mangelndes Vertrauen zum Anbieter oder Verkäufer zu den am häufigsten genannten Nachteilen von Sharing Economy-Angeboten in Deutschland (46%, 35% und 26% entsprechend). Diese Bedenken müssen Grundlage zur Einführung von Regulierungsmaßnahmen seitens des Gesetzgebers sein, damit größeres Vertrauen geschaffen werden kann und klare Geschäftsbedingungen in dem neuen Gebiet erreicht werden können.
Sharing Economy & Minimalismus
Mit Sharing Economy behält man Bequemlichkeit und Konsumverfügbarkeit bei, bekommt aber dazu noch eine Sorglosigkeit über die Leistungsfähigkeit und Instandhaltung der Sachen.
Minimalisten, wie zum Beispiel Colin Wright und die Autoren von www.theminimalists.com behaupten, dass diese Bewegung eine Art von Werterevision ist und dass herauszufinden ist, ob ein Ding wirklich wichtig ist. Im minimalistischen Vorgang geht es nicht nur um die Befreiung von unnötigen Dingen, sondern auch um die Befreiung von überschüssigen Ideen, Tätigkeiten und Beziehungen – von allem, was keinen Wert mehr im eigenen Leben hat. Somit kann man Glück, Zufriedenheit und Freiheit erreichen. Sharing Economy könnte dabei helfen, dieses Konzept zu realisieren.
Wahrscheinlich habt ihr gemerkt, dass das gemietete Auto bei jedem Umzug größer sein muss. Fast unbewusst wächst unser Hab und Gut jeden Tag, um uns mehr Komfort zu gewährleisten. Zu viel Ramsch in unserem Leben verhindert persönliche Freiheit, welche meiner Meinung nach einer der Schüsselwerte von vielen Menschen der neuen Generation ist. Die Freiheit, in jedem Moment nur Wichtiges einzupacken und neuen Karrierewegen, Erfahrungen und Gefühlen entgegen zu fahren, lässt im Leben Platz für Spontanität und Kreativität. Aus meiner Sicht ist das viel erstrebenswerter, als mit alltäglichen Verpflichtungen verbunden zu sein.
Einerseits ist das Sharing-Konzept ziemlich nah an der minimalistischen Denkweise. Dies ist so, weil Besitz exklusiven Zugang zur Sache bedeutet. Man bezahlt für Komfort und Verfügbarkeit. Aber dazu kommen auch noch Instandhaltungskosten und zusätzliche Zustandsverantwortung. Außerdem eignet man sich durch solch einen Einkauf auch eine eigene Identität an – man kauft ein bestimmtes Bild, wie man sich selbst sieht und wie man auf andere wirkt. Wenn man teilt, dann beansprucht man nicht, sich speziell „anders“ zu zeigen. Somit ist dies eine Art von Übergang zum neuen Rationalitätsniveau von Gedanken und Lebensstil.
Andererseits gibt es zwischen der Ökonomie des Teilens und Minimalismus eine direkte, jedoch zwiespältige Verbindung. Zum einen ist jede Dienstleistung aus dem Bereich Sharing Economy ein Konsum, zum anderen ist die Idee von unbedingtem Besitz dabei abwesend.
Sharing Economy & Konsumismus*
Heute gibt es zu jeder Dienstleistung oder Ware dutzende Konkurrenzangebote. Der Markt für alltägliche, gewöhnliche Bedürfnisse ist gesättigt. Trotzdem besteht weiterhin das Streben nach neuen Emotionen und Erfahrungen. Und die Ökonomie des Teilens ist eine neue Variante des Konsumismus*. Konsum mit einer neuen Stufe von Wahlfreiheit kann diesen Bedarf decken.
Angesichts der Individualisierung einer Person in der Gesellschaft wirkt die Sharing Economy auch gegen, indem sie die Menschen wieder verbindet. Wenn man z.B. selbst etwas bastelt, kann man diese DIY-Waren (do it yourself) auf www.etsy.com verkaufen und somit mehr interessierte Menschen erreichen. Ein anderes Beispiel ist Crowdfunding: Damit kann man andere Finanzierungsquellen finden als Ergänzung zu den traditionellen FFF, was für Friends, Family, Fools steht. Das bringt noch eine weitere Freiheitsstufe zur Verwirklichung eigener Ideen.
Insgesamt haben Menschen verstanden, dass es, um Sachen genießen zu können, nicht nötig ist, diese Sachen in Besitz zu haben. Man kann sie einfach mieten und schauen, ob es in Wirklichkeit so ist, wie man es sich vorgestellt hat. Somit belegt die Ökonomie des Teilens noch ein grundlegendes Marketingprinzip von P. Kotler: Man kauft im Laden nicht den Drillbohrer, sondern ein Loch in der Wand.
Zeit sich zu fragen, wie sich die Branche entwickelt hat und was Neues und Interessantes in diesem Bereich passiert ist. Zahlreiche Sharing Start-ups existieren nicht mehr und einige haben mit dem jeweiligen Marktführer fusioniert oder wurden verkauft. Somit haben die Marktführer ihre Positionen weiter gefestigt. Auf Märkten in aufstrebenden Ländern haben lokale Konkurrenten eigene Produkte entwickelt, welche die Dominanz von weltbekannten Marken in Frage gestellt haben. Jetzt stehen sie vor der Herausforderung, auf dem gleichen Niveau zu konkurrieren. Zumindest in Deutschland fehlt es an vielen Stellen noch an eindeutigen gesetzlichen Regulierungen, was aber nur noch eine Frage der Zeit zu sein scheint.
Ab März 2016 wird die Tätigkeit von Unternehmen aus dem Sharing EconomyBereich nach EU-Leitlinien geregelt. Das heißt aber nicht, dass die EU-Kommission eine neue, spezielle Gesetzgebung zur Regulierung von Sharing Economy Unternehmen erstellen wird, sondern dass es in jedem einzelnen Land nach eigenen bestehenden Gesetzen und Praktiken Regulierungen geben soll. Das Thema bleibt in Deutschland und weltweit aus unterschiedlichen Gründen strittig und benötigt umfangreiche, vielseitige Betrachtung, in deren Zuge Fragen zu Arbeitsbedingungen, Datenschutz- und Sicherheit, Vertrauen, Verantwortung und Risiken beantwortet werden müssen.
* KONSUMISMUS
Ein übersteigertes Konsumverhalten zum Zweck der gesellschaftlichen Distinktion oder des Strebens nach Identität, Lebenssinn und Glück.
Zum Mitmachen:
Neben großen und bekannten Anbietern wie Airbnb, Uber und Blablacar gibt es auch kleine spezialisierte Unternehmen, die das Leben ebenfalls einfacher machen können. Unten ist ein kurzer Auszug interessanter Angebote und Dienstleistungen aus unterschiedlichen Bereichen zu finden, die im Bereich Sharing aktiv sind:
– Auto (ver-)mieten: www.tamyca.de, www.drivy.de
– Vergleich von CarSharing Dienstleistungen: www.carsharing-experten.de
– (Ver)mieten von allen möglichen Dingen: www.mietmeile.de
– Leihen und Verleihen unter Freunden und Nachbarn: www.leihdirwas.de, thangs (App)
– Kleider & Accessoires mieten für alle Anlässe: www.chic-by-choice.com, www.dresscoded.com
– Die besten Dienstleister in deiner Nähe: www.kennstdueinen.de
– Kreditvergleich: www.smava.de
– Andere Unternehmen aus dem Sharing Economy Bereich: www.sharingeconomycompanies.com, www.shareable.net
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