Bis der Hammer fällt
Für die breite Masse könnten manche Rechtsfälle nicht eindeutiger sein, das Strafmaß nicht hoch genug ausfallen und Verteidiger nicht herzloser sein. Doch wie ist es wirklich vermeintliche Terroristen und Erpresser zu verteidigen? Ein Fachanwalt über seine Arbeit.
von Dirk Uden
Seriendarsteller prägen die Bilder der Aufgaben eines Strafverteidigers. Die Rollen sind zugeschnitten auf die Protagonisten des jeweiligen Formats. Je nachdem sind Ermittler, Verteidiger oder das Gericht die Helden der Geschichte. Sie haben mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Nicht nur in Verfahren, die im Fokus der Öffentlichkeit stehen, geht es immer um die gleiche Situation: auf der einen Seite ist der Staatsapparat, der Staatsanwalt, der die Straftat zu verfolgen hat, auf der anderen der Beschuldigte, möglicherweise zu Unrecht verfolgt.
Der Staat ist mächtig, was sich je nach vorgeworfener Tat in den personellen und technischen Ermittlungsmöglichkeiten widerspiegelt. Bisweilen ist er auch übermächtig, wenn sich Fehler einschleichen oder Beschuldigtenrechte verletzt werden. Jeder Beschuldigte hat Anspruch auf ein faires Verfahren. Es macht keinen Unterschied, ob es sich um eine Schwarzfahrt, Unregelmäßigkeiten bei der Antragstellung von BAFöG, die ein Verfahren wegen Betruges nach sich ziehen oder ob es sich auf Schwerkriminalität wie Raub und Erpressung, der Tötung eines Menschen oder der Vorbereitung terroristischer Aktivitäten bezieht.
Die Rechtsprechung, die der Strafverteidiger durch seine Arbeit zu beeinflussen sucht, entwickelt sich nicht nur für die Fälle, die die Öffentlichkeit für eindeutig hält und trotz Unschuldsvermutung die gerechte Strafe schon kennt, sondern für die ungezählte Zahl zu Unrecht Beschuldigter, die erst in der Hauptverhandlung freigesprochen werden oder in den Fällen spektakulärer Justizirrtümern erst in einem Wiederaufnahmeverfahren ihre Unschuld beweisen und sich insoweit noch möglich rehabilitieren können.
Um sich vor der Gefahr zu schützen, sich selbst oder einen Angehörigen strafrechtlichen Ermittlungen auszusetzen, hat ein jeder Beschuldigte das Recht zu schweigen. Darüber ist er in jedem Verfahrensstand zu belehren. Es ist verantwortungslos, wenn regelmäßig in den Medien getextet wird, dass der oder die Angeklagte „beharrlich“ schweigt. Sich auf verfassungsmäßig garantierte Rechte zu berufen, darf in der Öffentlichkeit nicht zu einer negativen Wahrnehmung verkommen. Gleichermaßen gilt dies für die Unschuldsvermutung, die in der europäischen Menschenrechtskonvention normiert ist und bedeutet, dass jeder, der einer Straftat verdächtig ist so lange als unschuldig zu gelten hat, bis die Ermittlungsbehörden seine Schuld nachgewiesen und durch ein Gericht festgestellt wurde.
Der Angeklagte wird durch das Gericht verurteilt und nicht durch die Öffentlichkeit. Vor Gericht sind alle Umstände, seien sie noch so furchtbar, zu erörtern. Das Gericht soll aus dem Inhalt der Hauptverhandlung, der Erörterungen, und nicht aus dem Akteninhalt, eine für die Tat angemessene Strafe verhängen oder freisprechen.
Ein Großteil der Arbeit eines Verteidigers zusammen mit dem Beschuldigten besteht in der Aufarbeitung des Akteninhalts, der heute immer noch aus schriftlichen Zeugenaussagen, Vermerken oder anderen Schriftstücken besteht, die in die Hauptverhandlung eingeführt werden müssen. Dies führt gerade bei Zeugenaussagen regelmäßig zu Überraschungen, da der ermittelnde Protokollant einen Fokus auf diejenigen Details legt, die zur Aufklärung der Straftat und Verurteilung des Beschuldigten führen sollen. Es gehen bei dieser Vorgehensweise viele Einzelheiten verloren, die der Zeuge möglicherweise angesprochen hat. Regungen, Gefühle, der von dem Zeugen gewählte Ton, Mimik oder Erregung gehen für die Wahrheitsfindung verloren, da sie in den meisten Fällen nicht dokumentiert werden. Das ist gesetzlich auch nicht vorgeschrieben. Der Strafverteidiger ist bei den polizeilichen Vernehmungen der Zeugen normalerweise nicht dabei und von der technischen Aufzeichnung eines Videoprotokolls wird nur selten Gebrauch gemacht. Die Videovernehmung sollte vorgeschrieben werden. Das ist eine alte Forderung der Strafverteidigervereinigungen, die die Rechte der Beschuldigten stärkt. Es liegt in der Natur des Menschen, dass je öfter jemand über seine Erinnerung redet, der sich erinnernde die Reaktion seines Gegenübers reflektiert und sich seine Aussage und sein Erinnerungsvermögen mit jedem Mal verändert.
Der Beschuldigte im Strafprozess hat die bestmögliche Verteidigung verdient. Es kommt weder auf die Frage an, ob es sich um eine Pflicht- oder Wahlverteidigung handelt, denn jeder auf das Strafrecht spezialisierte und engagierte Verteidiger liefert insoweit eine professionelle Leistung ab, noch spielt eine persönliche Betroffenheit eine Rolle. Hier geht es um Professionalität und Spezialisierung. In Zeiten, wo jeder mit Bildern schier unglaublicher Grausamkeiten konfrontiert wird, sei es in Verfilmungen skandinavischer Kriminalfälle oder Beschreibungen aus Kriegsgebieten oder Videoinhalten der Terrormilizen des IS überrascht mich die Grausamkeit, die Dimension, die eine Tat ausdrückt nur selten. Allzu oft werden Taten, die es so immer schon gegeben hat, in der öffentlichen Wahrnehmung gepusht, obwohl es sich nur um wenige Einzelfälle handelt, die diese furchtbaren Kriterien tatsächlich verwirklichen. Viele Kollegen helfen sich mit der Floskel weiter: „Ich verteidige den Täter und nicht die Tat“. Ich aber glaube, dass ich mit meinen Erfahrungen, die Möglichkeiten aufzuzeigen kann, die ein Angeklagter nach dem Ermittlungsergebnissen noch hat. Das kann ein Freispruch oder für einen Teil der angeklagten Taten ein Freispruch oder eine Einstellung bedeuten. In den meisten Fällen läuft es auf ein Strafmaß in dem gesetzlich vorgegebenen Strafrahmen hinaus, dass dem Täter mit seiner persönlichen Schuld gerecht wird. Kriterium für die Übernahme einer Verteidigung kann daher weder die Schwere der Schuld noch die Umstände der Tat sein: Der Verteidiger entschuldigt nicht den Täter, sondern berät seinen Mandanten.
Das schärfste Schwert der Verteidigung ist das Recht jedes einzelnen Beschuldigten oder Angeklagten zu schweigen. Niemand muss an seiner eigenen Verurteilung mitwirken: der Polizei die Arbeit abnehmen. Ein Geständnis verkürzt immer das Verfahren, auch wenn es falsch ist. Es führt jedenfalls dazu, dass die Ermittlungsbehörden regelmäßig anderen Alternativen weniger Beachtung schenken, was die Verteidigung bei einem zu Recht zu erfolgenden Widerruf des Geständnisses erschwert.
Niemand macht sich verdächtig, wenn man sich von einem spezialisierten Strafverteidiger beraten lässt. Es ist auch nicht moralisch verwerflich, wenn man zu einem Vorwurf schweigt. Sie gelten als unschuldig, bis das Gericht ein Urteil fällt. Darum berufen Sie sich als Beschuldigter auf Ihr Recht zu Schweigen und machen keine Angaben gegenüber den Ermittlungsbehörden ohne die fachliche Beratung eines Strafverteidigers!
Dirk Uden
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