Wasserstoffsicherheit

Abbildung: Explosion und anschließender Brand an einer Wasserstofftankstelle in Sandvika, Norwegen am 10. Juni 2019. Der Auslöser: war eine unsachgemäße Montage eines Hochdruckflansches.

von Prof. Dr.-Ing. Thomas Jordan,
Gruppe Wasserstoff, Institut für Thermische Energietechnik und Sicherheit (ITES), KIT

Die Gruppe Wasserstoff am ITES
Die Gruppe Wasserstoff am ITES des KIT beschäftigt sich vorrangig mit dem Thema Wasserstoffsicherheit. Die Gruppe wurde 1986 am damaligen Kernforschungszentrum Karlsruhe gegründet, um Sicherheitsbehälter von deutschen Kernreaktoren gegen Wasserstoffexplosionen abzusichern. Anlass war der Reaktorunfall in Tschernobyl, bei dem – ähnlich wie später in Fukushima – eine heftige Wasserstoffexplosion entscheidend zum Unfallverlauf beitrug. Spezielle Simulations-Softwares (GASFLOW-MPI und COM3D) wurden in der Gruppe entwickelt und große Experimente, welche die relevanten Skalen abdecken, aufgebaut.
Schon bald wurde die Expertise auf nicht-nukleare Themen, insbesondere die Nutzung von Wasserstoff als Energieträger oder CO2-freier Treibstoff übertragen. So wurde zum Beispiel das Wasserstoff-Testzentrum HYKA (Abbildung 1) in einer Kooperation mit BMW mit einer wasserstoff-kompatiblen Testzelle für mit Wasserstoff betriebene Fahrzeuge erweitert und Leitfäden für den sicheren Umgang mit Wasserstoff in Kfz-Werkstätten zusammen mit Versicherungsunternehmen entwickelt. Die Wasserstoffgruppe arbeitet international stark vernetzt und nimmt durch die besondere Expertise und Forschungsinfrastrukturen eine international führende Position zu dem Thema Wasserstoffsicherheit ein.

Ist Wasserstoff sicher?
Nicht erst seit der Veröffentlichung der Nationalen Wasserstoffstrategie im Juni 2020 ist klar, dass Wasserstoff ein unvergleichliches Potenzial als Energiespeicher und über die Sektorenkopplung* auch als Brenn- und Treibstoff für die tiefe Dekarbonisierung unserer Energielandschaft bietet. Auf Messen, bei Fahrten mit dem Wasserstoff-Busshuttle und Veranstaltungen wie dem Tag der offenen Tür hört man jedoch immer wieder die Frage: Ist Wasserstoff sicher? Auf diese Frage gibt es eine kurze und eine ausführlichere Antwort. Für beide Antworten sei vorausgesetzt, dass „sicher“ als frei von nicht-akzeptierten Risiken verstanden wird und damit eine technische Größe, nämlich das Risiko, mit der gesellschaftlichen Frage der Akzeptanz verbindet.

Zunächst die kurze Antwort: Wasserstoff selbst ist nicht sicherer oder unsicherer als jeder andere Energieträger. Wesentlich ist, wie man mit ihm umgeht.
Nun ins Detail. Um Wasserstoff sicher nutzen zu können, muss man seine besonderen Eigenschaften kennen. Wasserstoff ist unter Normalbedingungen ein sehr leichtes Gas mit hohen Diffusionseigenschaften*, in einem sehr weiten Mischungsbereich in Luft leicht zündfähig und brennt relativ schnell unter Bildung von Wasser. Die Flamme ist im Freien kaum sichtbar und strahlt dabei relativ schwach, vor allem im UV-Bereich. Sind Wasserstoff und Luft ausreichend und intensiv vorgemischt, kann die Verbrennung sehr schnell ablaufen und große Druckwirkungen erzeugen. Die Eigenschaften wurden gerade entlang einer typischen Unfallsequenz beschrieben: Freisetzung, Durchmischung mit Luft, Zündung und Flammenbeschleunigung. Obwohl gewisse Ähnlichkeiten zu den Eigenschaften von Methan (dem Hauptbestandteil von Erdgas) existieren, unterscheidet sich Wasserstoff davon insbesondere hinsichtlich sicherheitsrelevanter Größen. Die besonders hohe Diffusivität, die weiten Zündgrenzen* und die Tendenz zu schnellen Verbrennungsvorgängen müssen für eine sichere Auslegung und einen sicheren Betrieb berücksichtigt werden.

Der Explosionsschutz, beispielsweise in den ATEX-Richtlinien der Europäischen Union festgelegt, führt dazu hierarchisch gestaffelte Barrieren ein, um die typische Unfallsequenz so früh wie möglich zu unterbrechen. Grundlegend ist der sichere Einschluss von Wasserstoff, da ein Brenngas ohne Vorvermischung mit dem Reaktionspartner Luft selbst nicht reagieren kann. Druckbehälter oder Kryostaten* für Flüssigwasserstoff LH2 und deren Anschlüsse müssen natürlich ingenieursmäßig korrekt ausgeführt werden. Dabei muss besonderes Augenmerk auf die Materialauswahl gelegt werden. Die meisten metallischen Strukturwerkstoffe sind zwar auch für Wasserstoff geeignet, hochfeste Stähle und viele Kunststoffe dagegen nicht, da sie verspröden bzw. der Wasserstoff durch sie diffundiert. Geschraubte Verbindungen müssen wegen der hohen Diffusivität von Wasserstoff und seinem Potenzial zur Materialschädigung besonders sorgfältig hinsichtlich der Materialauswahl ausgelegt, abgedichtet und kontrolliert werden. Bei einer mangelnden Qualitätskontrolle von geschraubten Verbindungen kann es sonst zu Unfällen wie dem an einer Wasserstofftankstelle nahe Oslo im Jahr 2019 kommen. Es ist daher ratsam, geschweißte Verbindungen zu wählen. Auch hier ist jedoch eine geeignete Schweißtechnik und die Wahl der Materialien zu beachten sowie die thermische Nachbehandlung.

Abbildung: Testbehälter V30 (links stehend) und H110 (in der Mitte liegend) des Wasserstoff-Testzentrums HYKA (KIT Campus Nord).

Abbildung: Ergebnis einer Verteilungs- und Explosionssimulation mit der Software GASFLOW-MPI für ein extremes Unfallszenario in einem Tunnel, bei dem es zu einer Freisetzung von 5 Kilogramm Wasserstoff, axialer Ventilierung und einer starken späten Zündung an der Decke kommt.

Tritt Wasserstoff trotzdem aus dem Gefäß aus, sollte eine Vermischung mit Luft vermieden werden. Dies kann durch Inertisierung* der Umgebung oder durch Verdünnung über Ventilierung geschehen. Alternativ kann durch das Aufstellen der Anlage im Freien die Auftriebswirkung und die Diffusivität von Wasserstoff für eine effektive Entmischung genutzt werden. Auf der nächsten Ebene des Explosionsschutzes muss dann eine Zündung der brennbaren Wasserstoff-Luft-Mischung vermieden werden. Dies geschieht u. a. durch elektrische Erdung oder Auswahl entsprechend geschützter Geräte in den Zonen, in denen zündfähige Mischungen (4–75 vol% H2 in Luft) auftreten können. An einer Wasserstofftankstelle muss der Boden leitfähig sein, die Personen dürfen keine Handys fallen lassen und sich keine Zigarette anzünden. E-Zigaretten sollten genau wie Handys im Auto bleiben. Diese Vorsichtsmaßnahmen unterscheiden sich nicht von denen an konventionellen Tankstellen oder anderen Anlagen, in denen mit brennbaren oder explosiven Substanzen hantiert wird. Die gesetzliche Grundlage ist die sogenannte ATEX-Direktive, die in der EU als Mindestanforderung in entsprechende nationale Regularien übersetzt wurde. Die letzte Barriere und die dritte Ebene des Explosionsschutzes besteht darin, sensitive Anlagenteile und Personen vor den Folgen einer Wasserstoff-Verbrennung oder einer Explosion zu schützen. Die Neigung von vorgemischtem Wasserstoff und Luft, eine schnelle Flamme mit entsprechend hoher Druckwirkung zu entwickeln und damit nach der Zündung in eine Explosion zu münden, spielt dabei eine wichtige Rolle. Bei den Gasexplosionen unterscheidet man Unterschall-Verbrennungen, sogenannte Deflagrationen (landläufig „Verpuffung“), und Detonationen, bei denen die Reaktion an die starke Druckwelle gekoppelt ist. Detonationen breiten sich mit Überschallgeschwindigkeit aus und können Druckspitzen von bis zu 20 bar erzeugen. In der chemischen Industrie spielen sie bisher in den Risikoanalysen eine untergeordnete Rolle, da bei Unfällen mit anderen Brenngasen Detonationen sehr unwahrscheinlich sind (Ausnahme: Acetylen). Um die Beschleunigung der Flamme und ein Umschlagen in eine Detonation zu vermeiden, sollte der Raum um Wasserstoffanlagen wenig verbaut und nicht fest umschlossen sein. Personen und Anlagenteile können durch massive Wände geschützt werden, Scheiben sollten aus Sicherheitsglas sein. Der Abstand zu Speichern oder Leitungen stellt eine weitere passive Schutzmaßnahme dar.

Viele der beschriebenen Maßnahmen sind aus der weit verbreiteten industriellen Nutzung von Wasserstoff zumindest entsprechend ausgebildetem Fachpersonal bekannt. Unfälle mit Wasserstoff in der Industrie sind daher relativ selten (siehe Datenbank HIAD*). Die neuen Anwendungen von Wasserstoff als Energieträger bringen jedoch zwei neue, wesentliche Aspekte mit sich. Erstens braucht Wasserstoff insbesondere für Mobilitätslösungen unkonventionell hohe Speicherdrücke (bis 700 bar im Pkw) oder sehr niedrige Temperaturen (-253°C für LH2-Speicherung). Zweitens sollen diese innovativen Lösungen dem Laien an die Hand gegeben werden, ohne ihn zu einem Wasserstoffsicherheits-Experten ausbilden zu müssen.

Schlaglichter auf aktuelle Arbeiten
Um zu gewährleisten, dass trotz dieser besonderen Aspekte Sicherheit keine Hürde für die schnelle und sichere Einführung von Wasserstoff als Energieträger darstellt, hat die Internationale Gesellschaft für Wasserstoffsicherheit HySafe, bei der das KIT Gründungsmitglied ist, zusammen mit der Industrie eine periodisch aktualisierte Prioritätenliste für die Forschung zur Wasserstoffsicherheit entwickelt. Die gegenwärtig wichtigsten Themen sind u. a. Sicherheit in Tunneln und umschlossenen Räumen, besseres Verständnis des unfallbedingten Verhaltens von LH2, Reduktion von Überkonservativitäten* sowie günstige und leichte wasserstoffkompatible Strukturmaterialien für Speicher und Leitungen. Die Wasserstoffgruppe arbeitet an der Beantwortung dieser hoch priorisierten Fragestellungen über grundfinanzierte Arbeiten und durch Mitarbeit in und Koordinierung von europäisch über das FCH 2 JU finanzierten Projekten.

In dem Projekt HyTunnel-CS wird die Wirksamkeit von konventionellen Sicherheitseinrichtungen bei Unfällen in Tunneln analysiert. Die Wasserstoffgruppe führt hierzu wesentliche Analysen und Experimente zur Wechselwirkung von Wassersprays mit Wasserstoffverteilung und -verbrennung durch. Abbildung 3 veranschaulicht die mit der Software GASFLOW-MPI berechnete Druckwirkung einer spät gezündeten Wasserstoff-Luft-Wolke in einem Tunnel. Eine schwache axiale Ventilierung wurde dabei berücksichtigt. Im vom KIT koordinierten Projekt PRESLHY wird mit mehreren europäischen Partnern das Verhalten von Flüssigwasserstoff bei Unfällen untersucht. Ein umfangreiches experimentelles Programm wird für die Phänomene Vermischung, Zündung und Verbrennung unter extrem niedrigen Temperaturen am KIT durchgeführt. Abbildung 4 zeigt beispielhaft die Auswirkungen der Zündung einer kalten Gaswolke über einem Flüssigwasserstoff-Pool. Die Erkenntnisse aus dieser „pre-normativen“ Forschung werden in eine ISO Norm zum sicheren Umgang mit Flüssigwasserstoff zusammengefasst.

Sicherheit ist ein zentrales Gut in unserer Gesellschaft und hängt nicht nur von der technischen Realisierung, sondern auch von der Akzeptanz auf individueller und gesellschaftlicher Ebene ab. Wasserstoff für sich gesehen verhält sich im Allgemeinen, insbesondere im Freien, sehr friedlich. Mit dem heutigen Wissen lassen sich schon nahezu alle erdenklichen, neuen Lösungen sicher gestalten. Dieses Wissen muss noch weiter in aktualisierte Normen und sich darauf beziehende Regulierungen übersetzt werden, um effiziente und sichere Zulassungsprozesse zu ermöglichen und teure Überkonservativität zu vermeiden. Schließlich wird so über ein solides, wissenschaftliches Fundament Vertrauen in diese attraktive Technologie gewonnen.