Wasserstoffinfrastruktur
Aufbau einer effizienten Wasserstoffinfrastruktur
Abbildung: Optimale Platzierung von Elektrolyseuren im deutschen Stromsystem für 2030.
von Armin Golla, Frederik vom Scheidt, Gruppe Smart Grids & Energy Markets,
Institut für Wirtschaftsinformatik und Marketing (IISM), KIT
Um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, müssen die Treibhausgas-Emissionen spätestens bis 2050 auf Null reduziert werden. Dazu ist ein umfassender Umbau unseres Energiesystems nötig. In der Forschungsgruppe Smart Grids and Energy Markets am Institut für Wirtschaftsinformatik und Marketing des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) entwickeln und bewerten wir ökonomische Mechanismen zur Koordination von Angebot und Nachfrage in zukünftigen, digitalisierten Energiesystemen. Unser übergeordnetes Ziel ist dabei, den Aufbau eines nachhaltigen Energiesystems unter Berücksichtigung individueller Präferenzen und gesellschaftlicher Entwicklungen zu unterstützen.
Für solche nachhaltigen Energiesysteme sind die Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors von großer Bedeutung, da sie 15 Prozent der globalen energiebezogenen Emissionen ausmachen und aktuell sogar weiter steigen. Innerhalb dieses Sektors sind PKW, LKW und der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) für über drei Viertel der Emissionen verantwortlich. Daher sind Maßnahmen in diesen Teilsektoren von großer Bedeutung. Brennstoffzellenfahrzeuge, die mit emissionsfrei hergestelltem Wasserstoff betrieben werden, können hier einen Beitrag leisten. Die Bundesregierung hat für das Jahr 2030 konkrete Ziele für den Verkehrssektor sowohl für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen als auch für die Nutzung von Wasserstoff festgelegt. Die verkehrsbedingten Emissionen sollen im Vergleich zu 1990 um 40 bis 42 Prozent reduziert werden. In der Nationalen Wasserstoffstrategie hat die Regierung im Juni 2020 angekündigt, den Ausbau von Wasserstofftankstellen voranzutreiben. Um der neuen Nachfrage gerecht zu werden, sind zudem fünf Gigawatt an inländischer Wasserstoffproduktionskapazität bis 2030 geplant. Diese Produktion soll aus sogenannten Elektrolyseuren kommen, einer Technologie, die unter Einsatz von Strom Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspaltet.
Forscher haben gezeigt, dass das sinnvollste Einsatzgebiet von Wasserstoff im ÖPNV und Schwerlastverkehr liegt. Auch Schiffs- oder Flugverkehr kann langfristig darauf umgestellt werden. Aufgrund der deutlich kürzeren Ladezeiten im Vergleich zu Batterie-Elektrofahrzeugen sowie einer höheren gravimetrischen Energiedichte ist der Einsatz von Wasserstoff für den Betrieb von Bussen und LKW eine interessante Alternative. Mögliche Formen der Versorgung von Tankstellen mit Wasserstoff sind entweder die dezentrale Erzeugung vor Ort mit Hilfe von kleineren Elektrolyseuren („on-site“) oder die zentrale Erzeugung in großen Elektrolyseuren und anschließende Anlieferung durch Tankwagen und/oder Pipelines („off-site“). Im Folgenden stellen wir zu jedem Fall ein aktuelles Forschungsprojekt vor.
Abbildungen: links: Start- und Endpunkte der Buslinien rund um den Marktplatz in Karlsruhe.
rechts: Detailplanung einer Busverbindung in der Karlsruher Innenstadt.
On-site Produktion durch Elektrolyse hat den Vorteil, dass Abhängigkeiten von externen Produzenten verringert werden und zusätzliche Emissionen und Kosten für den Transport entfallen. Für die Elektrolyse vor Ort können grundlegend drei Arten von Elektrolysetechniken unterschieden werden: Alkalische Elektrolyse (AEL) mit einem flüssigen, sauren Elektrolyten, Protonenaustauschmembran-Elektrolyse (PEMEL) mit einem Festpolymerelektrolyt und Hochtemperaturelektrolyse (HTEL) mit einem Festoxidleiter als Elektrolyt und Membran. Alle drei Technologien haben unterschiedliche Vor- und Nachteile hinsichtlich Wirkungsgrad, Kosten und technischen Voraussetzungen. Während PEMEL und AEL technisch schon sehr weit fortgeschritten sind und bereits fertige Produkte am Markt existieren, befindet sich HTEL noch in der Entwicklungsphase. Nach bisherigem Stand existiert die eine ideale Elektrolysetechnologie noch nicht. In Deutschland ist aktuell die Alkalische Elektrolyse die am weitesten verbreitete Technologie. Für die Analyse von on-site Elektrolyse sind gerade die Wasserstoffgestehungskosten, also die Kosten zur Bereitstellung von Wasserstoff an der Tankstelle von zentraler Bedeutung. Neben den technologischen Kosten spielt dabei die Besteuerung der Wasserstoffherstellung eine große Rolle. Während bei unveränderter Steuerlage je nach verwendeter Technologie die Produktion von einem Kilo Wasserstoff etwa 9,90€ bis 12,25€ kostet, können diese bei einer Steuer-, Umlagen- und Abgabenbefreiung von Strom auf 4,88€ bis 7,28€ fallen und wären heute schon konkurrenzfähig zu herkömmlichen Kraftstoffen (WasserstoffVerkaufspreis*). In der Nationalen Wasserstoffstrategie spricht sich das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) für eine weitgehende Befreiung von Steuern, Abgaben und Umlagen für Strom zur Herstellung von grünem Wasserstoff aus. Insbesondere wird eine Befreiung von der EEG-Umlage angestrebt.
Ein mögliches Einsatzgebiet von on-site Elektrolyse, welches wir im Rahmen eines Projektes an unserem Lehrstuhl untersuchen, ist der Betrieb einer Wasserstoff-Busflotte für den öffentlichen Nahverkehr. Am Beispiel des Karlsruher Nahverkehrsnetzes haben wir den täglichen Wasserstoffverbrauch einer Wasserstoff-Busflotte mit unterschiedlicher Größe bestimmt. Wie in Abbildung 1 und Abbildung 2 zu sehen, werden zunächst alle Buslinien im Karlsruher Verkehrsnetz mit Start- oder Endhaltepunkt im Umkreis von drei Kilometern um den Marktplatz identifiziert und danach inklusive der Zwischenhaltestellen in die Optimierung aufgenommen. Mit diesen Daten können wir eine auf die on-site Produktion abgestimmte Fahrtenplanung entwickeln, um die notwendige Kapazität der on-site Elektrolyse optimal zu wählen. Die Elektrolyse-Kapazität stellt einen großen Kostenfaktor für die on-site Produktion da, da die Größe der Anlage anhand des maximalen Wasserstoffverbrauchs innerhalb einer Periode bestimmt wird. Eine schlechte Verteilung führt zu hohen Lastspitzen, somit müssen große (und teure) Elektrolyseuranlagen vor Ort gebaut werden. Für das Beispielszenario kann durch eine Optimierung der Last an der Tankstelle ein um 20 Prozent kleinerer Elektrolyseur, verglichen mit einer naiven Tankplanung (es wird getankt, sobald ein Bus im Depot ankommt), genutzt werden. Dadurch können die Umrüstkosten bei der Umstellung zu Wasserstofftechnologie erheblich gesenkt werden. Darüber hinaus lassen sich mit einer Einführung von Wasserstoffbussen für die Karlsruher Innenstadt die lokalen CO2-Emissionen aus dem Busverkehr auf nahezu Null herabsetzen. Deutschlandweit gesehen reicht die lokale Erzeugung von Wasserstoff vor Ort allein jedoch nicht aus, um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen.
Zentralisierte Erzeugung von Wasserstoff bietet den Vorteil von Skaleneffekten. Aus der Sicht des Elektrizitätssystems sind solche zentralen Elektrolyseure allerdings neue Großverbraucher, da sie einen großen Strombedarf haben. Falls diese Elektrolyseure an ungünstigen Stellen im Stromsystem platziert werden, kann das zu Netzengpässen führen. Solche Netzengpässe können mit hohen Kosten verbunden sein, dar sie verhindern, dass günstiger Strom verbraucht werden kann, oder Netzausbau nötig machen. Deshalb ist es besonders wichtig zu planen, wo Elektrolyseure in Zukunft in Deutschland gebaut werden. Man spricht hier von „Sektorenkopplung“.
Wir haben darum in Zusammenarbeit mit Studierenden und Kollegen vom MIT im Rahmen von Abschlussarbeiten und Seminaren zwei Optimierungsprobleme aufgestellt – eines für das Stromsystem und eines für ein zukünftiges Wasserstoffsystem – und diese miteinander verknüpft. Durch Lösen der Probleme mit dem Gurobi-Optimierer – implementiert in der Programmiersprache Python – haben wir damit die Standorte identifiziert, die nicht nur kostengünstige Wasserstofferzeugung ermöglichen, sondern auch das Stromsystem entlasten würden. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Elektrolyseure im kostenminimalen Fall vor allem im Norden Deutschlands installiert werden sollten (siehe Abbildung). Obwohl dies zu größeren Transportdistanzen und -kosten als bei on-site Elektrolyse führt, sind in diesem Szenario die Gesamtkosten niedriger, da besonders günstiger Strom aus Windanlagen in Norddeutschland genutzt werden kann. Die zwei vorgestellten Projekte zeigen, wie wichtig es ist, für den Aufbau eines nachhaltigen Energiesystems die Sektoren Strom, Wasserstoff und Verkehr gemeinsam zu analysieren.
* WASSERSTOFF-VERKAUFSPREIS
Der aktuelle Wasserstoff-Verkaufspreis an Tankstellen in Deutschland liegt einheitlich bei 9,50€ / kg. Ein kg Wasserstoff reicht bei einem PKW für etwa 100 Kilometern Reichweite.
Die Gruppe Smart Grids & Energy Markets am Institut für Wirtschaftsinformatik und Marketing, KIT
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Dieser Artikel ist im Rahmen einer Artikelreihe zum Thema Wasserstoff-Forschung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) entstanden. Hier geht es zu den anderen Beiträgen: