Urheberrecht
Von Kraftwerk bis zu Artikel 17 – Urheberrecht in Zeiten von Digitalisierung und Vernetzung
„Metall auf Metall“ ist eine der längsten Rechtsstreitigkeiten des Urheberrechts: Viermal wurde der Fall bislang vor dem Bundesgerichtshof (BGH) verhandelt und je einmal hatten das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und der Europäische Gerichtshof (EuGH) geurteilt. Seit Klageerhebung sind rund 25 Jahre vergangen, der Beginn des Streits reicht sogar beinahe ein halbes Jahrhundert zurück und noch immer ist ein Ende nicht in Sicht. Was war geschehen?
von Prof. Dr. Thomas Dreier
1977 veröffentlichte die Musikgruppe Kraftwerk, Wegbereiter der elektronischen Musik, das Album Kraftwerk – Trans Europa Express, auf dem sich unter anderem das Stück Metall auf Metall befindet. 20 Jahre später entnahm der Hip-Hop-Produzent Moses Pelham daraus eine etwa zwei Sekunden lange Rhythmussequenz und unterlegte dieses Sample dem Song Nur mir der Sängerin Sabrina Setlur in fortlaufender Wiederholung. Die Kraftwerk-Musiker Ralf Hütter und der kürzlich verstorbene Florian Schneider-Esleben sahen dadurch ihre Rechte als Tonträgerhersteller verletzt. Im Kern geht es um die Frage, ob Nachfolgebands fragen müssen, ehe sie fremde Samples nutzen dürfen, und vor allem, ob sie für die Verwendung von Samples bestehender Stücke Lizenzgebühren entrichten müssen. Der Streit ging nicht einmal um ein etwaiges Urheberrecht an der gesampelten Tonfolge, sondern allein um die erneute Verwendung eines kleinen Teils eines fremden Tonträgers. Die Problematik bei diesem Tonträgerschutz ist jedoch dieselbe wie bei Musikkompositionen und allen anderen urheberrechtlich geschützten Werken, unabhängig davon, ob es sich um Texte, Musikwerke oder um Bildwerke handelt.
Wie funktioniert nun das Urheberrecht? Als Recht zum Schutz von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst, schützt das Urheberrecht – wie es im deutschen Urheberrechtsgesetz (UrhG) programmatisch heißt – „den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes. Es dient zugleich der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes. Zu diesem Zweck gewährt das Gesetz den Urhebern ausschließliche Rechte hinsichtlich der Verwertung ihrer Werke. Mit anderen Worten, jede Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines geschützten Werkes bedarf grundsätzlich der Zustimmung des Urhebers bzw. der Urheberin, sofern nicht eine Ausnahmebestimmung wie die Privatkopierfreiheit oder die Panoramafreiheit greift. Die Erlaubnis ist entweder vom Urheber selbst (und nach dessen Tod von den Erben) oder von demjenigen einzuholen, dem der ursprüngliche Urheber die Rechte abgetreten hat, je nach Lage des Falles also vom Verlag, einem Medienunternehmen oder einem Filmproduzenten. Ein nicht geringer Teil der Rechte wird auch kollektiv von Verwertungsgesellschaften – im Bereich der Musik also von der GEMA – wahrgenommen.
Anders als das Eigentum an beweglichen Sachen und an Grundstücken währt das Urheberrecht jedoch nicht ewig, sondern endet 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers bzw. der Urheberin. Ab diesem Zeitpunkt ist das Werk gemeinfrei, d. h. von diesem Zeitpunkt an steht es jedem frei, das Werk zu verwerten, ohne dass dazu eine Lizenz nötig oder eine Vergütung zu zahlen ist. Mit Ausnahme insbesondere der Rechte an Darbietungen ausübender Künstler sowie der Rechte von Tonträgerherstellern und Filmproduzenten ist dagegen nicht entscheidend, wann ein Werk geschaffen oder erstmals veröffentlicht worden ist. Auch ein Werk, das von einem 1900 geborenen Urheber 1920 geschaffen wurde, ist momentan noch immer geschützt, wenn dessen Urheber noch nicht 70 Jahre tot ist. Die gesamte Schutzdauer eines Werkes kann daher durchaus einhundert oder mehr Jahre betragen. Da die Frist nicht mit dem individuellen Todestag zu laufen beginnt, sondern immer erst mit Beginn des auf das Todesdatum folgenden Jahres, sind im Jahr 2020 alle Werke noch urheberrechtlich geschützt, deren Urheber am 01. Januar 1950 noch gelebt haben. Das bedeutet zugleich, dass inzwischen die Werke all derjenigen Urheber gemeinfrei sind, die im zweiten Weltkrieg umgekommen oder von den Nationalsozialisten ermordet worden sind.
Wer ein fremdes geschütztes Werk, dessen Schutzfrist noch nicht abgelaufen ist, ohne die erforderliche Zustimmung nutzt, riskiert vom Rechteinhaber als „Verletzer“ abgemahnt zu werden. Zugleich kann er dazu verurteilt werden, die weitere Verwertung zu unterlassen und für die bereits erfolgte Verletzung Schadensersatz zu zahlen. Darüber hinaus hat der „Verletzer“ die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen. In der Praxis bedeutet das, dass für jedes einzelne Werk eine gesonderte Lizenz zu erwerben ist. Das ist dann besonders mühsam, wenn z. B. in einem Internetauftritt oder in einer App eine Vielzahl von Werken oder auch nur Werkteilen verwendet werden soll, die nicht alle aus derselben Quelle stammen. Die Ermittlung der Urheber und Verhandlungen mit Rechteinhabern können sich hier durchaus aufwändig gestalten. Einfacher ist dagegen der Erwerb von Rechten, die von Verwertungsgesellschaften, z. B. der GEMA, wahrgenommen werden.
Auch in der Theorie werfen Digitalisierung und Vernetzung eine Fülle von Fragen auf. Eine Frage geht dahin, wie mit den neuen Geschäftsmodellen der Verwertung fremder, urheberrechtlich geschützter Werke zu verfahren ist. Selfies und die in sozialen Medien vielfach geteilten Bilder erfüllen eine gänzlich andere Funktion als Bilder vor Erfindung des Smartphones. Und doch kommt auf sie ein Recht zur Anwendung, das ursprünglich die Verwertung traditioneller Gemälde, Drucke und analoger Fotografien geregelt hat. Besonders heftig wird darüber gestritten, wie die Rolle der Betreiber von Plattformen wie YouTube zu behandeln ist. Wird hier nur eine neutrale Infrastruktur zur Verfügung gestellt, oder bietet YouTube nicht doch einen Dienst an, für den Google die entsprechenden Rechte erwerben müsste? Letzteres ist genau das, was die Rechteinhaber fordern. Die Nutzer hingegen befürchten, dass dies das Ende des freien Teilens bedeute, und sie haben dieser Befürchtung in den Protesten gegen „Art. 13“ (jetzt Art. 17) der Urheberrechtsrichtlinie sichtbar Ausdruck verliehen. Der europäische Gesetzgeber hat sich in dieser Frage für eine Zwischenlösung entschieden. Nach wie vor unklar ist allerdings, ob diese Zwischenlösung ohne die von den Nutzern geschmähten Uploadfiltern auskommen wird. Eine weitere Frage ergibt sich aus dem Zwiespalt, dass Urheberrechtsgesetze einerseits immer nur national begrenzt gelten, dass Werke im Netz aber von überall auf der Welt abgerufen werden. Braucht, wer Werke ins Netz stellt, weltweite Rechte zur Verwertung? Das könnte vor allem bei Musik, die grenzüberschreitend konsumiert wird, teuer werden. Sind die Rechte territorial in unterschiedliche Hände vergeben, so erweist sich auch der Rechteerwerb als mühsam. Und was ist, wenn ein „Verletzer“, der aus dem Ausland agiert, im Inland verklagt wird? Kann ein deutsches Gerichtsurteil dann im Ausland vollstreckt werden? Soweit es zu diesen Fragen bereits eine Regelung auf Ebene der EU gibt, sind die nationalen Gerichte an die Auslegung gebunden, die ihnen der EuGH vorgibt.
Die Antworten auf diese Fragen sind nicht immer einfach. Der Kurzkommentar, der das Zusammenspiel der Gesetzesbestimmungen erklärt und die dazu ergangenen Gerichtsentscheidungen anführt, hat einen Umfang von rund 2600 Seiten! Wir leben nun einmal in einer überaus komplexen und ausdifferenzierten Welt, die keine einfachen Lösungen bereithält. Damit muss man umgehen.
Und wie steht es in dem eingangs erwähnten Rechtsstreit zwischen Kraftwerk und Moses Pelham? Nachdem der BGH mehrere rechtliche Konstruktionen ins Spiel gebracht und das BVerfG die Kunstfreiheit hochgehalten hatte, hatte der EuGH dem Schutz des geistigen Eigentums den Vorrang eingeräumt. Nach Auffassung der Luxemburger Richter besteht Raum für die Kunstfreiheit nur insoweit, als das übernommene Sample in der neuen Komposition nicht mehr wiedererkennbar ist. Mit anderen Worten: Die erkennbare Wiederverwendung fremder Samples ist fortan lizenz- und kostenpflichtig.
Prof. Dr. Thomas Dreier, M.C.J.
ist seit 20 Jahren am Karlsruher Institut für Technologie Leiter des Zentrums für Angewandte Rechtswissenschaft (ZAR) und des Instituts für Informations- und Wirtschaftsrecht (IIWR). Zuvor hat er am Münchner Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb gearbeitet. Sein Arbeitsschwerpunkt ist Urheberrecht sowie der kulturwissenschaftliche Blick auf die normativen Aspekte des Visuellen.
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