Zeitzeugen–Über Rolle, Bedeutung und Problematik einer besonderen Quelle

Die meisten werden schon einmal eine Geschichtsdokumentation geschaut haben, in der Zeitzeugen auftreten. Dabei wird auch schnell klar: Diese Menschen spielen eine besondere Rolle in unserer Geschichtswahrnehmung, denn sie waren dabei. Doch seit wann spricht man eigentlich von Zeitzeugen und was macht ihre Rolle genau aus?

von Sara Harbrecht

WAS VERSTEHT MAN UNTER ZEITZEUGEN?
» Zeitzeugen « sind Menschen, die Ereignisse und Entwicklungen der Vergangenheit bewusst miterlebt haben. Hierbei ist es egal, ob sie von diesen betroffen oder aktiv an diesen beteiligt waren.

WANN WURDE DER BEGRIFF ETABLIERT?
Erstmals aufgekommen ist das Konzept des Zeitzeugen im Eichmann-Prozess von 1961 in Jerusalem und bei den Auschwitz-Prozessen von 1963 und 1968. Die Prozesse wurden nicht primär auf schriftlichen Dokumenten, sondern auf Aussagen von Augenzeugen aufgebaut. Dadurch sollte gezielt Emotionalität geschaffen werden. Der *Eichmann-Prozess wurde komplett aufgezeichnet und das Material am Ende jedes Verhandlungstages an Fernsehredaktionen aus aller Welt geschickt. Im Laufe des Verfahrens verschob sich das Interesse des Publikums weg vom Angeklagten und hin zu den Zeugen, den Sprechern des Holocaust. Daher wird der Begriff in Deutschland eng mit dem Nationalsozialismus und der Sichtweise seiner Opfer assoziiert.
Die Idee der Zeitzeugenschaft gibt es allerdings auch in anderen Nationen als Teil der jeweiligen Erinnerungskulturen. Ein Beispiel hierfür wäre das Auftreten von Zeitzeugen zur Erinnerung der Ereignisse im *Vietnamkrieg. Doch auch schon vor der Etablierung des Begriffs gab es das Konzept bereits: Unmittelbar nach der Befreiung im Jahr 1945 wurden entkommene Juden systematisch zu den Ereignissen des Holocaust befragt.

WELCHE FUNKTIONEN HABEN ZEITZEUGEN?
Die Hauptfunktion von Zeitzeugen ist es, eine Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit herzustellen. Als Personen, die historische Ereignisse selbst erlebt haben und darüber berichten können, sind sie wichtig, um Geschichte greifbar zu machen. Allerdings ist immer eines zu beachten: Sämtliches Wissen, welches Zeitzeugen mitbringen, ist subjektiv und meist hoch emotional aufgeladen. Das Wissen der Zeitzeugen basiert außerdem auf Erinnerungen, die mit der Zeit nachlassen oder sich verändern können. Dies leitet zum nachfolgenden Punkt über.

WELCHE PROBLEMATIKEN ERGEBEN SICH BEI ZEITZEUGEN?
Wie bereits erklärt, sind die Erfahrungen und Erinnerungen von Zeitzeugen immer subjektiv, somit also keine allgemeingültigen Fakten. Dies ist insoweit problematisch, da durch Subjektivität ein bestimmtes Bild auf die Vergangenheit geworfen wird, das nicht der faktisch-geschichtlichen Realität entspricht. Dieser Punkt wertet die Rolle von Zeitzeugen keineswegs ab, sollte jedoch bewusst gemacht werden.
Oftmals spricht man auch von » Feindschaft « zwischen den Geschichtswissenschaften und Zeitzeugen, da deren Legitimation über ihre Anwesenheit zustande kommt, wohingegen Wissenschaftler all ihr Wissen erlernt haben. Deswegen wird das Wissen von Zeitzeugen oft höher gewichtet als das der Historiker. Wenn also Ereignisse aus der Erinnerung falsch wiedergegeben werden, werden sie nicht hinterfragt, sondern als legitim aufgenommen.
Mit dem » Aussterben « der Zeitzeugen wird ihre Autorität an Familienmitglieder weitergegeben, die ebenso wie Wissenschaftler keinen eigenen Bezug zu den Ereignissen haben, jedoch über ihr Verwandtschaftsverhältnis Legitimation gewinnen. Die » Brücke « in die Vergangenheit bleibt bestehen. Tatsächlich verlieren die meisten Zeitzeugen nach ihrem Tod schnell an Bedeutung, da die Verbindung mit ihrem Tod gebrochen wird.
Auch wenn man Aussagen von Zeitzeugen also nicht unbedingt einfach hinnehmen sollte, ist ihr Wissen dennoch wichtig, da sie besonders aus dem Alltag der damaligen Zeit erzählen können. Die Frage sollte deswegen nicht sein, inwieweit Zeitzeugen wertvollere Beiträge zu unserem Geschichtsbild leisten können als Historiker, sondern vielmehr, wie die beiden Parteien gemeinsam Aufklärung leisten können.

* EICHMANN-PROZESS
Im Prozess des NS-Verbrechers Adolf Eichmann 1961 wurden 1.600 Dokumente und über 100 Zeugen zur Hilfe hinzugezogen. Übertragen wurde das Verfahren täglich über Radio und Fernsehen und trug maßgeblich zur Wahrnehmung des Holocaust bei. Am 11. April 1961 wurde Eichmann zum Tode verurteilt.

*VIETNAMKRIEG
Der Krieg wurde zwischen 1955 bis 1975 in Vietnam geführt. Beteiligt waren hier auch die USA, die an der Seite Südvietnams kämpften. Während des Krieges kam es immer wieder zu Kriegsverbrechen durch amerikanische Soldaten, unter anderem dem Massaker von My Lai bei dem über 500 Zivilisten, davon überwiegend Kinder, Frauen und auch ältere Menschen, getötet wurden.

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