Wenn Krankheiten unsere Erinnerungen negativ beeinflussen – Mentale Krankheiten und ihre Auswirkungen

von Lea Lange

Ich möchte, dass ihr die schönste Erinnerung aus den Untiefen eures Gedächtnisses heraufbeschwört und in dieser für eine Minute schwelgt. Ist das nicht schön? Ihr seid vielleicht mit eurer Familie im Urlaub oder einfach nur auf dem Spielplatz in eurer Heimat. Egal welche Erinnerung gerade durch euren Kopf schwirrt, sie ist wichtig für euch. Wenn es uns schlecht geht, denken wir am liebsten an ein schönes Ereignis und können unsere Laune in vielen Fällen wieder heben. In unserem » Gedächtnispalast «,wie manche den inneren Wissensspeicher nennen, sind allerdings nicht nur gute oder neutrale Erinnerungen und Gedanken verankert, sondern auch negative. Diese sind, bis zu einem gesunden Maß, genauso wichtig wie die positiven. Negative Erinnerungen entstehen durch Erfahrung und sind eine Art Frühwarnsystem, dass wir uns nicht erneut in eine ähnliche Situation hineinzumanövrieren. Wir lernen also auf gewisse Weise aus unseren negativen Eindrücken.
Doch was ist, wenn wir gar nicht mehr auf die positiven Seiten zurückgreifen können und nur » Kraft « aus dem Negativen schöpfen? Stellt euch nur eine Sekunde lang vor, ihr würdet nur noch negative Gedanken haben und selbst der lustige Tag auf der Rodelbahn im kühlen Schnee wäre einer eurer schlimmsten. Eigentlich ist das unvorstellbar, oder? Jedoch ist das die harte Realität, welche drei Prozent der deutschen Bevölkerung tagtäglich durchstehen muss.
Die Rede ist von einer mentalen Krankheit, welche sich Borderline-Syndrom (kurz: Borderline) nennt. In erster Linie charakterisiert sich die Borderline-Erkrankung durch eine extreme Wechselwirkung der Gefühlswelt. Dies führt zu einer starken Instabilität, welche sich unter anderem durch Selbstverletzung oder Drogen- und Alkoholmissbrauch äußern kann. Die WHO begründet zwei Arten von Borderline: der impulsive und der Borderline-Typus. Der erste Typ ist vorrangig durch schwer zu kontrollierende Emotionen und dessen Instabilität zu beobachten. Der » reine « Borderline-Typus beinhaltet zusätzlich zu der emotionalen Instabilität ein dysfunktionales Bild über sich selbst, sowie vermehrt Schwierigkeiten mit menschlichen Interaktionen. Eine gesunde Beziehung zu Freunden, Familien oder gar Partner*innen ist in vielerlei Hinsicht schwierig.

WOHER KOMMT DIE BORDERLINE PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG?
Die mentale Krankheit kommt nicht von ungefähr und ist auch nicht von heute auf morgen vorhanden. Sie entwickelt sich über Jahre hinweg und beginnt in den meisten Fällen schon in Kindheitstagen. Es bedeutet auch, dass die Krankheit keine Ursachen im Genom des Menschen hat, jedoch eine Veranlagung vorhanden ist. In Kombination mit »frühkindlichen Traumata«, wie es das Theodor Wenzel Werk Berlin erklärt, ist das Risiko zur Auslösung der Persönlichkeitsstörung höher. Mittlerweile ist bekannt, dass verbale (seelische) und körperliche Gewalt, sowie sexueller Missbrauch zur Entstehung eines Traumas beiträgt, welches Borderline anstoßen kann. Auch sind Trennung der Eltern, der Tod eines Familienmitgliedes oder Freundes ebenso eine Möglichkeit zur Förderung der Krankheit.
Die Zuneigung der Eltern und deren emotionale Unterstützung sind vor allem in den Prägejahren von hoher Tragweite. Wird dieser Beistand nicht gewährleistet, kann es zu einer seelischen Misshandlung führen. Allerdings spielen Gewalt und die sexuelle Peinigung eine nicht geringere Rolle. Meistens wurden in den frühen Kinderjahren wenig bis keine Stabilität oder (gesunde) körperliche Nähe gegeben, wodurch im erwachsenen Alter ein höheres Verlangen danach gehegt wird.

WAS HAT BORDERLINE MIT DEN ERINNERUNGEN ZU TUN?
Das » Ziel « des Borderlinesyndroms ist, so viele negative Gefühle wie möglich in den Betroffenen auszulösen. Das bedeutet auch, dass jedes noch so kleine und glückliche Ereignis diffamiert und hinterfragt wird. Nun findet sich ein negativer Aspekt und wird zum zentralen Punkt gemacht und nur noch darauf fokussiert. Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob diese zerstörerische Ansicht der Wahrheit entspricht oder nicht. Schließlich kann das Gute dem Schlechten nicht mehr standhalten, wodurch eine Veränderung des Tatsächlichen vorgenommen und als neue Wahrheit umstrukturiert wird.

WIE IST DAS EIGENTLICH FÜR DIE ANGEHÖRIGEN DER PERSONEN MIT EINER BORDERLINE-PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG?
Viele Menschen haben noch nie von dieser Krankheit gehört, da sie weder in den Medien noch in der Gesellschaft überwiegend thematisiert wird. Doch zu den Grundfakten, die oben schon beschrieben wurden, möchte ich die Krankheit aus der Perspektive einer Angehörigen beschreiben.
Mein Bruder hat Borderline. Für mich ist das nichts Neues, denn die Diagnose steht bereits seit einigen Jahren fest. Wenn ich Freunden davon erzähle, schauen sie mich in der Regel mit einem
großen Fragezeichen im Gesicht an. Es ist schwierig für mich, diese Krankheit in einfachen und kurzen Sätzen zusammenzufassen und manchmal gelingt es mir auch nicht so richtig. Mittlerweile kann ich die meiste Zeit gut damit umgehen und weiß wie ich mich verhalten oder was ich sagen beziehungsweise nicht sagen sollte. Es gibt immer wieder Momente, in denen ich meinen Bruder nicht wiedererkenne. Wenn ihn eine bestimmte Situation oder auch nur ein einzelnes Wort triggert, ist er wie ausgewechselt. Ganz zu Beginn seiner Diagnose gab es Momente, in denen er der glücklichste Mensch auf Erden war und fünf Minuten später hat er sich, ohne ein Wort zu sagen, umgedreht und ist nach Hause gefahren. Ich denke in solchen Fällen habe ich mich einfach nur hilflos gefühlt. Zum einen konnte ich ihm nicht helfen, da ich als Germanistikstudentin keine psychologische Ausbildung habe und zum anderen war es für mich unverständlich, wieso er auf diese Weise reagiert hat. Heute habe ich verstanden, dass es nicht mein Bruder, sondern das Borderline in ihm ist. Ich denke der Schlüssel, um die Krankheit wirklich zu verstehen ist, dass man in erster Linie den Bruder
vom Borderline trennen muss.
Es gab Phasen, in denen ich mich durch seine Krankheit erdrückt gefühlt habe. Auch hier musste ich mir darüber bewusst werden, dass es nicht mein Bruder, sondern der Borderliner war. » Das ist nicht mein Bruder, das ist seine Krankheit « wurde zu meinem neuen Mantra und ich sprach mir diesen immer wieder vor. Das erdrückende Gefühl kam meistens dann, wenn er ganz tief in seinem »Anfall« gefangen war und wie eine Zwangshandlung mindestens 60-mal hintereinander angerufen, oder mich mit Nachrichten bombardiert hat. Vor allem wenn ich mit Freunden unterwegs war, hat mich das in einen Zwiespalt gebracht, da ich auf der einen Seite die gute, unterstützende Schwester für ihn sein
wollte und zum anderen war es mein gutes Recht Zeit für mich zu haben. Irgendwann musste ich
mir meinen eigenen Raum schaffen und für mich einstehen, indem ich dem Borderline Grenzen setzte.
Die Krankheit zu verstehen und mit den Symptomen dieser umzugehen ist nicht immer einfach. Nur durch Geduld und Zeit kann vieles erreicht werden.

Herausgeber

fuks e.V. – Geschäftsbereich Karlsruher Transfer

Waldhornstraße 27, 76131 Karlsruhe transfer@fuks.org

Urheberrecht:

Alle Rechte vorbehalten. Die Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigungen jeglicher Art sind nur mit Genehmigung der Redaktion und der Autoren statthaft. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider. Der Karlsruher Transfer erscheint einmal pro Semester und kann von Interessenten kostenlos bezogen werden.