Populationsgenetik – Im Fluss der Zeit

von Aron Ziegler

DIE EVOLUTIONSTHEORIE NACH CHARLES DARWIN
Die Evolutionstheorie beschreibt die Entwicklung von Populationen von Lebewesen im Laufe der Zeit. Individuen einer Population besitzen verschiedene Merkmale, die sie an ihre Nachfahren vererben können. Die Merkmalsverteilung einer Population kann sich demnach abhängig vom Fortpflanzungserfolg ihrer Individuen verschieben. Merkmale, die den Fortpflanzungserfolg erhöhen, werden mit höherer Wahrscheinlichkeit vererbt. Dieses Phänomen nennt man natürliche Selektion. Verschiedene Faktoren beeinflussen den Fortpflanzungserfolg eines Individuums. Der Effekt, den diese Faktoren auf die natürliche Selektion haben, nennt man Evolutionsdruck und den Grad der Anpassung an diese Faktoren, gemessen am Fortpflanzungserfolg, bezeichnet man als Fitness. Natürliche Selektion erhöht also die Fitness von Individuen als Resultat des Evolutionsdrucks. Im Folgenden werde ich beleuchten, welche Spuren vergangene und anhaltende Ereignisse und Zustände in Populationen von Tieren und Menschen hinterlassen haben.

JÄGER UND GEJAGTE
Über die letzten Jahrzehnte hinweg ist der Anteil wilder Elefanten in Afrika, die ohne Elfenbein geboren wurden, signifikant gestiegen. Diese Entwicklung ist ein Ergebnis natürlicher Selektion. Elfenbeinhandel ist ein lukratives Geschäft, das einen signifikanten Treiber für die Wilderei von Elefanten darstellt. Wilderer töten also vermehrt Elefanten, die Elfenbein besitzen, um dieses
auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Als Resultat dessen pflanzen sich proportional mehr Elefanten ohne Elfenbein fort und haben damit eine höhere Fitness. Der Evolutionsdruck der Wilderei selektiert für Elefanten ohne Elfenbein.

DIE BERGMANN’SCHE & ALLENSCHE REGEL
Tiere einer Art oder Artengruppe, die über mehrere Klimazonen verteilt auftreten, sind in kälteren Regionen größer (Bergmann’sche Regel) und besitzen kleinere Extremitäten (Allensche Regel) als ihre Verwandten in wärmeren Regionen. Größere Körper verlieren proportional weniger Wärme als kleinere Körper, da sie im Verhältnis zum Volumen eine kleinere Oberfläche aufweisen. Die Extremitäten der meisten Tiere haben im Verhältnis zu deren Körpern eine größere Oberfläche.
Die Bergmann’sche und Allensche Regel beschreiben klimaspezifische Anpassungen, ausgelöst durch den Evolutionsdruck des Klimas, die Tiere in warmen Regionen vorm überhitzen und in kalten Regionen vorm Erfrieren schützen.
Der Schneehase (Lepus timidus) etwa lebt in Tundragebieten, Wäldern und Mooren und ist größer als sein Artgenosse der Feldhase (Lepus europaeus), welcher in lichten Wäldern, Steppen und Dünen aufzufinden ist. Auch hat er kürzere Löffel und Beine als sein Verwandter.

MIGRATION
Über die Geschichte der Menschheit hinweg verbrachten die meisten Menschen ihr
gesamtes Leben in einem relativ beschränkten geographischen Gebiet. Große Migrationsströme ganzer Bevölkerungen oder Bevölkerungsgruppen waren die Ausnahme und in aller Regel ein Resultat von einer drastischen Veränderung. Hungersnöte, Kriege und ähnlich einschneidende Ereignisse sind für einen großen Teil der Völkerwanderungen in der Geschichte der Menschheit verantwortlich. Solche Ereignisse hinterlassen langfristig Spuren in der Bevölkerungszusammensetzung der Welt, die populationsgenetisch messbar sind und Einblicke in Geschehnisse weit in die Vergangenheit ermöglichen. Es gibt aber auch Fälle, in denen eine Zwangsmigration stattgefunden hat. So etwa in den britischen Kolonien in Australien und Nordamerika. Erstere wurden als Gefangenenlager genutzt. In Nordamerika hingegen florierte die Sklaverei, welche sich noch heute in der Bevölkerungsstatistik der vereinigten Staaten niederschlägt. So identifizierten sich im Jahre 2021 über 14% der amerikanischen Bevölkerung selbst als Schwarze oder Afroamerikaner.

KRANKHEIT
Wie bereits erwähnt, beschreibt Fitness die Anpassung von Individuen an ihre Umwelt. Betrachtet man also zwei identische Individuen in verschiedenen Umgebungen, so kann man auch hier einen Unterschied in deren Fitness feststellen.
Die Sichelzellenanämie ist eine genetische Anomalie, die Proteine in den roten Blutkörperchen beeinflusst und zur Sichelform der Zelle führt. Ernsthafte negative Auswirkungen auf die Gesundheit betroffener Personen reichen von einer Anämie, über Gelbsucht bis zu Organversagen. Das Gen das für Sichelzellenanämie kodiert hat jedoch einen entscheidenden Vorteil; Personen mit einer Heterozygoten Veranlagung für Sichelzellenanämie, bei denen es also nur auf einem der beiden korrespondierenden Chromosome vorkommt, sind besonders malariaresistent.
Malaria wird durch einen einzelligen Parasiten ausgelöst, der sich innerhalb von roten Blutkörperchen entwickelt. In Regionen, in denen Malaria endemisch ist, kann das Gen, das für Sichelzellenanämie kodiert, also die Fitness der Merkmalsträger signifikant erhöhen. Tatsächlich betrifft die Sichelzellenanämie fast ausschließlich Menschen afrikanischer und afroamerikanischer Abstammung. Etwa zehn Prozent von ihnen besitzen mindestens ein Gen, das für Sichelzellenanämie kodiert.

Egal ob Tier oder Mensch, der Genpool einer Bevölkerung lässt eine Vielzahl von Rückschlüssen auf ihre Vergangenheit zu. Sowohl auf langfristige Zustände, wie Klima und endemische Krankheiten, als auch auf verhältnismäßig Kurze Ereignisse, wie zum Beispiel Naturkatastrophen und Kriege. Die Populationsgenetik ist ein Werkzeug mit dem Wissen über vergangenes aus dem Genom von Lebewesen, lebensähnlichen Wesen gewonnen werden kann.

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