Über Nihilismus und Absurdismus – Der Übermensch und der Umgang mit der Sinnlosigkeit
Absurdismus und Nihilismus sind zwei philosophische Strömungen, die sich mit der Sinnlosigkeit und dem Umgang des Menschen mit dieser beschäftigen. Im Folgenden werden die beiden philosophischen Strömungen anhand einiger Werke ihrer bedeutendsten Autoren beleuchtet und ihre Bedeutung anhand eines Literaturbeispiels erörtert.
von Aron Ziegler
NIHILISMUS UND NIETZSCHE
Der Nihilismus kann in drei Facetten unterteilt werden:
• Der logische Nihilismus lehnt die Existenz einer Wahrheit ab.
• Der metaphysische Nihilismus lehnt die Existenz einer Realität ab.
• Der ethische Nihilismus lehnt die Existenz einer (Sittenordnung) Allgemein-Moral ab.
Der Verlust des Glaubens an Gott ist für Nietzsche Auslöser des Nihilismus. Ohne den Glauben an Gott wird auch dessen Wahrheit ungewiss und seine Werte bedeutungslos. So schreibt Nietzsche in ‘Zur Genealogie der Moral’ »Nichts ist wahr, alles ist erlaubt.« Er attackiert damit die Basis der Allgemein Moral und enthüllt diese als Resultat göttlicher Werte. Für ihn sind »Glück und Tugend […] keine Argumente.«1 und er erkennt an, dass nicht nur Werte, sondern auch Ängste und Wünsche einen Einfluss auf die eigene Moral haben. »Die Furcht ist […] die Mutter der Moral.«1
Ein weiterer Ansatz Nietzsches ist der Gedanke der ewigen Wiederkunft. Er geht davon aus, dass die Zeit unendlich ist, aber die Welt nur endlich viele Zustände annehmen kann. Daraus folgert er, dass sich jeder Ablauf von Ereignissen schon vollzogen hat und wieder vollziehen wird. Mit anderen Worten: Wir haben alle schon einmal existiert und diese Worte wurden schon einmal geschrieben. Also warum sie erneut niederschreiben, nichts ändert sich und es wird eine Zukunft geben, in der diese Worte geschrieben werden. Ob ich es tue oder nicht.
ÜBERMENSCH UND LETZTER MENSCH
Der Übermensch ist ein Begriff, der erstmals im ersten Jahrhundert vor Christus durch Dionysos Verwendung findet und im Laufe der Zeit immer wieder, teils ernsthaft, teils spöttisch verwendet wurde. In seiner göttlichen Komödie benutzt Dante den Begriff ‘transumanar’ um seinen Aufstieg aus der Menschlichkeit zu beschreiben, während Goethe spottend schreibt: »Kaum bist du Herr vom ersten Kinderwillen, so glaubst du dich schon Übermensch«2
Nietzsche nimmt das Konzept ernst. Für ihn ist der Übermensch die Antwort auf die Sinnlosigkeit des Lebens. Er steht dem ‘letzten Menschen’ gegenüber, dem menschlichen Dasein der Trägheit und Bequemlichkeit in der man »noch [arbeite], denn Arbeit ist eine Unterhaltung. Aber man sorgt, daß die Unterhaltung nicht angreife. Man wird nicht mehr arm und reich: beides ist zu beschwerlich. Wer will noch regieren? Wer noch gehorchen? Beides ist zu beschwerlich.«3 Der Übermensch hingegen steht laut Nietzsche zum Menschen, wie der Mensch zum Affen. Er ist ein Ideal, ein höheres Wesen, dass durch die ‘Umwertung aller Werte’ aus eigener Macht sich selbst dazu befähigt neue Werte aus dem Nichts und damit Sinn für sich zu schaffen.
ABSURDISMUS UND CAMUS
Ähnlich wie der Nihilismus verneint der Absurdismus den Sinn und Zweck der Welt, lehnt jedoch nicht
die Existenz einer universellen Wahrheit ab, sondern lediglich die Fähigkeit des Menschen diese zu erlangen.
Dies liegt begründet in der Diskrepanz zwischen intellektuellen Erkenntnissen (Noumena) und sinnlichen Erkenntnissen (Phänomen). Das ‘absurde’ im Absurdismus ist genau diese allumfassende Diskrepanz zwischen der menschlichen Anstrengung, Wissen und den Sinn des Lebens zu finden und der Unerfüllbarkeit dieses Bedürfnisses, die Camus als »Vergleich zwischen Tatbestand und Realität«4 beschreibt.
Der Absurdismus beschäftigt sich vor allem mit den Folgen dieser Erkenntnis: »die Zufälligkeit unserer höchsten Anliegen[…], und unserer gleichzeitigen Unfähigkeit, unsere Hingabe an sie aufzugeben«4 Daraus folgt die zentrale Sinneskriese des Absurdismus. Ein Problem, dass nur existiert, wenn man sich dessen bewusst ist. In seinem Werk ‘Der Mythos von Sisyphos – Ein Versuch über das Absurde’ zeigt Camus drei mögliche Auswege:
Der Selbstmord, für Camus das einzige »wirklich ernste[s] philosophisches Problem.«4 »Zu wissen, wie man flieht oder warum man bleibt.«4 Für ihn hat »freiwilliges Sterben […] zur Voraussetzung, dass man wenigstens instinktiv das Lächerliche dieser Gewohnheit erkannt hat, […] die Sinnlosigkeit […] des Lebens.«4 Dennoch lehnt er den Selbstmord ab, für ihn ist ein sinnloses Leben nicht gleichzusetzen mit einem Leben dass sich nicht lohnt. Er sieht den Selbstmord als eine Flucht vor dem Absurden. Ähnlich betrachtet er den philosophischen Selbstmord: Dieser sei die Flucht in einen ‘höheren’ Zweck, der ohne Hinterfragen angenommen wird, eine Art Rationalisierung, die dem Menschen das Leben einfacher macht. Man löst zwar das Problem des Absurden, dass nur existiert, wenn man es erkennt, aber verliert auch ihre Erkenntnis.
Auflehnung gegen das Absurde sei »eine der wenigen philosophisch stichhaltigen Positionen«4 und bedeutet »ihm ins Auge sehen.«4, also die Akzeptanz des Absurden. »Diese Auflehnung«4 selbst, so Camus »gibt dem Leben seinen Wert.«4, ein subjektiver Wert.
SCHÖNE NEUE WELT – EINE ABSURDISTISCH-NIHILISTISCHE ANALYSE
Sowohl für Camus als auch für Nietzsche ist der Verlust von Sinn und der Umgang damit von großer Bedeutung. Camus beschäftigt sich vor allem pragmatisch mit dem Prozess der Auflehnung gegen das Absurde, während sich Nietzsche eher mit dem theoretischen Resultat befasst. Dem Übermenschen, einem neuen Typ Mensch, der sich seinen eigenen Weg nicht nur ebnet, sondern auch beschreitet. Beide Philosophien lassen sich in diversen Werken wiederfinden. Nietzsches Konzept des letzten Menschen spielt zum Beispiel in Aldous Huxley’s 1932 erschienenen Werk ‘Schöne neue Welt’ eine große Bedeutung. Das Buch beschreibt eine dystopische Zukunft, in der der Weltstaat die Erde regiert. Menschen sind steril und werden in Flaschen gezüchtet und in soziale Kasten, Alpha bis Epsilon unterteilt. Der Mensch wird genormt, das heißt indoktriniert in die Zufriedenheit und das Glück, die höchsten Werte der Gesellschaft. Konsum und Promiskuität werden ermutigt und lenken von jeder tieferen Bedeutung ab. Kunst, Wissenschaft und Religion sind nur noch Fassaden, Nachdenken über die eigene Situation gefährdet das System. Jeglicher Anflug von Unglücklichkeit wird mittels der Droge Soma erstickt, die die absurde Lücke zwischen Tatbestand und Realität verborgen hält. Der Roman dreht sich um den Umgang des einzelnen Menschen mit einer Gesellschaft aus letzten Menschen.
Sigmund Marx, ein Alpha Plus, und Lenina Braun, eine Beta, besuchen ein Indianerreservat, eine der wenigen Orte, an dem noch Menschen außerhalb der Werte der Weltgesellschaft leben. Dort treffen sie Michel, den Wilden, und seine Mutter Filine, eine Weltbürgerin, die vor 25 Jahren im Reservat verschwand. Sie nehmen die beiden mit zurück nach Berlin, wo Michel nicht nur zur Sensation, sondern auch zutiefst unglücklich wird. Er findet die Bedeutungslosigkeit der ‘Kultur’ abstoßend. Auch wenn er nur Mensch und nicht Übermensch ist, so fühlt er, umgeben von letzten Menschen, dieselbe »einsame Distanz zur Welt.«5 Michel und Lenina verlieben sich ineinander. Während Michel ihr seine Liebe gesteht, erhält er einen Anruf. Filinne ist am Soma-Missbrauch gestorben, also an der Neigung des letzten Menschen zur sinnlosen rein körperlichen Befriedigung. Nach dem Tod seiner Mutter vereitelt Michel zusammen mit Sigmund und dessen Freund Helmholtz Holmes-Watson die Soma-Vergabe, wofür sie verhaftet und vor den Controller Mustafa Mannesmann gebracht werden, der »hierzulande die Gesetze mache«5 In einer Diskussion über die Gesellschaft des Weltstaates zwischen dem Wilden und Mustafa bringt ersterer seinen Unmut über den Zustand der Gesellschaft an und fordert zuletzt »das Recht auf Unglück. […] Ganz zu schweigen von dem Recht auf Alter, Häßlichkeit und […] Hunger und […] dem Recht auf ständige Furcht vor dem nächsten Tag, dem Recht auf […] unsägliche Schmerzen jeder Art«5 und lehnt damit das Dasein des Letzter-Menschsein ab. Für ihre Rebellion werden Siegmunds und Helmholtz auf die Falklandinseln verbannt, der Wilde aber muss gegen seinen Willen in der Weltgesellschaft bleiben. Er zieht aufs Land, um Einsiedler zu werden und dem Grauen der Gesellschaft zu entkommen, sich zu besinnen und seiner Mutter zu gedenken. Zu Beginn gelingt ihm das auch, aber bald schon wird er von immer mehr Weltbürgern heimgesucht. Er wird zuerst in den Wahnsinn, in dem er seine geliebte Lenina ermordet, und zuletzt in den Selbstmord getrieben.
* ZITIERTE LITERATUR
1: Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, 1886
2: Goethe, Zueignung
3: Nietzsche, Also sprach Zarathustra, 1883
4: Camus, Der Mythos von Sisyphos, 1959
5: Huxley, Schöne neue Welt, 1932
Herausgeber
fuks e.V. – Geschäftsbereich Karlsruher Transfer
Waldhornstraße 27, 76131 Karlsruhe transfer@fuks.org
Urheberrecht:
Alle Rechte vorbehalten. Die Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigungen jeglicher Art sind nur mit Genehmigung der Redaktion und der Autoren statthaft. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider. Der Karlsruher Transfer erscheint einmal pro Semester und kann von Interessenten kostenlos bezogen werden.