Über Neuanfänge und was man daraus machen kann – eine Kolumne
von Lara Schober
Ich bin mir unsicher, was ich von Neuanfängen halten soll. Die erste Phase eines neuen Jobs, des Lebens in einer neuen Stadt oder eines neuen Projektes sind mit viel Ungewissheit verbunden. Man weiß noch nicht, welche Regeln herrschen und muss sich Stück für Stück in der ungewohnten Umgebung einleben. Bei neuen Aufgaben und in Projekten ist oft noch keinerlei Fortschritt zu erkennen, es scheitert der Versuch, all die Namen der noch fremden Menschen nicht nach zwei Sekunden wieder zu vergessen und es ist schwierig, sich nicht andauernd im Wirrwarr der unbekannten Straßen zu verlaufen.
Dieser erste Zeitabschnitt ist deswegen oft anstrengend und mit viel Frustration verbunden. Denn immer, wenn man etwas Neues beginnt, hält man ein unbeschriebenes Blatt in den Händen. Dieses Blatt füllt sich nach und nach mit Informationen, Erfahrungen und Wissen. Doch am Anfang ist da erst einmal nichts. Ein Nichts, aus dem etwas aufgebaut werden soll.
Das wirkt im ersten Moment sehr mühselig. Doch gleichzeitig gibt es selten so viele Freiheiten wie in solchen Situationen: Man kann sich ausprobieren, Dinge einfach machen und dazulernen. Natürlich hat es jemand, der nicht von neuem beginnen muss, oft leichter und kann auf etwas aufbauen. Aber der Sprung ins kalte Wasser lohnt sich am Ende immer. Jedenfalls würde ich sagen, dass das eines der Dinge ist, die ich in den letzten Jahren gelernt habe.
Diese Erkenntnis habe ich vor allem meiner Arbeit in der Hochschulgruppe Enactus zu verdanken. Dort versammeln sich Studierende, die etwas Freizeit übrig haben und nicht ihre gesamte Studienzeit im Vorlesungssaal oder am Bartresen verbringen möchten, sondern gemeinsam etwas auf die Beine stellen wollen – etwas Gutes. Bei Enactus verwandeln wir eine gute Idee ohne jegliche Erfahrungen oder tiefe Fachkenntnisse, dafür aber mit umso mehr Motivation und Unabhängigkeit, in langfristig erfolgreiche Unternehmen. Mit unseren sozialen Start-Ups versuchen wir, unseren Teil dazu beizutragen, die Welt im Kleinen nachhaltig ein wenig besser zu machen.
Unser Team in Karlsruhe ist dabei Teil eines weltweiten Netzwerks, in dem sich Studierende mit Unterstützung von Partnern und Partnerinnen aus verschiedenen Unternehmen oder Universitäten engagieren. Wir gründen und entwickeln Projekte, aus denen irgendwann Start-Ups mit sozialem Hintergedanken werden. In Karlsruhe haben wir sechs solcher Projekte, die in Deutschland und global aktiv sind und die Situation bedürftiger Menschen verbessern möchten, ohne eine Abhängigkeit von Spenden zu schaffen. Jene Menschen sind der zentraler Aspekt unserer Arbeit. Zum einen ist es uns wichtig, in einem engen Austausch zu identifizieren, wie man ihnen aus schwierigen Situationen helfen kann. Zum anderen werden sie immer am Prozess beteiligt und tragen somit selbst zur Verbesserung ihrer Lage bei. Die Umsetzung dieses Leitgedankens kann dabei sehr unterschiedlich aussehen. In unserem Projekt »DeBaCode« vermitteln wir beispielsweise bosnische Informatik-Studierende als Programmierer*innen an deutsche Unternehmen. »Fish’n’Bricks« hat einen Ziegelstein entworfen, mit dem in Indonesien aus Plastikmüll Gebäude gebaut werden können und »Bee4People« bietet in Karlsruhe Suchterkrankten beim Imkern eine sinnvolle Beschäftigung.
Der Weg von der Idee zum Start-Up wirkt zu Beginn lange und bringt sicherlich einige Herausforderungen mit sich. Doch im Prozess haben wir die einmalige Möglichkeit, unser selbst angeeignetes oder im Studium erlerntes Wissen in der Praxis anzuwenden und Erfahrungen zu sammeln. Außerdem arbeiten wir nicht alleine, sondern zusammen mit vielen anderen Menschen, die etwas verändern wollen. Dabei entstehen neue Freundschaften, Netzwerke und Möglichkeiten und so fasziniert es mich immer wieder, wie aus einer einfachen Idee so etwas Großes und Schönes entstehen kann. Denn der Blick zurück führt einem oft erst vor Augen, wie viel man in kürzester Zeit ausgehend von einem leeren Blatt Papier geschaffen hat. Natürlich kommt es hin und wieder vor, dass es an neuen Projektmitgliedern, finanzieller Unterstützung oder guten Perspektiven fehlt. Doch in diesen Situationen findet sich immer eine Lösung. Wenn man genauer darüber nachdenkt, existiert solch ein Vakuum in Wirklichkeit gar nicht. Denn was einem selbst fehlt, ist an anderer Stelle oft schon vorhanden. Die Schwierigkeit besteht meist vielmehr darin, die Personen zu mobilisieren. Denn auch sie müssen dazu motiviert werden, neue Wege zu gehen. Somit ergibt sich ein Kreislauf aus Neuanfängen, bei denen immer wieder etwas aus dem Nichts geschaffen wird. Damit können wir gemeinsam große Dinge bewegen, selbst wenn wir im Kleinen beginnen.
Genau das ist das Motto von Enactus und treibt und bei unserer Arbeit an. Dabei läuft nicht immer alles perfekt und manchmal langsamer als man es sich wünschen würde. Aber es passiert etwas. Und wenn man sich ansieht, was Enactus-Projekte hier in Karlsruhe, Deutschland und weltweit schon bewirken konnten, merkt man, dass es sich auf jeden Fall lohnt. Deswegen stehen Neuanfänge für mich einerseits für Anstrengungen, Enttäuschungen und Fehleinschätzungen. Andererseits verbinde ich damit aber auch Tatendrang, Weiterentwicklung und Freiheit. Jedes neue Projekt fühlt sich wie ein Abenteuer an, in das man sich stürzen, einfach loslegen und etwas erschaffen kann. Und so wird das große, große Nichts immer kleiner und macht Platz für eine unberührte Welt.
LARA SCHOBER
Lara Schober studiert am Karlsruher Institut für Technologie Wirtschaftsingenieurwesen im Master. 2018 trat sie zu Beginn ihres dritten Bachelor-Semesters der Hochschulgruppe Enactus KIT e.V. bei und war dort unter anderem als Projektleiterin und Teamleitung Extern tätig.
ENACTUS ist eine internationale und gemeinnützige Nichtregierungsorganisation, in der sich Studierende für die Verwirklichung der »17 Ziele für nachhaltige Entwicklung« (SDGs) der UN einsetzen. Dabei werden soziale Innovationen entwickelt und in verschiedenen Projekten umgesetzt, die sich langfristig selbst organisieren und finanzieren. Aktuell zählt Enactus KIT e.V. über hundert aktive Mitglieder, die an der Realisierung von zwei lokalen und vier internationalen Projekten arbeiten.
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