Zufall oder Wissenslücke? – die großen Denker über den Zufall
Zufall – hinter diesem Wort, welches wir oft so leichtfertig verwenden, steckt ein ganzer Komplex philosophischer Fragen und Meinungen. Was genau ist Zufall eigentlich? Nur Illusion und nichts weiter als die einfachste Antwort, unerkennbare Wege und komplexe Verkettungen von Ereignissen zu erklären?
von Ella Lutzweiler
DAS SAGEN DIE GROSSEN DENKER UNSERER MENSCHHEITSGESCHICHTE DARÜBER.
Beim nächsten Brettspiel lassen wir den Zufall entscheiden und werfen einen Würfel. Im Spiel erfüllt dieser seinen Zweck, da niemand beeinflussen kann, welche Zahl geworfen wird. Aber ist das wirklich Zufall? So ist doch die Art wie du deine Hand bewegst, die Richtung in die der Würfel fällt und die Schnelligkeit, mit der er sich um seine eigene Achse dreht, ausschlaggebend für die Zahl, die am Ende herauskommt.
ALLES EINE FRAGE DER DEFINITION: DER RELATIVE ZUFALLSBEGRIFF
Bevor man in die Tiefen der philosophischen Welten eintaucht, sollte geklärt werden, was man unter Zufall überhaupt versteht. Der Zufallsbegriff kann je nach Kontext sehr unterschiedlich genutzt werden und selbst innerhalb derselben Disziplin lassen sich viele verschiedene Definitionen finden. Einen Bekannten zufällig im Urlaub zu treffen ist unvorhersehbar, unbeabsichtigt und sehr unwahrscheinlich. Hier ist der Zufall relativ zu verstehen. Aus dem Blick der Urlauber erscheint die Begegnung zufällig. Vielleicht war ein billiger Flug oder die Empfehlung eines gemeinsamen Freundes ausschlaggebend für das gemeinsame Urlaubsziel zur selben Zeit. Man kann die genauen Ursachen für das Treffen nur vermuten. Die Entscheidung fiel jedoch nicht mit der Absicht, sich zu treffen, und steht somit nicht in Verbindung zur schlussendlichen Situation. Einen ähnlichen Zufallsbegriff nutzt Aristoteles. Als Beispiel dient ihm die Geschichte eines Pferdes, welches einem Unglück entgeht, indem es aus seinem Stall läuft. Es ist jedoch nicht herausgekommen, um dem Unglück zu entgehen, sondern zufällig.
„Wenn im Bereich der Geschehnisse, die im strengen Sinn wegen etwas eintreten und deren Ursache außer ihnen liegt, etwas geschieht, das mit dem Ergebnis nicht in eine Deswegen Beziehung zu bringen ist, dann nennen wir das „zufällig“.“ – Aristoteles
Es gibt keine „Deswegen-Beziehung“ zwischen der Ursache (dem Herauskommen aus dem Stall) und dem Ergebnis (dem des Unglücks). Das Geschehene ist somit, nach Aristoteles-Definition, Zufall.
Ein weiterer Ausdruck, der mit dem Zufallsbegriff Hand in Hand geht und oftmals als Synonym verwendet wird, ist der Begriff der Kontingenz. Dieses Wörtchen hat es jedoch in sich. Kontingenz beschreibt die Eigenschaft, auch ganz anders sein zu können. Etwas ist kontingent, wenn es weder notwendig noch unmöglich ist; wenn es so sein kann, wie es ist, oder auch ganz anders. Man könnte den Begriff der Kontinenz auf so ziemlich alles anwenden. Unsere Kultur ist kontingent, der Stuhl auf dem du sitzt, ist kontingent, selbst das Wort „Kontingenz“ ist kontingent – und vielleicht auch jedes Ereignis.
Man spricht also häufig von Zufällen, wenn für ein Ereignis keine kausale Erklärung gefunden werden kann. Dabei macht es jedoch einen großen Unterschied, ob man die Ursache einer Folge nicht kennt, oder ob es schlichtweg keine Ursache gibt – und ob beides als Zufall bezeichnet werden kann oder nicht.
DER ABSOLUTE ZUFALLSBEGRIFF
Letzterer Zufallsbegriff ist absolut. Er wird auch als „objektiver Zufall“ bezeichnet. Dieser beschreibt Ereignisse, die ohne Grund stattfinden und außerhalb jeglicher Kausalitätsketten auftreten. Viele Philosophen beziehen sich auf jenes Verständnis. Dessen Existenz ist jedoch in der Philosophie wie auch den Naturwissenschaften umstritten.
Einige Philosophen bestreiten, dass es absolute Zufälle gibt. Dazu gehören unter anderem Spinoza, Schoppenhauer und Nietzsche. Sie sind der Meinung, dass die Zufalls-Erklärung nur die Abwesenheit von Erkenntnis demonstriert. Für Tiere gibt es mehr Zufälle als für den Menschen und für Menschen gibt es mehr Zufälle als für Götter. Wüssten wir alles, so wäre der Zufallsbegriff obsolet. Damit geht die Ansicht der durchgängigen Determinierung aller Ereignisse einher, was bedeutet, dass alles vorherbestimmt sein muss. Hätte man zwei voneinander unabhängige, jedoch übereinstimmende Welten, dann müssten diese auch zu jedem späteren Zeitpunkt gänzlich übereinstimmen. Auf einer Ursache kann demnach nur eine Wirkung folgen und wir leben entsprechend in der einzig möglichen Variante unserer Welt, da eine andere Welt ausschließlich durch eine andere Startsituation denkbar wäre. Demzufolge würde der gegenwärtige Weltzustand den zukünftigen eindeutig festlegen. Der Determinismus verneint somit auch den freien Willen.
Nicht alle großen Denker verneinen die Existenz eines absoluten Zufalls. Einige Philosophen, darunter Kant, Hume und Popper, lehnen zumindest klar ab, dass es mit Sicherheit keine Zufälle gibt. Nur weil unser Denken und Handeln auf dem Kausalitätsprinzip aufbaut und wir für alle Ereignisse einen Grund annehmen, bedeutet das nicht notwendigerweise, dass es unabhängig von unserem Sein auch überall Kausalitäten geben muss. Eine solche Annahme schließt vom menschlichen Denken auf das Sein. Das Sein kann jedoch Elemente und Funktionsweisen haben, die sich außerhalb des menschlichen Erkenntnisvermögens befinden.
Aber gibt es nun den Zufall oder gibt es ihn nicht? Welche Definition man dem Zufall schlussendlich zuschreiben sollte und ob es den Zufall nach jenen Definitionen überhaupt gibt, da scheiden sich die Geister. Die einen behaupten, Zufall existiere nach keiner Definition. Andere sehen die Negation der Zufallsexistenz als unkritisches Schließen vom Denken auf das Sein. Wie bei vielen großen Fragen im Leben, bleibt die Antwort offen.
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