Auf der Suche nach kleinen Schätzen und großem Wissen – Detektiv*innen der Vergangenheit

Wie die Nadel im Heuhaufen – archäologische Arbeit braucht viel Zeit, Geduld, Technik und System. Akribisch graben sich Wissenschaftler*innen durch Erdschichten, um den Rätseln der Vergangenheit auf die Spur zu kommen.

Eine Reportage von Leoni Schmidt-Enke

Ein weißes Zelt in einem Meer aus Sonnenblumen. Das Einzige, was zu hören ist: Kratz – Kratz – Kratz. Das Licht fällt gedämpft durch die tunnelförmigen Zeltwände. Hinter rot-weißen Absperrbanden, wie man sie von der Baustelle kennt, geht es einige Erd-Stufen in die Tiefe. Am hinteren Ende der etwa zehn Meter breiten Grube kniet Grabungsarbeiter Fabio Cioffi auf einer hellgrünen Schaumstoffunterlage. Immer wieder lässt der junge Mann einen Spatel in die hellbraune Erde gleiten, schabt Krümel und Brocken ab. Um seine Hände zu schützen, trägt er Handschuhe. Ist der Haufen groß genug, schiebt ihn der Grabungsarbeiter auf eine Kehrschaufel und schüttet deren Inhalt in einen blauen Plastikeimer. Wie lange er noch weiter graben muss? Bis sich die Farbe der Erde ändert, erklärt Cioffi. Wenn das passiert, ist er nämlich am Boden des rund 2600 Jahre alten verschütteten Grabens angekommen, den das Landesamt für Denkmalschutz hier freilegt. Damals war hier kein Sonnenblumenfeld, sondern ein Teil der sogenannten Außensiedlung der Heuneburg, die im heutigen Landkreis Sigmaringen im Süden Baden-Württembergs liegt. Cioffi hat an der Heuneburg schon häufiger saisonal an Ausgrabungen mitgearbeitet. Nach seinem Archäologie-Abschluss in Italien wurde er vom Landesamt als Grabungsarbeiter eingestellt.

»Die Heuneburg ist einer der bedeutendsten archäologischen Fundorte Mitteleuropas«, sagt Archäologe Leif Hansen. Er koordiniert die wissenschaftlichen Forschungen des Landes an der Heuneburg. In der Höhensiedlung lebten zur Blütezeit im sechsten Jahrhundert vor Christus rund 5000 Menschen. Für damalige Verhältnisse eine Metropole. Auch Athen hatte damals rund 5000 Einwohner*innen. Herodot, ein Geschichtsschreiber aus dem antiken Griechenland, kannte die Siedlung unter dem Namen »Pyrene”. Warum die Menschen damals gerade diesen Platz auswählten, lässt sich auch heute noch leicht nachvollziehen, wenn man auf der Anhöhe steht: In Sichtweite fließt die Donau – die »Autobahn der Antike”, wie sie Leif Hansen nennt. Sie ermöglichte Pyrene den Status als Handelszentrum.

Bereits seit 1950 findet hier archäologische Forschung statt. Das Besondere: Nach dem Untergang der keltischen Stadt siedelten kaum noch Menschen auf dem Gebiet. »Das heißt, es ist auch fast nichts zerstört worden«, erklärt Hansen. Um die mit Wällen befestigte Stadt herum erstreckte sich auf 100 Hektar die Außensiedlung. »Die Heuneburg musste ja versorgt werden, mit Getreide und Fleisch.” Im Bereich der Außensiedlung finden auch heute noch archäologische Ausgrabungen statt, während auf dem Gebiet der eigentlichen Heuneburg inzwischen ein Freilichtmuseum mit Nachbildungen historischer Gebäude entstanden ist. Für die Archäolog*innen ist es in der Außensiedlung allerdings schwieriger herauszufinden, wo sie graben sollen, da nur die zentrale Heuneburg erhöht lag – wo die Außensiedlung war, lässt sich dagegen heutzutage nicht mehr erkennen. »Da bleibt obertägig (d. h. über der Erde, Anm. d. Red.) nichts über«, sagt Hansen. »Deshalb verwenden wir verschiedene Methoden, um geeignete Grabungsplätze zu finden.«

Eine Möglichkeit ist der LIDAR-Scan* aus der Luft. So lässt sich die Landschaft genau vermessen und auch versteckte Erhebungen bekommen die Archäolog*innen zu Gesicht – das ist hilfreich, wenn sie beispielsweise nach Grabhügeln in einem Waldstück suchen. »Wir können den Wald virtuell abholzen«, erklärt Hansen. Bei der geophysikalischen Prospektion finden Archäolog*innen verschüttete menschliche Spuren mithilfe des Erdmagnetfeldes. Dieses sorgt dafür, dass sich Mineralien im Boden auf eine gewisse Art und Weise anordnen. Menschliche Aktivitäten wie das Ausheben eines Grabens im Boden – auch wenn sie vor Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden stattfanden – stören diese Anordnung und das wiederum ist mit Sonden messbar.

So hat das Team des Landesdenkmalamts auch den Graben im Sonnenblumenfeld entdeckt. Hansen zeigt die Grabungsstelle auf einer laminierten Karte voller grauer Flächen in verschiedenen Schattierungen. Eine dunkle Linie ist genau da unterbrochen, wo jetzt gegraben wird: »Das heißt, hier ist eine Eingangssituation gewesen”, vermutet Hansen. Im vorderen Teil der rechteckigen Grube zieht Grabungstechniker Jörn Heimann die Plastikplane weg. »Wir müssen immer abdecken, weil sonst alles austrocknet«, so Hansen. Zum Vorschein kommt auch hier die Form eines Grabens, der auf der rechten Seite bereits freigelegt wurde. Links ist dagegen ein Querschnitt durch das Erdreich des Grabens zu sehen – deutlich erkennbar sind die verschiedenen Erdschichten, gekennzeichnet mit gelben nummerierten Zettelchen.

Ziel der Ausgrabung ist es, den gesamten Graben in seiner ursprünglichen Form freizulegen. »Wenn wir fertig sind, sieht das hier aus wie vor 2600 Jahren«, verdeutlicht Leif Hansen. Die Erde, welche Grabungsarbeiter*innen in Handarbeit entfernen, landet vor dem Zelt auf einer Halde. Neben den unterschiedlichen Erdschichten kommen im besten Fall auch archäologische Schätze zum Vorschein. Einige Meter neben Fabio Cioffi kann man einen solchen entdecken, wenn man ganz genau hinschaut. Eine dunkle Scherbe, etwa so groß wie ein Handteller, steckt dort in der Erde. Warum sie nicht gleich ausgegraben wird, wenn man sie bereits entdeckt hat? Funde bleiben zunächst liegen, damit das Grabungsteam die genau Fundstelle dokumentieren kann. Wird später ein Foto von der gesamten Grabung gemacht, ist es ebenfalls von Vorteil, wenn die Funde noch an Ort und Stelle sind und keine Löcher entstehen. Beim Abtragen der Erdschichten wird sich die Scherbe irgendwann automatisch lösen. Wahrscheinlich stammt sie von einem Gefäß, das schon in keltischen Zeiten zerbrach und dann weggeworfen wurde. »In der Siedlung finden wir den Abfall der Menschen – anders als in Grabkammern, in denen sich oft ausgesuchte wertvolle Dinge wie Schmuck finden lassen«, erklärt Hansen.

Ortswechsel: Eine andere Grabung an der Heuneburg findet unter freiem Himmel statt. Hier dokumentiert das Grabungsteam gerade einen Fund. Der honigmelonengroße Stein steckt noch in der Erde – hebt sich durch seine helle Farbe aber deutlich von ihr ab. An den Seiten wurde er bereits freigelegt, doch es klebt immer noch Erde an seinen vielen Unebenheiten. Ist das tatsächlich ein Gegenstand, der von Menschen benutzt wurde oder einfach nur ein Stein? Er sieht naturbelassen aus, erklärt Fiona Vernon, doch er könnte trotzdem von Menschen zum Beispiel als Gewicht verwendet worden sein und ist somit ein potenzieller archäologischer Fund, der dokumentiert werden muss. Vernon leitet diese Grabungsstelle in der Außensiedlung. Es ist ihre Prüfungsgrabung als Abschluss in der Ausbildung zur Grabungstechnikerin.

Die junge Frau mit Wollpudelmütze holt Plastikbuchstaben aus einem silbernen Metallkoffer und steckt sie an eine Tafel. Die Tafel legt sie auf die Erde neben den Stein, außerdem einen schwarz-weißen Winkel und einen Pfeil – der zeigt die Himmelsrichtung an. Vernon geht in die Knie und fotografiert das Ensemble. Dann steckt sie vier Nägel in die Erde – mit ihren roten Köpfen sehen sie aus wie überdimensionale Reißzwecken. In der Nähe steht ein Gerät auf einem Stativ, das ein wenig an eine Filmkamera aus vergangenen Tagen erinnert. Vernon geht zu ihr, drückt ein paar Knöpfe und schaut durch eine Linse. Auf einem der roten Nägel erscheint nun ein ebenfalls roter Laserpunkt. PIEP. So geht sie jeden Nagel durch. Auf diese Weise misst das Tachymeter koordinatengetreu den Punkt, der fixiert wird. Alle Punkte – und damit die Fundstelle- sind nun präzise verzeichnet und es ist genau dokumentiert, wo der Stein lag.

Ist er einmal komplett ausgegraben, kommt der Stein, ebenso wie die Scherbe von der anderen Grabstelle, in die Werkstätten des Landesamtes nach Esslingen. Dort werden Funde vermessen, beschriftet und gegebenenfalls restauriert. Auch die Frage wie alt ein Fund ist, wird dort geklärt – bei Keramik durch Verzierungen an den Rändern, bei Knochen zum Beispiel durch die C14-Methode.* Danach wandern die meisten Fundstücke in das Zentrale Fundarchiv in Rastatt. »Nicht jeder Fund kommt automatisch ins Museum«, sagt Hansen. Und die Grabungsstelle? Das wird einfach wieder zugeschüttet. Nach der »dokumentierten Zerstörung«, wie Hansen sie nennt, wenn also alle rekonstruierbaren Strukturen freigelegt worden sind, werden die Gruben wieder gefüllt.” Alles was bleibt, sind Berichte, Fotos, Zeichnungen und die Fundstücke. Im nächsten Sommer werden hier wieder Sonnenblumen blühen.

*LIDAR

steht für »light detection and ranging«. Früher versuchten Archäolog*innen mit herkömmlichen Fotoaufnahmen aus der Luft vielversprechende Grabungsstellen zu finden. Demgegenüber bieten LIDAR-Scans den Vorteil, Wälder unsichtbar machen zu können. Der Laserstrahl des LIDAR-Geräts wird von allen Punkten am Boden reflektiert, die er trifft. Das Messgerät registriert diese Reflexionen und berechnet mithilfe der Laufzeit des Laserstrahls und der Position des Flugzeugs ein digitales Geländemodell. Aus diesem Modell kann dann Pflanzenbewuchs herausgerechnet werden.

*C14-METHODE

Mit der C14-Methode kann bestimmt werden, wie alt organische Überreste, also z. B. Knochen, sind. Sie wird auch Radiokarbon-Methode genannt. Dabei wird das Verhältnis von Kohlenstoff zum Kohlenstoff-Isotop C14 in dem Fund gemessen. Da C14 radioaktiv ist, zerfällt es nach dem Tod von Mensch, Tier oder Pflanze mit einer bekannten Halbwertszeit und das Kohlenstoff-C14-Verhältnis ändert sich mit der Zeit. Da das anfängliche Verhältnis bekannt ist – dieses pendelt sich bei der Entstehung in der Atmosphäre ein – kann so zurückdatiert werden, ab wann der Organismus
nicht mehr gelebt hat.

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