Alles andere als eindimensional – Fraktale Geometrie

Weder Linie noch Fläche: Fraktale Formen liegen mathematisch gesehen zwischen den Dimensionen. Die wunderschönen Muster, welche die fraktale Geometrie hervorbringt, haben Anfang der 90er-Jahre schon einmal zu einem echten Medien-Hype geführt. Die rätselhaften Formen bergen bis heute das Potenzial, vieles modellieren zu können – von der Beschaffenheit von Gestein bis hin zur Risikoabschätzung an der Börse.

von Helena Bodem

Früher wurden fraktale Formen als „mathematische Monster“ bezeichnet. Doch als man Ende der 1980er-Jahre Computergrafiken auch außerhalb von Universitäten erzeugen konnte, erhielten Fraktale viel Aufmerksamkeit in den Medien, was für ein mathematisches Thema durchaus bemerkenswert ist. Unter dem vagen Hinweis, dass das alles Mathematik sei, veröffentlichten Zeitschriften wie die GEO damals Ansichten aus der Mandelbrot-Menge oder fraktale Pflanzen. Auch heute haben Fraktale nichts von ihrer Faszination eingebüßt und bringen uns immer noch zum Staunen.

„Dahinter stecken einfache Bildungsprinzipien, die mathematisch leicht zu erfassen sind“, weiß der Mathematiker Dr. Steffen Winter. Er lehrt am Institut für Stochastik des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und beschäftigt sich in seiner Forschung mit fraktaler Geometrie. „Wenn sich komplexe Strukturen aus einfachen Bildungsprinzipien ergeben, dann hat das einen gewissen Reiz.“ Winter erklärt, dass sich der Begriff „Fraktal“ eigentlich auf fraktale Dimensionen bezieht, also darauf, dass die Dimension dieser Formen ein Dezimalbruch ist und keine ganze Zahl. Das lateinische Wort fractum heißt gebrochen und im Englischen ist fraction der Bruch oder die Bruchzahl. „Es handelt sich also um geometrische Objekte oder Mengen, die eine gebrochene Dimension haben. Aber es gibt nicht das eine mathematische Konzept „fraktale Dimension“, tatsächlich haben Mathematiker hierfür viele Konzepte. In der Öffentlichkeit werden Fraktale oft gleichgesetzt mit der Idee der Selbstähnlichkeit”, weiß Winter.

Selbstähnlichkeit bedeutet, dass sich die Muster eines fraktalen Objektes auf allen Größenskalen wiederholen. „Sie finden das Ganze auf jeder Stufe immer wieder als verkleinerte, exakte Kopie“, erklärt Winter. Man kann also unendlich lange in ein Fraktal hineinzoomen und findet dabei immer wieder ein Objekt, das genauso aussieht wie das Ausgangsobjekt. Das in der Mathematik berühmte Sierpinski-Dreieck ist ein beliebtes Beispiel für Selbstähnlichkeit. Es entsteht, indem aus der Mitte eines gleichseitigen Dreiecks ein ähnliches Dreieck mit halber Kantenlänge herausgeschnitten wird. Aus den drei kleinen Dreiecken, die übrig bleiben, wird wieder jeweils ein ähnliches Dreieck mit halber Kantenlänge herausgeschnitten. Dieser Vorgang wird gedanklich unendlich oft wiederholt. Die Abbildung des Sierpinski-Dreiecks auf dem Papier ist nur eine Vorstufe des eigentlichen geometrischen Objektes. Denn hier kann nur begrenzt detailliert dargestellt werden, wie viele Dreiecke bereits herausgeschnitten wurden.

Anhand des Sierpinski-Dreiecks lässt sich auch die gebrochene Dimension von Fraktalen veranschaulichen. Hier wird deutlich, wie eine geometrische Figur „zwischen den Dimensionen“ liegen kann. Ein geometrisches Objekt der Dimension eins ist eine Linie, eines der Dimension zwei eine Fläche. „Wenn man die Länge der Linien nachmisst, die letztendlich im Sierpinski-Dreieck übrig bleiben, dann kommt man tatsächlich auf eine unendliche Länge“, sagt Winter. „Außerdem kann man die Fläche dieses Objektes ausmessen und kommt dabei auf Null. Nach dem Herausschneiden ist keine Fläche mehr übrig, obwohl noch ein Objekt zu sehen ist.“ Um trotzdem die Dimension eines Fraktals zu bestimmen, die also zwischen 1 und 2 liegt, gibt es verschiedene Methoden. „Mathematiker haben viele Konzepte vorgeschlagen, wie man Dimensionen definieren und letztendlich auch messen kann”, so Winter. „Die Box-Counting-Methode ist eine einfache Definition, die leicht praktisch umzusetzen ist.“ Genau deshalb wird die Box-Counting-Methode auch in vielen Untersuchungen über Fraktale angewendet. Hierbei wird ein Gitter mit einer vorgegebenen Kästchengröße über das Fraktal gelegt. Dann zählt man, wie viele Kästchen das Fraktal schneiden. „Dann verfeinert man das Gitter, legt es mit einer kleineren Kästchengröße wieder über das Fraktal und zählt erneut. Dies wird mit verschiedenen Gitterkästchengrößen wiederholt, sodass eine ganze Folge von Zahlen herauskommt“, beschreibt Winter. In der Regel steigt die Zahl der Kästchen, die das Fraktal schneiden, natürlich an, je kleiner die Kästchen werden. Schließlich wird diese Anzahl mit der jeweiligen Kästchengröße verglichen. „Bei einem Quadrat ist zu erwarten, dass sich die Anzahl der Kästchen quadratisch entwickelt: Wenn ich die Gitterbreite halbiere, ersetze ich eine große Box durch vier kleine, ich werde also viermal so viele Kästchen brauchen, um das Objekt zu überdecken“, verdeutlicht Winter.

Der Skalierungsexponent läge in diesem Fall also bei 2. „Bei streng selbstähnlichen Fraktalen kann man auch ein solches Skalierungsverhalten in Form eines Exponenten finden, der nicht ganzzahlig sein muss. Beim Sierpinksi-Dreieck ist der Exponent log(3) / log(2).“ Es ist aufwendig, Fraktale zu untersuchen, doch es lohnt sich. Einige Organe in unserem Körper, zum Beispiel die Lunge, sind fraktal aufgebaut, genauso wie Smartphone-Antennen, Bäume und verschiedene Gemüsesorten, wie der Romanesco. Winter weiß, dass heute viele Phänomene, beispielsweise Börsenkurse und die Rauigkeit von Gestein, mithilfe von Fraktalen modelliert werden können.

Dennoch ist es für ihn auch vollkommen in Ordnung, wenn Fraktale in den Augen ihres Betrachters einfach nur schön anzusehen sind. „Es macht uns als Menschen aus, dass wir nicht nur auf die Verwertbarkeit von etwas schauen. Wir sollten uns durchaus die Zeit nehmen für schöne Gedankenspiele.“