Im Ausland für die Freiheit den Lebenslauf – Ist Australien-Lisa fake?
Ein Jahr Freiheit. Das ist der Gedanke vieler, die ins Ausland reisen möchten. Ich habe diese Vorstellungen mit einer Expertin auf diesem Themengebiet auf ihren Wahrheitsgehalt hin abgeklopft, einer echten Weltenbummlerin. Seit drei Jahren reist Jacky nun um die Welt und sucht zwischen Zeltplanen, Hostels und den verschiedensten Ländern nach ihrem eigenen Weg. Über das, was sie gefunden hat, habe ich mit ihr gesprochen.
das Interview führte Mona Meixner
Natürlich ist Jacky gerade nicht in Deutschland, deshalb führen wir das Interview mit dem Laptop auf dem Schoß. Über Skype klingt ihre Stimme ganz anders, als ich sie in Erinnerung habe. Aber sobald Jacky lacht, ist es doch genau wie früher. Eigentlich ist sie gerade mit dem Fahrrad auf dem Weg von Freiburg nach Spanien, hat sich aber erkältet. Also macht sie eine kurze Erholungspause auf einem Bauernhof. Das benötigte, verschreibungspflichtige Medikament hat sie auch ohne Rezept in einer spanischen Apotheke bekommen – eine echte Abenteurerin eben.
Hand aufs Herz – wie vielen Australien-Lisas* bist Du begegnet? Also wie vielen jungen Menschen kurz nach dem Abitur, die sich selbst gefunden haben auf ihren Reisen?
Ich habe definitiv viele junge Leute getroffen, die sich in ihren Fähigkeiten selbst ein bisschen überschätzt haben. Menschen, die sich in Indonesien im Trommelkreis gefunden haben. Die kommen dann frisch nach dem Abi in ein komplett anderes Land und wissen gar nicht, wie sie sich selbst versorgen sollen. Natürlich trifft man nie das perfekte Klischee. Aber viele – gerade junge – Menschen sehen ihre eigenen Erfahrungen als sehr besonders an, dabei haben sie dieses standardmäßige „Touristenprogramm“ gemacht, wie alle anderen auch. Außerdem kommen sie dann nach einem halben Jahr in ihren alten Trott zurück und haben ihren Bausparvertrag.
Glaubst Du denn dann, dass ins Ausland zu gehen das neue „Malle“ ist oder das neue „Oktoberfest“? Also einfach ein Ausbruch aus dem Alltag für einen bestimmten Zeitraum, um sich auszuprobieren?
Nein, das Gegenteil! Ich denke, viele sehen das als neuen Teil im Lebenslauf. Um späteren Arbeitgebern zu zeigen: Hier, ich habe Auslandserfahrung und bin gut für ein international tätiges Unternehmen geeignet.
Aber dann geht es ja schon wieder nur um unsere Leistungsgesellschaft!
Ja genau! Ein Jahr Freiheit und dann zurück ins Hamsterrad. Diese Freiheit ist dann so besonders, dass sie die allen mitteilen möchten. Aber wirklich verändert haben sie sich nicht. Ich habe auch Leute getroffen, die sich einmal durchs Land gesoffen und nur mit Deutschen geredet haben. Das kann man auch echt zuhause machen.
Wie stehst Du zu Menschen, die auf sozialen Medien viel über ihre Auslandsaufenthalte mitteilen?
Ich mag es überhaupt nicht, wenn Leute so… pretentious… sind. In Blogs werden nur die guten Sachen erzählt. Nicht nur, damit man die Freunde daheim etwas neidisch machen kann, sondern vielleicht auch ein bisschen aus Selbstbetrug. Bei aller Abenteuerlust möchte ich manche negativen Dinge auch nicht extra festhalten. Aber wenn man dann seinen zwölften „green-smoothie“ postet und von seiner spirituellen Zeit schreibt, will man sich vielleicht einfach nur selbst besser fühlen und Aufmerksamkeit bekommen.
Du bist ja selbst auch für das Reisen. Solche Blogs motivieren doch auch Leute dazu.
Ja. Es ist immer gut, wenn andere über ihren Tellerrand schauen! Ehrlichkeit ist dabei aber wichtig, gegenüber sich selbst und anderen. Und das vermisse ich oft in diesen Blogs. Deshalb sind vielleicht einige Abiturienten auch sehr blauäugig. Wenn man mal eine Weile in einem anderen Land lebt, merkt man, dass es dort genau die gleichen Probleme gibt wie zuhause.
Du bist ja viel herumgereist: Neuseeland, Australien, Europa, Island. Wie anstrengend ist das? Ist das Urlaub?
Es ist auf jeden Fall Urlaub vom Alltag, du siehst immer etwas Neues. Aber selbst da hast du eine gewisse Art von Alltag, wie essen, Zelt aufbauen, Sachen packen. Nur nach einiger Zeit fehlt dir ein Platz, an dem du einfach auf der Couch sitzen und dich ausruhen kannst. Das kann sehr anstrengend werden. Da werde ich immer müde vom Reisen.
Was machst Du dann?
Ich fahre nach Hause oder suche mir einen Ort, an dem ich längere Zeit bleiben kann, zum Beispiel ein soziales Projekt, sozusagen ein Zuhause auf Zeit mit guten Freunden. Da muss man halt selber wissen, was man gerade braucht. Für mich ist zuhause ein Gefühl, kein Ort.
Viele verreisen ja schon auch, um sich selbst zu finden. Würdest Du das einem jungen Menschen mit richtigen Problemen überhaupt empfehlen?
Ich finde, es gibt viele Möglichkeiten! Gerade als Student kann man auch Erasmus machen oder einfach ein Pausensemester. Nur ist es in unserer gestressten Gesellschaft wichtig zu wissen, was du willst und was dir guttut. Da hilft das Ausprobieren. Viele schöne Dinge passieren außerhalb deiner Komfortzone. Andere Leute würden mein Leben auch als Weglaufen bezeichnen. Aber ich finde, ich lerne schon, was ich will und auch, was ich nicht will.
Willst Du denn zurück ins Hamsterrad?
(lacht) Also ich muss natürlich immer mal wieder arbeiten. Und studiere gerade irgendwie auch. Aber ich würde nur Teilzeitjobs nehmen, weil ich Freizeit will und nicht so viel Geld brauche. Ich brauche kein großes Haus oder eine Karriere. Wenn ich ins Hamsterrad zurückkehre, dann nur auf Teilzeit.
*AUSTRALIEN-LISA
Der Begriff verspottet die vermeintliche Individualität von Rucksacktourismus als Massenphänomen in Australien. Er zeichnet das Klischeebild einer jungen Frau, die sich durch ihre Reise vermeintlich selbst findet, zu einem alternativen und individuellen Menschen wird und das via sozialen Medien allen mitteilt.
Herausgeber
fuks e.V. – Geschäftsbereich Karlsruher Transfer
Waldhornstraße 27
76131 Karlsruhe
transfer@fuks.org
Urheberrecht:
Alle Rechte vorbehalten. Die Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigungen jeglicher Art sind nur mit Genehmigung der Redaktion und der Autoren statthaft. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider. Der Karlsruher Transfer erscheint einmal pro Semester und kann von Interessenten kostenlos bezogen werden.