Die neusten Storys aus der Wissenschaft (?) – ein Denkanstoß
In unserem Alltag erzählen wir seit jeher immer wieder Geschichten – unseren Freunden, Bekannten oder Kindern. In der virtuellen Welt der sozialen Netzwerke wird unser ganzes Leben zu einer Geschichte. Überall geht es um „Storys“. Es stellt sich die Frage, ob das Geschichtenerzählen nicht auch im professionellen Bereich wie beispielsweise in der Wissenschaftskommunikation sinnvoll genutzt werden kann. Man spricht hier von Storytelling. Aber ist das überhaupt sinnvoll? Was hat denn Geschichtenerzählen mit Wissenschaft zu tun? Darum geht es in diesem Essay.
von Lena Kaul
Warum wir Geschichten so mögen
Geschichten helfen uns von klein auf, die Welt zu verstehen. Die Strategie des Geschichtenerzählens wird in vielen Bereichen angewendet: in der zwischenmenschlichen Kommunikation, bei Unterhaltungsprogrammen im Fernsehen, in den Nachrichten oder in der Werbung. Und das nicht ohne Grund: Wir Menschen mögen nicht nur Geschichten, wir brauchen sie sogar, um uns Dinge zu merken. Ein gutes Beispiel sind die bekannten Eselsbrücken. Sicherlich hat jeder schon einmal die Erfahrung gemacht, dass er sich etwas viel besser merken konnte, wenn es eine Geschichte dazu gab – irgendeine Verknüpfung mit den eigenen Erfahrungen. Denn wenn wir eine Geschichte hören, werden mehr Bereiche in unserem Gehirn aktiviert als bei reinen Fakten, zum Beispiel die motorische Rinde (Steuerung von Bewegungen) und der somatosensorische Cortex (zentrale Verarbeitung haptischer Wahrnehmung). Unser Gehirn setzt zudem die Hormone Oxytocin und Cortisol frei. Dadurch sind wir emotional in die Geschichte eingebunden und können uns in die Akteure hineinversetzen. Ist gerade kein passender Zusammenhang zu unseren Erfahrungen oder unserem Vorwissen zur Hand, denkt sich unser Gehirn einfach einen aus. Der Neurowissenschaftler Michael Gazzaniga entdeckte diese Funktion des Gehirns und nannte sie „The Interpreter“. Geschichten erzeugen Sinn und Bedeutung. Es kommt weniger auf die Exaktheit der Fakten an als vielmehr auf den logischen Zusammenhang, die Kohärenz. Gazzaniga vermutet, dass diese Kohärenz uns hilft, uns in der Welt zurecht zu finden. Dies sei wohl auch ein Grund, weshalb wir Fiktion so mögen. Denn so können wir uns in möglichen Zukunftsszenarien besser orientieren und unsere bisherigen Erfahrungen besser verstehen. Sie hilft uns, die Komplexität des Lebens zu verstehen.
Risiken der narrativen Kommunikation
Geschichten haben durch diese Eigenschaften jedoch eine gewisse Macht: Sie können motivieren, inspirieren, informieren und überzeugen. Je verständlicher die Geschichte, je stärker sie mit der Erfahrungswelt des Rezipienten verknüpft ist, desto größer ist ihre Wirkung. Dies lässt sich in der Wissenschaftskommunikation sinnvoll einsetzen, stellt aber gleichzeitig ein Risiko dar, denn Menschen lassen sich von Geschichten beeinflussen – egal, ob die Fakten in der Geschichte stimmen oder nicht. Das Wahrnehmen und Verstehen wird bei einem Narrativ durch die meist festgelegte Perspektive, aus dem es erzählt wird, in eine bestimmte Richtung gelenkt und somit auch begrenzt. Es besteht die Gefahr, alternative Ausgänge der Geschichte aus den Augen zu verlieren. Denn ein Narrativ stellt sich im Handeln oder Schicksal von einzelnen Personen oder kleinen Gruppen dar. Es erzählt also stets eine ganz spezielle Situation, von der auf etwas Allgemeines geschlossen wird. Ein weiteres Problem sind normative Elemente, die häufig in Narrativen verwendet werden. Das heißt, den Rezipienten wird indirekt vermittelt, was gut und was schlecht ist. Dies darf nicht Aufgabe der Wissenschaft sein.
Chancen der narrativen Kommunikation
Jedoch hängen diese Nachteile der Methode des Storytellings auch davon ab, wie stark narrative Elemente genutzt werden. Nicht aus jeder Erkenntnis wird direkt eine ganze Geschichte verfasst und das wäre auch nicht sinnvoll. Elemente des Storytellings können auch punktuell sinnvoll eingesetzt werden, zum Beispiel in der Überschrift einer Pressemitteilung (Auch Fische schieben Wache). Der Rest der Pressemitteilung kann (und sollte) trotzdem sachlich sein. Bei bestimmten Zielgruppen wie Kindern ist es jedoch sinnvoll, ein wissenschaftliches Thema komplett in einer Geschichte zu erklären – dazu muss man sich nur einmal einige Folgen Löwenzahn oder Sendung mit der Maus anschauen. Bei Erwachsenen kann die Methode zum Beispiel sehr gut in Vorträgen als zusätzliches Element eingesetzt werden. Ein klassisches Beispiel wären Science Slam-Vorträge.
Denn trotz der Gefahren haben Narrative einige entscheidende Vorteile gegenüber der Wissenschaftskommunikation ohne narrative Elemente. Narrativ aufbereitete wissenschaftliche Informationen wirken nachweislich ansprechender und sind leichter verständlich als trockene Fakten. Dies erreichen sie durch ihre oben genannten Eigenschaften und vor allem, indem sie die Komplexität reduzieren. Die Informationen werden zudem nachhaltig vermittelt, da der Rezipient sie sich durch die Geschichte besser merken kann.
Bei der narrativen Herangehensweise werden die Begriffswelt des Rezipienten, eine möglichst bildhafte Sprache sowie Redundanzen verwendet. Dies bietet die Chance, Wissenschaft für die breite Öffentlichkeit verständlich zu machen. Wissenschaftliche Themen kommen natürlich nicht immer gänzlich ohne Fachbegriffe aus. Das ist damit aber auch nicht gemeint.
Wie akkurat muss Wissenschaftskommunikation sein?
Die herkömmliche, rein faktische Wissenschaftskommunikation legitimiert sich allein durch die Akkuratesse ihrer Aussagen, beim Narrativ sind Authentizität und inhärente Schlüssigkeit wichtiger. Hierbei stellt sich die Frage, wie akkurat ein Narrativ eigentlich sein muss. Dabei ist zu bedenken, dass Wissenschaft von Menschen betrieben wird, die in einem bestimmten Kontext (Zeit, Raum, Kultur und Gesellschaft) leben und um Glaubwürdigkeit und Autorität ringen. Es kann also nie nur um reine Fakten gehen. Es ist in der Wissenschaft sogar vonnöten, um eine Erkenntnis überhaupt richtig einordnen zu können, sie in einen weiteren wissenschaftlichen Kontext zu setzen. Es ist also immer ein gewisser Kontext gegeben. Zudem ist es nicht immer notwendig, jedes Detail oder jeden Fehlschritt, den ein Wissenschaftler auf dem Weg zu seiner Erkenntnis gemacht hat, nachzuvollziehen, um das Ergebnis zu verstehen. Müssten wir immer jedes Detail verstehen, würden wir uns sehr schnell verloren fühlen in der weiten Welt. Um diesen Text in Word zu schreiben, muss ich nicht programmieren können, wohl aber die Anwendung bedienen können. Manchmal sind Fehlversuche allerdings sehr wohl entscheidend für die Erkenntnis. Oftmals sind sie sogar selbst die Erkenntnis wie beispielsweise bei der Entdeckung von Penicillin* durch Alexander Fleming. Welche Fakten und Details für das Verständnis wichtig sind, muss letztlich der Kommunikator entscheiden. Und das ist ihm oder ihr meiner Meinung nach zuzumuten.
Was ist die Moral von der Geschicht?
Beim Thema Storytelling in der Wissenschaftskommunikation gerät man leicht in ein Spannungsfeld zwischen Verständnis fördern und Rezipienten überzeugen. Beides kann sinnvoll sein. Es kommt vor allem darauf an, worum es geht. Es gibt Themen, bei denen ein wissenschaftlicher Konsens herrscht. Hier geht es eher um das Überzeugen. Das ist beispielsweise bei Gesundheitsthemen wie „Rauchen ist tödlich“ der Fall. Bei anderen Themen geht es eher darum, durch mehr Verständnis eine fundierte Debatte zu ermöglichen, weil sie moralische Fragen umfassen, die zu beantworten nicht Aufgabe der Wissenschaft ist. Dies ist bei vielen medizinischen Themen der Fall, zum Beispiel bei der Abtreibung.
Wie intensiv die Methode des Storytellings in der Wissenschaftskommunikation genutzt wird, entscheiden letztlich diejenigen, die Wissenschaft kommunizieren: die Wissenschaftler, Mitarbeiter der Öffentlichkeitsarbeit und Wissenschaftsjournalisten. Aus meiner Sicht ist es eine Methode mit viel Potenzial, die aber auch mit viel Bedacht eingesetzt werden muss und die mit Sicherheit nicht bei jedem Thema gleichermaßen sinnvoll eingesetzt werden kann. In einigen Bereichen, wie zum Beispiel Pressemitteilungen oder in wissenschaftlichen Veröffentlichungen, sind Narrative weniger angebracht. In anderen Bereichen, zum Beispiel bei Vorträgen oder in Wissensmagazinen, kann die Methode dagegen ihr Potenzial sehr gut entfalten. Man muss jedoch aufpassen, dass Storytelling nicht zum Selbstzweck wird, sondern ein Mittel zur Vermittlung von Informationen bleibt. Die Herausforderung dabei ist, die richtige Balance zu finden zwischen Fakten und Story – und die ist abhängig von mehreren Faktoren wie Thema, Zielgruppe und Medium.
*PENICILLIN
Penicillin ist ein Stoffwechselprodukt des Schimmelpilzes Penicillium. Fleming experimentierte mit Staphylokokken, einer Bakterienart, die Übelkeit, Erbrechen und Durchfall auslöst. Über die Sommerferien legte er die Bakterienkultur beiseite. Als er zurückkam, hatte sich ein Schimmelpilz darauf gebildet. Er bemerkte, dass an der Stelle, an der der Pilz war, die Bakterien sich nicht vermehrt hatten.
Beispiele für Storytelling in der Wissenschaftskommunikation
- Die Helmholtz-Wissenschaftscomics „Klar soweit?“ (alle Ausgaben hier)
- Vorträge, im Speziellen: Science Slams, zum Beispiel Jens Dittrich beim Science Slam in Hannover über Informatik oder Simon Barke beim Science Slam in Berlin über die 4. Dimension
- Blogs, zum Beispiel der Helmholtzblog
- Multimediareportagen, zum Beispiel beim WDR
- Punktuelle Anwendung bei Pressemitteilungen, zum Beispiel im Titel: Auch Fische schieben Wache
- Formate für Kinder wie Käpt‘n Blaubär, die Sendung mit der Maus, Löwenzahn, etc.
Wissenschaftliche Literatur zum Thema
- Ameseder, Christian; Ettl-Huber, Silvia (2018): Die Wirkung von Storytelling in der Wissenschafts-PR. In: Annika Schach und Cathrin Christoph (Hg.): Handbuch Sprache in den Public Relations. Theoretische Ansätze – Handlungsfelder – Textsorten. Wiesbaden: Springer VS (Springer Reference Sozialwissenschaften), S. 357–373.
- Dahlstrom, Michael F. (2014): Using narratives and storytelling to communicate science with nonexpert audiences. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 111 Suppl 4, S. 13614–13620.
- Dahlstrom, Michael F.; Ho, Shirly S. (2012): Ethical Considerations of Using Narrative to Communicate Science. In: Science Communication 34 (5), S. 592–617.
- Editorial. Should scientists tell stories? (2013). In: Nature Methods 10 (11), S. 1037.
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