Mut versus Angst: Wer gewinnt in der Evolution?

 Angst ist eine wichtige Warnfunktion! Sie warnt uns vor gefährlichen Situationen und hilft uns vor Gefahren zu schützen. Trotz ihrer schützenden Funktion wird sie oft als Schwäche gesehen. Wohingegen Mut – etwas zu wagen obwohl wir Angst vor den Konsequenzen haben – als eine Eigenschaft von Helden gefeiert wird. Doch wenn Angst eine natürliche Warnfunktion ist die uns vor Gefahren schützen soll und mutig sein bedeutet diese zu ignorieren, ist Mut dann tatsächlich sinnvoll?

von Nina Kneule

Im 2007 erschienen Film Transformers kämpft der 17-jährige Sam gegen den außerirdischen Roboter Megatron. Kurz bevor dieser versucht Sam zu zerschmettern, stellt er ihm beiläufig die entscheidende Frage: „Ist es Angst oder Mut was dich bewegt, Fleischling?“. Es erscheint als könnte die Frage nach den Beweggründen für das menschliche Handeln – warum wir tun was wir tun – tatsächlich nur von einem Außerirdischen stammen. Doch auch für uns Menschen selbst, ist unsere eigene Gefühlswelt und das daraus resultierende Verhalten oft ein Buch mit sieben Siegeln. Seit jeher versuchen wir, uns selbst zu verstehen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass neben der Philosophie und Dramaturgie auch die Naturwissenschaft der Frage: „Was bewegt uns Menschen?“ auf den Grund geht. Im Falle der Biologie gibt es hierfür sogar einen eigenen Forschungszweig, die Verhaltensbiologie. Sie untersucht das Verhalten von Tieren und vergleicht es zwischen Individuen einer Art und zwischen verschiedenen Arten.
Wissenschaftler versuchen zu verstehen, wann ein Verhalten in der Evolution entstanden ist und welchen Nutzen es für ein Individuum hat. Eine beachtliche Aufgabe, bedenkt man, dass das erste Leben vor ungefähr 3 Milliarden Jahren im sogenannten Urozean entstanden sein soll. Die ersten frühen Lebensformen waren einzellige Organismen. Alle höheren, vielzelligen Lebewesen stammen von diesen ab. Das bedeutet, dass ein jeder von uns eine direkte Linie an Vorfahren hat, die zurück bis zu diesen ersten Einzellern reicht. In anderen Worten: Solltest du dich nicht fortpflanzen, wärst du damit seit 3 Milliarden Jahren der Erste in deiner direkten Linie an Vorfahren. Na wenn das mal kein Grund zum Kinderkriegen ist! Doch warum waren deine Vorfahren nach Darwins Evolutionstheorie die fittesten? Fit beschreibt in diesem Zusammenhang nicht die Leistung an der Hantelbank, sondern die Fähigkeit möglichst viele fortpflanzungsfähige Nachkommen zu zeugen und so die eigenen Gene erfolgreich weiter zu vererben.
Die Evolution beschreibt im Wesentlichen die Veränderung von vererbbaren Merkmalen von einer Generation zur nächsten. Kommt ein Merkmal in unterschiedlichen Varianten vor und stehen Individuen zueinander im Konkurrenzkampf um knappe Ressourcen, wird sich die Merkmalsvariante durchsetzen, die dem Individuum hilft den Konkurrenzkampf für sich zu entscheiden. Denn diese Variante führt folglich zu besonders hohen oder zumindest höheren Überlebens- und Fortpflanzungschancen und somit auch zu einer hohen Fitness. Diese Merkmalsvariante wird also weiter vererbt und setzt sich in der Evolution durch.

Ein solches Merkmal kann das Verhalten eines Individuums sein. Selbstverständlich kann ein Verhalten auf rationalen Entscheidungen beruhen, doch häufig sind es unsere Emotionen die mitbestimmen, in welcher Art und Wiese wir handeln. Emotionen sind stets eine Antwort auf äußere Reize und erlauben es uns so, uns schnell an unsere Umgebung anzupassen. Genau das macht ihre Bedeutung aus. Eine dieser Emotionen ist die Angst. Ihre Funktion ist klar, sie warnt uns vor gefährlichen Situationen und führt zu einem Verhalten, das Gefahren vermeiden soll. Ob wir auf etwas mit Angst reagieren, hängt auch davon ab, welche bisherigen Erfahrungen wir mit dieser oder einer vergleichbaren Situation gemacht haben. Um davon auch einen evolutionsbiologischen Nutzen für unsere Nachfahren zu haben, müssten diese schlechten Erfahrungen vererbbar sein. Das heißt, unsere Lebenserfahrung müsste in unseren Genen gespeichert werden. Ob dies tatsächlich möglich ist, untersuchten die Forscher Brian Dias und Kerry Ressler von der Emory University School of Medicine. In einem Versuch verabreichten sie Mäusen immer dann kleine Elektroschocks, wenn sie einem Kirschblütenduft ausgesetzt waren. Die Mäuse lernten schnell, auf diesen Duft ängstlich zu reagieren. Und auch ihre, nach diesem Versuch gezeugten Nachkommen und deren Nachkommen zeigten ein Angstverhalten gegenüber dem Kirschblütenduft. Dies bewies, dass schlechte Erfahrungen vererbbar sind und das ist für den Fortbestand einer Spezies ein gigantischer Vorteil. Denn so sind die Nachkommen optimal auf die Umgebung angepasst in die sie hinein geboren werden. Doch wie kann das sein? Eine schlechte Erfahrung kann die eigene DNA der Maus nicht einfach umschreiben. Oder etwa doch? Tatsächlich wurden an einem Gen im Sperma der Mäuse sogenannte epigenetische Veränderungen entdeckt. Das sind chemische Veränderungen, die sich außen an die DNA anlagern. Diese bauen die DNA zwar nicht um, können aber die Aktivität bestimmter Gene verändern. Genau dies, so vermuten Wissenschaftler, führte bei den Versuchsmäusen zu einem vergrößerten Geruchszentrum des Gehirns. Also einer körperlichen Reaktion auf die Erfahrungen, die ihre Eltern oder Großeltern in ihrem Leben machten.

Dies ist beeindruckend wirft, aber auch weitere Fragen auf. Denn wenn Angst als Warnfunktion uns vor möglichen Gefahren schützt, wäre es folglich sehr riskant dieser Angst kein Gehör zu schenken. Doch im Grunde genommen, ist genau das die Definition von Mut, eine Eigenschaft, die wir in unserer Gesellschaft feiern und mit Helden assoziieren.  Mut bedeutet tatsächlich nicht keine Angst zu haben, sondern etwas zu tun, obwohl man Angst davor hat. Daher stellt sich nun die Frage: Ist Mut dämlich? Eins ist klar: Mutig zu handeln bedeutet nach dieser Definition eindeutig, ein Risiko einzugehen. Doch ist das immer nur negativ oder ergibt sich gar ein Nutzen für uns, wenn wir „verantwortungslos“ mutig handeln? Was wäre denn, wenn wir unserer Angst komplett erliegen würden? Wäre Fortschritt ohne Mut möglich? Und aus dem Blickwinkel der Evolutionsbiologie: Würden wir tatsächlich eine hohe Fitness erreichen? Mit Sicherheit nicht! Denn allein die Fortpflanzung bedarf einer durchaus hohen Risikobereitschaft. Zum Beispiel gehen Männchen verschiedener Arten das Risiko ein, viel Energie in das Umwerben ihrer Weibchen zu stecken – ohne Garantie auf Erfolg. So muss das Männchen der Schwarzen Witwe vor dem Weibchen betteln, um sich für den Geschlechtsakt nähern zu dürfen und im besten Falle nicht von ihr gefressen zu werden. Andere stellen ihre Qualifikation als Fortpflanzungspartner sogar in Kämpfen mit anderen Männchen unter Beweis und nehmen so schwere körperliche Verletzungen in Kauf. Hier ist also ein riskantes Vorgehen für eine hohe Fitness nicht nur von Vorteil, sondern zum Teil sogar notwendig. Bei den Weibchen vieler Arten sieht das ganz anders aus. Sie sind bei ihrer Partnerwahl eher risikoscheu. Die Fortpflanzung ist für sie häufig mit einer langen Schwangerschaft und Brutpflege verbunden. Sie müssen daher sicher sein, dass sie die bestmögliche Wahl an männlichen Genen treffen, bevor sie diesen Kraftakt auf sich nehmen. Inwieweit Individuen dazu bereit sind, ein Risiko einzugehen, hängt also vor allem von der Höhe dessen ab. Die optimale Höhe wird positiv belohnt. Eine zu hohe Risikobereitschaft kann jedoch zu negativen Konsequenzen wie Verletzungen oder gar zum Tod führen und eine zu niedrige Risikobereitschaft kann dazu führen, dass man benötigte Ressourcen nicht bekommt. Beide Fälle können also das Aussterben begünstigen. Die Frage, ob Mut dämlich ist, lässt sich somit frei nach Paracelsus beantworten: „Die Menge macht’s!“.

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