Vom Kühlschrank in den Müll – oder andersrum?

Dass wir uns zu den Rangführenden der globalen Wegwerfgesellschaft entwickelt haben, ist in aller Munde. Dass wir dagegen ankämpfen müssen? Weiß jeder. Doch wer tut wirklich etwas dagegen und ist sich seiner eigenen Handlungsfähigkeit bewusst? Eine Geschichte über zwei Menschen die unterschiedlicher nicht sein könnten.

von Natascha Imm

TrashUnicorn ist sein Nickname, er ist Langzeitstudent und Freeganer und lebt in einer kreuz und quer zusammengewürfelten Wohngemeinschaft mit minimalistisch kleinem Fach in einem Kühlschrank  – mit Wackelkontakt. Am Tag erntet er ziemlich viele schräge Blicke beim Containern am Supermarkt nebenan. Ein Ausreißer, aus präsent kapitalistischen Zwängen, der sich gewieft im Weltverbessern versucht. Er taucht lieber in Tonnen umher, anstatt das Perfektionsgemüse an der Supermarktkasse zu kaufen. Ein wahrer Freund der Zweitverwertung: Was unnötig auf die Halde wandert, findet durch ihn den Weg zurück.

Seine Message? Ist simpel: eine gute Mischung aus Risiko, positiver Protesthaltung und Nachhaltigkeit – zack, steht das Essen auf dem Tisch.

Frau Schmidt lebt auf der anderen Seite der Stadt, in einem geziemt gehobenen Vorstadtbezirk. Bei ihr, da funktioniert das Kühlschranklicht und genau aus diesem Grunde hat ihr Gemüse auch gut auszusehen. Tiefrotglänzend und saftigprall muss die Tomate sein. Denn die Ästhetik ist Erreger wahren Appetits. Absonderliche Unförmigkeiten, groteske Auswüchse und solcherlei Marotten landen bei ihr nicht im Einkaufswagen – und Lebensmittel am Rande der aufgedruckten Haltbarkeit kommen ihr erst recht nicht in die Tüte. Eingekauft wird Montag, Mittwoch, Freitag. Schnell füllt sich der 600 Liter Kofferraum mit alledem, was Frau Schmidts großen Augen Freude macht und ihres Ehemannes Herz begehrt. Denn nur so macht das Haushalten als Hausfrau wirklich Spaß.

Die einzige, jedoch wahrhaft negative Begleiterscheinung: auch die Mülltonne zuhause füllt sich – leider Gottes – mindestens genauso schnell. Denn: kommt Neues ins Haus, so fliegt das Alte raus.

Es lässt sich nämlich nicht immer alles restlos verwerten, da kann man schließlich noch so sinnvoll kalkulieren. Und wenn das frische Zeug ein paar Tage gelegen hat, so schmeißt man’s lieber weg. Das kann sonst böse enden: Mycotoxine nennt man die kleinen unsichtbaren Dinger, die sich da bilden. Das sagen auch die Frauen aus dem Tennisclub.

Spätestens nach zwei Wochen ist es dann höchste Zeit für die Müllabfuhr. Die Deckel der Mülltonnen lassen sich meist gar nicht mehr vollständig schließen und das zerstört so ziemlich das komplette Bild des hübschen Vorgartens. Frau Schmidt kann meist nur den Kopf schütteln, wenn sie zufällig sieht, wie die überquellenden Tonnen in den Schlund des Müllwagens entleert werden. Wie verschwenderisch doch die Nachbarn wieder waren!

Lösungsansätze stellen eine Gradwanderung zwischen Applaus und Buhrufen dar. Denn was geschieht, wenn die piekfeine Weltanschauung aller Frau Schmidts mit hippen Trends wie dem Freeganismus kollidiert?

Würde man die Erlaubnis zur Umsonstökonomie erteilen und das Containern legalisieren, so wäre die Ungerechtigkeit gegenüber all denjenigen, die hart dafür arbeiten, um am Ende des Tages ihr Brot auf den Tisch bringen zu können, nur ein Aspekt von vielen, den es zu bewältigen gälte. Denn Wohltätigkeit ist nicht von allen gegönnt und in solchen Fällen leicht der Appetitverderber.

Wenn wir einmal nicht nur auf den eigenen Teller blicken, sondern über den Tellerrand hinaus, so entdecken wir vieles, was eigentlich nicht vertretbar ist. Da sind auf dem Transportweg von Andalusien hierher wegen eines einstündigen Kühlungsausfalls weggeworfene Tonnenladungen nur die Spitze des Eisbergs.

Während wir im Supermarkt hoffnungslos ausgeliefert unseren Gelüsten nachgeben und das, obwohl der Kühlschrank noch halb voll ist, besetzen wir unnütz Land und Ressourcen, von welchen Dritte Welt – Länder problemlos ernährt werden könnten.

Aber so als Durchschnittsverbraucher kann man sich das alles schließlich gar nicht so recht vorstellen. Na klar hört man die Nachrichten und auch die Armut in Entwicklungsländern ist einem in konkret indirekter Form präsent, aber verdrängen lässt sich’s trotzdem leicht, wenn die Augen mal wieder größer sind als der Magen.

Das Resultat? Gigantisch große ethische Fragen, die sich dunkel auftürmen und als unheilprophezeiende Brecher, vor denen man sich doch lieber verstecken möchte, heranrollen.

Ein Konsumverhalten, bei dem das Essen nicht ohne Grund schlecht wird.

Was ist also möglich, um die Wogen zumindest ein wenig zu glätten? Welche aktiven Maßnahmen können wir auffahren, sodass zumindest die Welt im Kleinen ein wenig besänftigt ist?

Vielleicht ist Freeganismus das Extrem und das System zwischen Globalisierung und Vermarktung einfach wahnsinnig komplex. Es gibt jedoch kleine Punkte, die jeder beherzigen kann, denn im Hinblick auf die Fülle des eigenen Einkaufswagens wird es plötzlich erstaunlich einfach: Immer den groben Wochenplan im Hinterkopf behalten und nichts wegwerfen, was noch genießbar ist.

Und um dem viel zu kleinen Kühlschrankfach in der mehrköpfigen Studenten-WG auch etwas Positives abzugewinnen: Im Zuge der nachhaltigen Sparsamkeit bewirkt es leibhaftig noch wahre Wunder.

*FREEGANISMUS

Die Anhänger des Freeganismus bestreiten ihren Lebensunterhalt möglichst unabhängig von jeglichem Konsum. Sie ernähren sich von Weggeworfenem und Geschenktem. Das machen sie nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern aus politischer Motivation, Freeganer sehen sich als alternative Bewegung zur „kapitalistischen Wegwerfgesellschaft“.

*CONTAINERN

Das Durchsuchen von Supermarkt Containern, in denen sich häufig noch verzehrbare Lebensmittel befinden, die wegen des Mindesthaltbarkeitsdatum aus den Supermarktregalen aussortiert wurden. Containern ist in Deutschland illegal.

Tipp der Redaktion

Ihr habt Lebensmittel übrig, die ihr nicht mehr verzehren könnt? Ihr wollt verhindern, dass noch gute Lebensmittel in der Tonne landen, möchtet euch aber nicht containern?

Eure Lösung: Foodsharing! Auf www.foodsharing.de könnt ihr eure übrigen Lebensmittel einstellen oder die von anderen abholen. Mit der App „Too good to go“ könnt ihr günstig Lebensmittel bekommen, die in Läden nicht verkauft werden konnten. Viel Spaß beim Lebensmittel retten!

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