Traust du deiner Arbeitsmoral?
Arbeitsmoral – ein Wort, das oft mit Disziplin oder Leistungsbereitschaft gleichgesetzt wird – besitzt im alltäglichen Gebrauch eigentlich keine Verbindung zu Moral. Oder gibt es doch einen Zusammenhang? Woher kommt diese Bezeichnung?
von Viktoria Medvedenko
Arbeitsmoral – ein Wort, das oft mit Disziplin oder Leistungsbereitschaft gleichgesetzt wird – besitzt im alltäglichen Gebrauch eigentlich keine Verbindung zu Moral. Oder gibt es doch einen Zusammenhang? Woher kommt diese Bezeichnung?
Ziehen wir moralische Überlegungen mit ein, wenn wir von einer „glänzenden“ oder einer „eher verbesserungswürdigen“ Arbeitsmoral sprechen? Ist es moralisch falsch, sich undiszipliniert zu verhalten? Ist es moralisch korrekt, Nächte durchzuarbeiten, um eine wichtige Deadline einzuhalten? Wer setzt die Messlatte zwischen moralisch und unmoralisch? Wir selbst, die Kommilitonen, die Kollegen, die Gesellschaft, der Ethikrat?
Oder bezieht sich Arbeitsmoral einfach auf die Gesamtheit an Gewohnheiten, die an den Tag gelegt werden, um Aufgaben zu erledigen? Wenn Arbeitsmoral nichts mit Moral zu tun hat, warum plagt uns dann ein schlechtes Gewissen, wenn wir mit unserer sogenannten „Arbeitsmoral“ nicht zufrieden sind?[/vc_column_text][vc_empty_space height=“20px“][vc_single_image image=“15754″ img_size=“large“ add_caption=“yes“ alignment=“center“][vc_empty_space height=“20px“][vc_column_text]Diese und ähnliche Fragen sollen innerhalb eines vereinfachten Modells beantwortet werden (siehe Abbildung 1).
- Zunächst wird davon ausgegangen, dass sich jeder Mensch gewisse Vorhaben für seine Arbeit setzt, beispielsweise zwei Seiten der Seminararbeit am Tag zu schreiben
- Diese Vorhaben beeinflussen unsere Alltagsentscheidungen, die wir in der Regel als Gewohnheiten auszuprägen versuchen, wie der Vorsatz, sich direkt nach dem Aufstehen an die Seminararbeit zu setzen
- Unsere Gewohnheiten und sämtliche Aktivitäten, ob sie nun den Vorhaben entsprechen oder nicht, beeinflussen wiederum die Ergebnisse – zum Beispiel das Datum der Fertigstellung und die Note der Seminararbeit
- Sobald Ergebnisse vorliegen, nehmen wir unterschiedliche Bewertungen der dahinterliegenden Leistung wahr: einerseits die eigene Einschätzung und Zufriedenheit über das Ergebnis und andererseits fremdes Feedback, wie eventuelle Anmerkungen zum Stil der Seminararbeit
Diese Bewertungen entstehen aus einem Abgleich des Ergebnisses mit individuellen Erwartungshaltungen und dienen wiederum als Input für die Anpassung der eigenen Vorhaben, also auch der eigenen Erwartungshaltung – ein scheinbarer Teufelskreis, der die Erwartungen verschiedener Personen einander angleicht. Die Bewertungen fließen allerdings nicht direkt in unsere Vorhaben ein, sondern werden noch einmal durch unsere Reaktion auf die Bewertungen gefiltert, denn nicht jeder zieht dieselben Schlüsse aus einer Leistungsbewertung. Beispielsweise könnten unterschiedliche Personen aus derselben Bemerkung über die Seminararbeit herausziehen „Ausdruck war noch nie meine Stärke.“ oder „Es kann doch nicht sein, dass ich schlechter bin als XY. Die Bewertung ist unfair.“ oder „Super, jetzt werde ich sogar für das Layout gelobt.“. Neben diesem Einfluss auf die Anpassung der eigenen Vorhaben besteht auch ein direkter Abgleich zwischen Vorhaben und Vorhabeneinhaltung, also unseren Gewohnheiten. Damit werden die theoretischen Vorhaben manchmal an die praktische Ausführung angepasst, z.B. „ab jetzt nur noch 1 Seite Seminararbeit am Tag schreiben statt 2“.
„Und wo steckt in diesem Modell nun die Moral?“, fragt sich jetzt vielleicht der eine oder andere. Die Moral verbirgt sich genau hinter dem zuletzt genannten Zusammenhang zwischen Reaktionen, Vorhaben und Gewohnheiten. Hier lohnt es sich also, noch etwas weiter zu bohren und hinter die Struktur des Modells zu blicken:
Parallel zur häufig getroffenen Unterscheidung zwischen Utilitarismus („Nur das Ergebnis zählt“) und dem Kategorischen Imperativ („Nur die Intention zählt“) lässt sich auch in diesem Modell unterscheiden zwischen einem Fokus auf das Ergebnis und einem Fokus auf die Intention. Ergebnisorientierte Menschen interessieren sich nur dafür, dass sie z.B. „tatsächlich zwei Seiten am Tag schreiben oder die angestrebte Note erhalten“. Intentionsorientierte Menschen hingegen konzentrieren sich darauf, dass z.B. „nur durch viel Anstrengung überhaupt eine halbe Seite zustande gekommen ist“. Die meisten Menschen orientieren sich jedoch sowohl an den Intentionen als auch am Ergebnis, um Leistungen zu bewerten. Dadurch kann bei beiden Perspektiven jeweils ein ruhiges oder ein schlechtes Gewissen entstehen: So können wir beispielsweise zufrieden mit dem Ergebnis sein, obwohl wir unsere Vorhaben nicht eingehalten haben, oder uns über das Ergebnis wundern, obwohl wir unseren Vorhaben einwandfrei gefolgt sind. Jeder weist diesen beiden Perspektiven unterschiedliche Gewichtungen zu und wird entsprechend anders auf Resultate reagieren (Beispiele siehe Tabelle 1).[/vc_column_text][vc_empty_space height=“20px“][vc_single_image image=“15755″ img_size=“large“ add_caption=“yes“ alignment=“center“][vc_empty_space height=“20px“][vc_column_text]Allgemein und unabhängig von diesem Modell sei natürlich darauf hingewiesen, dass es nicht „die“ richtige Perspektive oder „die“ richtige Gewohnheit gibt, sondern die Bewertung nach „richtig“ oder „falsch“ nur in unseren Köpfen erfolgt. Trotzdem bzw. gerade deshalb sollte berücksichtigt werden, dass gewisse Gewohnheiten eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für ein gewolltes Ergebnis darstellen, z.B. „ist es notwendig, an einer Seminararbeit zu schreiben, um eine gute Note darin zu erhalten, aber es ist nicht hinreichend, da auch viele weitere Faktoren eine Rolle spielen“.
Weil wir vorzugsweise denken „trotz der schlechten Ergebnisse weist er eine gute Arbeitsmoral auf“, beschreibt Arbeitsmoral den Prozess und nicht das Ergebnis der Arbeit und ist damit klar im Fokus auf die Intention zu beziehen. Dies wird dadurch verstärkt, dass wir uns auch Fragen stellen, die dem Kategorischen Imperativ nahe kommen wie z.B. „Kann ich wollen, dass alle ihre Seminararbeiten rechtzeitig abgeben?“. Solche Überlegungen helfen uns zu beurteilen, ob unsere Arbeitsmoral gewissen Normen, Durchschnitten und Vorstellungen entspricht, die wir in uns selbst verinnerlicht haben.[/vc_column_text][vc_empty_space height=“20px“][vc_single_image image=“15756″ img_size=“large“ add_caption=“yes“ alignment=“center“][vc_empty_space height=“20px“][vc_column_text]Neben dieser verallgemeinernden moralischen Dimension kommt noch eine selbstzentrierte Dimension hinzu (siehe Abbildung 2), eine „Moral zu sich selbst“, die viel mit Vertrauen und Gewohnheiten zu tun hat. Um diesen Zusammenhang zu verstehen, lohnt es sich also, Gewohnheiten näher zu betrachten. Hier ihre drei wichtigsten Eigenschaften:
- Je öfter man eine Gewohnheit bei einer Entscheidungssituation einhält, umso stärker wird sie.
- „100 % Commitment“ (nach Jack Canfield, „“The Success Principles“) zu einer Gewohnheit in allen Entscheidungssituationen gibt Sicherheit, dass man sich das nächste Mal genauso entscheiden wird.
- Jede Ausnahme schwächt die Gewohnheit und gibt Entscheidungsfreiheit bzw. die Unsicherheit darüber, wie man sich das nächste Mal entscheiden wird. Man öffnet sich also mit einer „Ausnahmesituation“ eine Hintertür, um seine Gewohnheit in der nächsten Situation umgehen zu können.
Wer also eine Gewohnheit bricht bzw. sich nicht an ein Vorhaben hält – und sei es nur ein einziges Mal – kann sich selbst nicht mehr vertrauen. Es muss also jeder selbst entscheiden, ob es moralisch verkraftbar ist, sich selbst „zu veräppeln“, indem man sich nicht an seine Vorhaben hält bzw. indem man diese herunterschraubt, um sie an die reale Einhaltung anzupassen. Letztlich kann dieses Misstrauen eine weitere Quelle für Gewissensbisse sein und die Frage aufwerfen: „Traue ich mir selbst?“
Dieser Artikel soll keine Handlungsempfehlungen geben und erst recht kein schlechtes Gewissen erzeugen, sondern lediglich ein Bewusstsein für gewisse Zusammenhänge schaffen, die in einem vereinfachten Modell dargestellt sind. Ein wichtiger Sachverhalt dabei ist, dass jeder proaktiv drei Hebel nutzen kann, um die Entwicklungsrichtung dieser Zusammenhänge zu beeinflussen:
- Reaktionen: Wie reagiere ich auf Bewertungen meiner Ergebnisse?
- Vorhaben: Wie bilde ich meine Vorhaben und wie passe ich sie an? Welchen Einfluss haben dabei meine Reaktionen auf Feedback und die Einhaltung meiner Gewohnheiten?
- Gewohnheiten: Entscheide ich mich für oder gegen eine Gewohnheit bzw. ein Vorhaben in den entsprechenden Situationen und welche Auswirkung hat das auf das nächste Mal?
Zum Schluss soll noch einmal festgehalten werden, dass Arbeitsmoral im vorgestellten Modell aus Vorhaben und Gewohnheiten sowie ihren Wechselwirkungen besteht. Die Arbeitsmoral besitzt zwei moralische Komponenten, die zu einem guten oder schlechten Gewissen führen können: Einerseits die Beantwortung der verallgemeinernden Frage gemäß Kategorischem Imperativ „Kann ich wollen, dass alle dieselben Vorhaben setzen wie ich?“ und andererseits die Beantwortung der selbstbezogenen Frage „Kann ich mir selbst vertrauen, dass ich meine Vorhaben einhalte?“. Kann man beide Fragen mit einem „Ja“ beantworten, so kann man seine Arbeitsmoral wohl stolz als „moralisch korrekt“ bezeichnen.
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