Nudging – Der moralische Schubs

Energie sparen, Sport treiben oder uns gesünder ernähren. Das alles sind Dinge, die wir befürworten würden. Bei der Einhaltung hapert es jedoch bei vielen von uns. Die Bundesregierung will helfen und ihre Bürger mit Strategien aus der Verhaltensforschung zu einem besseren Verhalten anregen. Ist dies moralisch vertretbar oder eine manipulative Form der Bevormundung?

von Julian Flesch

Was genau ist eigentlich Nudging? Nudging kommt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie „sanft anstupsen“. Das Konzept wurde von den US-Verhaltensökonomen Cass Sunstein und Richard Thaler entwickelt. Für sie ist es eine Methode, um ohne Verbote oder Befehle das Verhalten von Menschen zu beeinflussen. Nudging animiert Menschen durch einen unterbewussten „Stupser“ zu einem besseren Verhalten. Wenn zum Beispiel in Kantinen das Obst eher in Griffweite liegt als die Schokomuffins, dann greifen die Gäste eher zum Obst.

Im Normalfall läuft Nudging unterbewusst ab und wird vom Rezipienten nicht direkt wahrgenommen. Es gibt aber auch ein sehr transparentes und direktes Nudging, wie etwa die Warnhinweise auf Zigarettenpackungen.

Werden die Techniken des Nudging von Staaten eingesetzt, dann wird auch von weichem Paternalismus gesprochen. Als Paternalismus wird eine Herrschaft bezeichnet, in der die herrschende Autorität eine bevormundende Rolle einnimmt. Der Warnhinweis auf der Zigarettenpackung ist eine weiche Form des Paternalismus. Der Staat verbietet das gesundheitsschädliche Rauchen nicht, sondern beschränkt sich auf Warnhinweise. Er animiert den Bürger nicht zu rauchen, dieser hat aber jederzeit die Möglichkeit sich für das Rauchen zu entscheiden.

Neben dem libertären Paternalismus gibt es noch den harten Paternalismus. Bei diesem erfolgt die Bevormundung durch gesetzliche Vorschriften, an die sich alle Bürger halten müssen – wie die gesetzliche Anschnallpflicht in Autos.

In Großbritannien gibt es bereits erste Erfolge der dortigen Nudging-Einheit. Die britische Regierung subventionierte die Dämmung von Hausdächern großzügig. Trotzdem nutzte kaum ein Bürger die Gelegenheit, um sein Hausdach kostengünstig dämmen zu lassen. Die Nudger fanden heraus, dass viele Bürger schlichtweg zu faul waren, um für die Handwerker ihre vollgestopften Dachböden aufzuräumen. Das Subventionsangebot der Regierung wurde erweitert und nun boten die Handwerker zusätzlich zur Dämmung eine Dachbodenentrümplung an. Die Zahl der subventionierten Dachisolierungen verfünffachte sich.

Eine weitere Maßnahme der britischen Regierung sind Steuerbriefe. Wer dort Steuern nicht rechtzeitig bezahlt, bekommt Mahnbriefe von den Behörden. Eine empirische Studie hatte gezeigt, wie sich die Zahlungsmoral der Briten einfach und effektiv erhöhen lässt: Es wurde ein Hinweis in den Brief eingefügt, dass fast alle Bürger bereits bezahlt hätten. Durch diesen kleinen Hinweis beglichen die Briten ihre Steuern deutlich schneller.

Auch das deutsche Kanzleramt hat Anfang 2014 drei Mitarbeiter eingestellt, die sich mit dem Thema Nudging beschäftigen. Als Vorbild im Kanzleramt gilt das so genannte „MindLab“ in Dänemark. Dort haben sich drei Ministerien zusammengetan und ein Testlabor für effektivere Bürger-Services gegründet. Die Mitarbeiter des MindLab versuchen zu verstehen, wie die Dänen mit staatlichen Regelungen zurechtkommen. Sie vereinfachen bürokratische Prozesse und versuchen die Kommunikation zwischen staatlichen Institutionen und dem Bürger effektiver zu gestalten.

Genau dies ist auch das offizielle Ziel der Mitarbeiter im Kanzleramt. Sie sollen analysieren, wie Gesetzte oder staatliche Projekte besser angenommen werden können. In Dänemark wurde unter anderem die ungemein bürokratische staatliche Unfallversicherung und die Webseite für die elektronische Abgabe der Steuererklärung vereinfacht. Dadurch erhöhte sich die Nutzung der Dienste.

Ein weiteres Beispiel für Nudging ist die Standartsetzung. Dies lässt sich gut an der Organspende zeigen. In Frankreich und Österreich tragen bis zu 99% der Bevölkerung einen Organspendeausweis bei sich, da dort jeder automatisch als Spender angemeldet ist. In Deutschland ist dieser Anteil sehr viel geringer.

Auch in der Wirtschaft wird Nudging betrieben. So stellen Unternehmen Drucker auf, die standardmäßig das Papier beidseitig bedrucken. Wen das stört, der muss die Einstellung selbst ändern. Andere Firmen nehmen ihre Mitarbeiter automatisch in eine betriebliche Altersvorsorge auf. Wer das nicht will, muss dem aktiv widersprechen. „Wir haben festgestellt, dass solche Standardsetzungen viel effektiver sind, als Menschen über steuerliche Anreize in die private Altersvorsorge zu bekommen“, betont der Erfinder Sunstein.

Gegner befürchten einen bevormundenden Staat, der durch unterbewusste Manipulation seine Bürger kontrolliert oder undemokratisch beeinflusst. Die Kritik ist nicht ganz unberechtigt: Transparenz ist eine der Grundvoraussetzung der Demokratie. Nur wenn alle Menschen die gleichen Informationen besitzen, können sie freie Entscheidungen treffen. Ein unterschwelliger, unbemerkter „Schubs“ der Regierung könnte diese Voraussetzung negativ beeinflussen. Ist es für einen Staat also moralisch vertretbar, Techniken des Nudging zu benutzten? Nun, das Entscheidende am Nudging ist die Tatsache, dass er kein harter Paternalismus ist. Das Beispiel aus England mit der staatlich subventionierten Dachbodenentrümpelung zeigt sehr gut: in diesem Fall ist Nudging ein Angebot der Regierung und die Bürger können sich dafür oder dagegen entscheiden.

Dieser „Stupser“ kann also ein wirksames Instrument des Staates sein, um die Bürger zu einem besseren Verhalten anzuregen. Jedoch müssen die Techniken des Nudging transparent eingesetzt werden, um den Vorwürfen einer unterbewussten Manipulation entgegen zu wirken.

Herausgeber

fuks e.V. – Geschäftsbereich Karlsruher Transfer

Waldhornstraße 27, 76131 Karlsruhe
Telefon +49 (0) 721 38 42 313
transfer@fuks.org

Urheberrecht:

Alle Rechte vorbehalten. Die Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigungen jeglicher Art sind nur mit Genehmigung der Redaktion und der Autoren statthaft. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider. Der Karlsruher Transfer erscheint einmal pro Semester und kann von Interessenten kostenlos bezogen werden.