„Der Mensch ist nicht mehr Natur pur“ – Ein Interview zum Verhältnis von Mensch und Maschine
Roboter sind aus unserem Alltag kaum noch wegzudenken. Wie stehen Mensch und Maschine zueinander und wie könnte sich das Verhältnis in Zukunft entwickeln? Wir haben mit Frau Prof. Lucke, einer Expertin aus dem Fachgebiet Sozionik, gesprochen.
das Interview führte Mado Wohlgemuth
Was versteht man unter Sozionik? Gibt es Parallelen zum Forschungsgebiet der Bionik?
Die meisten Menschen haben den Begriff „Bionik“ schon einmal gehört, das Fachgebiet der Sozionik kennen jedoch die wenigsten. Die Sozionik gibt es ca. seit 1990, das erklärt die relative Unbekanntheit. Während in der Bionik Phänomene aus der Biologie technisch nachgeahmt werden (z.B. der Lotuseffekt), setzt sich die Sozionik aus den Fachgebieten Soziologie und Technik zusammen. Sie beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Verhältnis von Mensch und Maschine.
Roboter können immer mehr leisten, manche sind selbstlernend. Inwieweit entstehen daraus neue Anforderungen an die Kooperation von Menschen und Maschinen?
Wir Menschen müssen den Umgang mit den neuen Maschinen erst ganz neu lernen. Dies kann man gut am Beispiel des autonomen Fahrens verdeutlichen. Wir werden keinen Führerschein mehr erlangen müssen, wie wir ihn heute kennen. Allerdings werden wir ein Zertifikat erwerben müssen, dass wir befähigt sind zu wissen, was das Auto kann und was nicht. Dies wird eine große Umstellung für uns sein. Es geht nicht mehr darum, Verkehrszeichen zu kennen, sondern über das „Innenleben“ des Autos Bescheid zu wissen.
Kann der Mensch ohne Technik noch existieren? Sind wir auf dem Weg in eine Hybridgesellschaft? Woran erkennt man, dass es jetzt schon keine getrennten Mensch-Maschine-Welten mehr gibt?
Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt noch irgendetwas gibt, was nicht hybrid ist. Man kann sagen, der Mensch in der heutigen Zeit ist nicht mehr Natur pur.
Beispielsweise machen Kaiserschnitte 30% der Geburten aus. Streng genommen sind diese Kinder nicht geboren, sondern in die Welt „hineinoperiert“ worden. Dies wird aber immer mehr als natürlich dargestellt. In einem schleichenden Prozess wird die Natürlichkeit nur noch technisch simuliert, beispielsweise auch, wenn die Wehen künstlich herbeigeführt werden. Ein ähnliches Phänomen können wir bei Patienten beobachten, deren lebenserhaltende Maschinen unter bestimmten Bedingungen abgestellt werden können, wenn die Familienangehörigen eingetroffen sind und sich verabschieden konnten. An diesen Beispielen wird deutlich, dass Menschen schon heute wie Maschinen behandelt werden.
Ihre Konvergenzthese ist, dass Menschen immer maschinenähnlicher werden und dass Maschinen einen „human touch“ bekommen. Wo kann man diese Phänomene jetzt schon konkret beobachten?
Dass die Maschinen immer menschenähnlicher werden, ist im Film „Ex Machina“ gut zu sehen. Darin ist die künstliche Intelligenz angezogen, sodass man keine Drähte und Schläuche mehr sieht. Die Maschine soll also nicht mehr durchsichtig sein. Die Vermenschlichung der Technik und die „Maschinisierung“ des Menschen gehen Hand in Hand. Es wird versucht, die künstliche Intelligenz körperhaft darzustellen und den Eindruck zu (er)schaffen, dass es sich um einen richtigen Interaktionspartner handelt. Aus Forschungen der Sozialpsychologie ist nämlich bekannt, dass uns jemand sympathischer ist, wenn wir in ihm Ähnlichkeiten mit uns erkennen. Man kann das Ganze also als Konvergenzbewegung bezeichnen. Es wird nur noch eine Frage der Zeit sein, dass das Geschehen solcher Filme Wirklichkeit wird.
Dass Menschen und Maschinen sich immer ähnlicher werden, merkt man z.B. an der Sprache. Wir sagen: „Das speichere ich jetzt ab“, wenn wir uns etwas merken wollen. „Oh, das hatte ich jetzt gar nicht auf dem Schirm“, wenn wir etwas vergessen haben. „Das Gerät hat den Geist aufgegeben“, wenn etwas nicht mehr funktioniert. Hier sieht man eine Interaktion zwischen Mensch und Maschine, die sich nun bereits auf Augenhöhe befinden. Die alte Vorstellung einer bloßen „Schnittstelle“ von Mensch und Maschine ist nicht mehr zeitgemäß.
Zudem dringt Technik heute auch immer tiefer in den menschlichen Körper ein, z.B. in Form von Herzschrittmachern.
Ein weiteres Gebiet sind die Reproduktionstechnologien, über die es meiner Meinung nach viel zu wenige Diskussionen gibt. Eine bekannte Schriftstellerin bezeichnete Kinder, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind, öffentlich als „Halbwesen“, denen der volle Personenstatus abgesprochen wird. Ich sehe das zwiespältig. Diese „künstlichen Kinder“ könnten den Status bekommen, den früher nichteheliche Kinder hatten. Hierin erkenne ich einen möglichen Ansatzpunkt für Diskriminierung.
Wenn man einen Schritt weiter geht, kann man sich fragen: Werden demnächst die Kinder diskriminiert, die auf natürlichem Wege auf die Welt kommen, weil sie möglicherweise „unperfekter“ sind?
Die Frage ist: Was ist das Maß dafür? Und was bedeutet dementsprechend Abweichung?
Können sich Maschinen so auf ihr Gegenüber einstellen, dass sie sich dadurch beliebter machen? Ist es möglich, dass sie so etwas wie Empathiefähigkeit haben?
Hier befinden wir uns dann im Bereich des Selbstlernens. Das ist ein zwiespältiges Thema: Manche sind überzeugt, es könnte funktionieren, die anderen glauben das nicht. Hier fällt mir der Film „Her“ ein, in dem sich die Maschine in Andere hineinversetzen kann.
Mir ist auch aufgefallen, dass wir über Roboter wie über Kinder reden: „Das kann er schon, das muss er noch lernen“. Ich glaube, in so einem Stadium befinden sich die Roboter momentan.
Wenn mir ein Kind auf dem Gehweg mit einem Roller entgegenkommt, frage ich mich, ob es schon bremsen kann. Es besteht ein gewisses Misstrauen. Genauso sieht es gerade mit den Maschinen aus.
Sie sagen, die Unterscheidung Mann/Frau wird von der Unterscheidung Mensch/Maschine abgelöst werden. Wie kommen Sie darauf?
Als die Welt noch „in Ordnung“ war, entsprach die Relation Mann-Frau dem ursprünglichen Verhältnis von Mensch und Maschine. Dabei ist der Mensch der Herr und die Maschine der Knecht, ein Hilfsmittel sozusagen, das vom Menschen beherrscht wird. Genauso haben Männer ja auch über Frauen geherrscht.
Nun haben die Maschinen angefangen zu denken, sie sind jetzt vielmehr „Denkzeug“ als Werkzeug. Sie sind in der Lage, viel mehr zu tun als das, was der Mensch ihnen sagt. Analog dazu: die emanzipierte Frau, die nicht mehr den Befehlen des Mannes gehorcht.
Heute sieht man allerdings an „Chatbots“, dass die Kategorie Geschlecht wieder kommt. Smartphones heißen „Android“ (von gr. „aner“ – „Mensch“/„Mann“ und „eidos“ – „Aussehen“/„Gestalt“) und dieser Begriff ist männlich!
Aktuelles Forschungsthema ist der Einsatz von Robotern als Lösung für den Mangel an Pflege-/Krankenhauspersonal. Wie stehen Sie dieser Anwendung gegenüber?
Während das in Japan schon fast gängige Praxis ist, ist die Zustimmung in Deutschland eher zurückhaltend.
Ich habe dazu eine eigene Interpretation entwickelt. Viele Japaner_innen sind Animisten, das bedeutet, sie glauben an Animismus und somit an die „Beseeltheit“ der Dinge. Die Technik wird vermenschlicht und somit ist es für sie einfacher, Roboter als Personal anzunehmen.
In Deutschland ist man eher der Auffassung, dass es zwei getrennte Welten gibt: die der Menschen und die der Dinge.
Ich kann mir vorstellen, dass es manchen Menschen vielleicht lieber sein könnte, wenn sie von einer Maschine gepflegt werden als von einem nahen Angehörigen, weil ihnen das zu tief in die Privatsphäre eingreifen würde. Das wäre eine Art Distanzierung, um Menschenwürde zu wahren, ich spiele hier auf das bürgerliche Privileg der Fremdheit an. So könnte eventuell auch die Akzeptanz der Roboter in Deutschland steigen.
Die aktuellen Fragen zu diesem Thema sind: Sollte es „Roboterrechte“ geben? Und wer haftet, wenn Roboter einen Schaden anrichten? Hier befinden wir uns in einem Umbruch.
Abschließend: Ist der Roboter mehr Freund oder Feind?
In Zeiten, in denen wir schon von vielen Hybriden umkreist sind, ist diese Frage meiner Meinung nach überholt. Das „oder“ passt heute nicht mehr da rein. Der Roboter ist für uns heute sowohl Freund als auch Feind – und möglicherweise sogar weiblich!
Herzlichen Dank für das Interview, Frau Prof. Lucke!
Prof. Dr. Doris Mathilde Lucke
ist Diplom-Soziologin und lehrt am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität Bonn. Zu ihren wissenschaftlichen Schwerpunkten zählen neben der Technik- und Mediensoziologie sowie den Reproduktionstechnologien unter anderem auch Akzeptanzforschung und Gender Studies. Sie gehört als assoziierte Professorin dem Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW an, ist Mitherausgeberin der Zeitschrift für Rechtssoziologie und Vertrauensdozentin einer politiknahen Stiftung.
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