24/7 Online
Selten waren wir uns so nah und gleichzeitig so fern wie in der heutigen Zeit der mobilen Kommunikation. Jeden Tag, zu jeder Zeit posten wir Bilder auf Instagram, jodeln was das Zeug hält, schneiden Grimassen per Snapchat, chatten via Facebook, schicken Sprachnachrichten über WhatsApp und das alles, ohne dass ein anderer Mensch aus Fleisch und Blut anwesend sein muss. Wenn sich Kommunikation immer mehr im virtuellen Raum abspielt anstatt von Angesicht zu Angesicht, schweigen wir uns damit nicht letztendlich auseinander?
von Isabell Gebhardt
Fast jeder kennt doch solche Szenen aus dem Alltag, die uns verdeutlichen, wie wenig wir uns eigentlich zu sagen haben, wenn es darum geht, einem anderen dabei in die Augen zu schauen. Freunde glotzen gebannt auf ihre Smartphones, in einvernehmliches Schweigen gehüllt. Ihre einzige Interaktion besteht darin, sich gegenseitig witzige Posts und Bilder zu zeigen, die dann, und nur im Falle eines sehr großen Mitteilungsbedarfs, vielleicht auch noch kommentiert werden.
Der magischen Anziehungskraft eines Displays kann sich kaum einer entziehen und man starrt und starrt und starrt, insbesondere dann, wenn man eigentlich dringlichere Dinge zu erledigen hätte. Zu groß ist die Angst, etwas Wichtiges zu verpassen. Das geht solange, bis der ganze Tag nur noch aus stummer Kommunikation besteht. Ein Snap vom Frühstück, Mittag- und Abendessen, ein Bild vom #OutfitOfTheDay, ein Video vom Seebesuch am Nachmittag. Vor allem die Kommunikation über soziale Medien bestimmt unseren Tagesrhythmus. Es bedarf nicht einmal mehr Worten, nein, schon ein Beitrag in Pixeln reicht völlig aus, um in Kontakt zu bleiben, um sich mitzuteilen – und das rund um die Uhr. Nicht selten geht das so weit, dass wir sogar bereit sind, unser „stilles Örtchen“ zu opfern, um daraus nur ein weiteres x-beliebiges Örtchen zu machen, wo man in Ruhe und Frieden ungestört kommunizieren kann.
„Na und!?“, mag jetzt der ein oder andere an dieser Stelle empört einwerfen, das Netz verbinde uns nun mal mit Menschen, die uns wichtig sind – und das stimmt auch. Die modernen Möglichkeiten der Kommunikation bringen Menschen zusammen. Sie ermöglichen Fernbeziehungen, grenzüberschreitende Zusammenarbeit und eine Aktualität und Transparenz von Nachrichten, wie es sie nie zuvor gegeben hat. Sie schaffen uns den Zugang zu Informationen, Foren, Klatsch und Tratsch, sie halten uns auf dem Laufenden. Wir können ganz nah dran sein am Leben der anderen, obwohl uns Tausende von Kilometern trennen, können Bilder und Videos über Ozeane und Gebirge hinweg senden und müssen dafür nur einen einzigen Finger bewegen. Die Kommunikationsmöglichkeiten der heutigen Zeit verleihen uns Macht und Freiheit. Sie geben denjenigen eine Stimme, die etwas zu sagen haben und lassen jene Anteil haben, die lieber schweigen. Die Welt rückt näher zusammen und niemand wundert sich mehr darüber, dass sich alle elf Minuten ein Single über Parship verliebt. Wo sonst könnte man leichter den Partner fürs Leben finden als im Netz, wo sich sowieso ein Großteil unseres Lebens abspielt? Ja, die mobile Kommunikation verbindet Freunde, Paare, Familie, Geschäftspartner und viele mehr. Besonders unsere Smartphones übernehmen ganz selbstverständlich die Rolle des Vermittlers über Distanzen von Zeit und Raum.
Doch wo sie verbinden, da trennen sie auch. Trotz all der neuen Möglichkeiten mit Menschen auf der ganzen Welt in Kontakt zu sein, ist es heute ganz normal, dass kaum einer mehr die eigenen Nachbarn beim Namen kennt. Diese neugewonnene Anonymität ist nur eine der vielen Schattenseiten moderner Kommunikation. „Er schreibt mir seit Tagen nicht zurück, obwohl er alle meine Nachrichten gesehen hat!“, klagt beispielsweise eine Freundin der anderen und erntet ein mitfühlendes Lächeln, denn es ist völlig klar, was das zu bedeuten hat. Keine Antwort ist schließlich auch eine Antwort, in Anbetracht des sozialen Zwanges, der auf jedem liegt, möglichst schnell und in jeder Situation zurück zu schreiben.
Die ständige Kommunikation über die sozialen Netzwerke definiert unsere Existenz. Denn es ist doch so, wer länger als zwölf Stunden nicht mehr online war, der gilt schon als verschollen. Und wer die ganze Woche nicht mehr online war, ist hoffentlich nur im Urlaub, denn man macht sich nun mal schnell Sorgen. „Zuletzt online“ steht ganz selbstverständlich für das letzte offizielle Lebenszeichen, das übermittelt wurde. Nicht selten kommt man am Ende noch auf Ideen und besucht den sozialen Aussteiger zu Hause, nur um zu schauen, ob auch wirklich alles in Ordnung ist. „Hallo zusammen, mein Handy war kaputt…“ lautet zumeist die Erklärung in allen sozialen Netzwerken und die Community atmet auf, denn besagter Verschollener ist wieder online und somit, Gott sei Dank, wieder erreichbar.
Es ist schon lange keine Neuigkeit mehr, dass die moderne Art der Kommunikation letztlich auch unser Wesen verändert. Schließlich verhalten wir uns oft ganz anders, wenn wir online sind. Der Morgenmuffel chattet schon vor dem Zähneputzen, das Mauerblümchen posiert sich auf Bildern ohne Scheu und sogar der Außenseiter findet online seine Nische und ist mit Gleichgesinnten in Kontakt. Wo sich die Türen der Wirklichkeit hinter uns schließen, da öffnen uns die mobilen Kommunikationsmedien die Portale zur Online-Welt, dem Netz, das die ganze Welt verbindet. Und was ist so schlimm daran? Aus der Welt, die niemals schläft, finden viele den Ausgang einfach nicht mehr. Wie in einem Strudel von Bildern, News und Trends gefangen, paddeln sie hilflos von Belanglosigkeit zu Belanglosigkeit. Sie werden unfähig den Blick abzuwenden, während die Zeit ihres Lebens träge dahin rieselt wie Sand im Stundenglas. Wenn wir den Bezug zur Realität verlieren, lassen wir letztlich viele Dinge zurück, die uns virtuelle Kommunikation nicht bieten kann, allem voran die Authentizität der Wirklichkeit. So ist es nur noch eine Frage der Zeit bis wir bemerken, dass uns der Erzählstoff ausgeht, weil wir aufgehört haben wahrhaftig zu erleben und zu entdecken.
In Zeiten, in denen Kommunikation wie eine Gesellschaftsdroge wirkt, gibt es nur einen Ausweg, und zwar strikten Entzug! Konkret bedeutet das für uns weniger WhatsApp, weniger Facebook, weniger online. Wir müssen anfangen, uns „weniger ist manchmal mehr“ zu Herzen zu nehmen und Kommunikation wieder ins Hier und Jetzt verlegen. Wenn Spiderman kein Netz hat, dann bleibt ihm eben auch nur eines zu tun: einfach mal ‘ne Runde chillen.
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