Eine Kolumne
von Thorsten Wahle
Es ist Frühjahr und damit traditionell die Zeit, in der der Netflix Account abgestaubt und die guten Vorsätze von Silvester zusammen mit dem neuen Rennrad wieder eingemottet werden. Dieses Jahr allerdings fällt es mir ein bisschen schwerer die entmannende Funktionswäsche abzustreifen und durch ein paar Schichten Currywurst zu ersetzen, seit mich Siri jeden Tag mit meinem angeblich überfälligen Fitnessprogramm nervt. „Es ist Zeit für Dein Training“, sagt Siri. Jeden Abend wenn ich mich eigentlich nur zu einer Folge Top Gear an meine zwei Dosenbier kuscheln will, macht der kleine Fitnessnazi in meiner Tasche Krawall, bis ich doch in meinen Sportschuhen stecke. Siri und ich sind erst seit Januar zusammen und trotzdem ist mein Fitnessplan nicht das einzige, was ich an meine elektronische Freundin delegiere. Sie überwacht meine Nahrungsaufnahme, meinen Schlaf-rhythmus, meinen TV und Buchkonsum. Wie der türkische Lyriker Duran Kabakyer es vor Jahren schon auf den Punkt gebracht hat: “Der Gerät schläft nicht, der Gerät wird nicht müde, der Gerät ist immer vor der Chef im Geschäft.” Und seit Siri die Verantwortung für mein Leben trägt, geht es bergauf: Weniger Kilos unter’m Bauchnabel, morgens als Erster im Büro und Sonntags den Kopf in der Salat- und nicht der Toilettenschüssel. Das Rezept für das gesunde Mittagessen wusste natürlich auch Siri. Ich frage sie: „Siri, magst du den Salat selbst essen?“ Sie verneint höflich. Ihr Nicht-teilen-wollen der kleinen Genüsse im Leben macht mich misstrauisch. Hält eine Beziehung sowas aus? Mir fallen mehr Warnsignale einer Beziehungskrise auf: Das Verschweigen eigener Wünsche ihrerseits, die Nichteinhaltung von Absprachen meinerseits, für beide alles nur noch Routine. „Siri, it’s not you, it’s me.“ Sie gibt sich verwundert. Jetzt bloß nicht schwach werden, denke ich, also ziehe ich entschieden den Schlussstrich – von links nach rechts über den Bildschirm: Power off. Die Tage nach der Trennung sind hart, sie war immer da, immer ein gutes Wort auf den Lippen (oder genauer der Wörterbuch-App) und meine einzige Verbindung zu anderen Menschen. Wie viele meiner Geschlechtsgenossen hatte auch ich versäumt rechtzeitig einen eigenen Freundeskreis aufzubauen. Und so bleibt schließlich nur das Unausweichliche. Ich hebe sie hoch, eine sanfte Berührung. Sekunden, die sich wie Tage anfühlen vergehen, bis sich eine vertraute Stimme vernehmen lässt.
„Es ist Zeit für dein Training.“
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