Influencer-Marketing – Höhenflug der Stars

„Influencer (von englisch to influence: beeinflussen) sitzen ja den ganzen Tag nur herum und arbeiten nichts.“ Ein Statement, das weiter von der Realität kaum entfernt sein könnte, denn das Influencer-tum ist weit mehr als nur „Follower“ und „Likes“. Mittlerweile wird die Branche auf einen Marktwert von über einer Milliarde Dollar geschätzt und erhält seinen eigenen Marketing-Preis für besondere Leistung.

von Sarah Boussard

Im Juni fand in Cannes das internationale Festival der Kreativität statt. Auf diesem Event tummeln sich alle Menschen, die Rang und Namen in der bunten Welt der Werbung und des Marketings haben. Diesmal gab es als Besonderheit einen eigenen Award für Influencer und soziale Medien.

Allerdings sind die Zeiten, in denen ein nettes Lächeln und ein Selfie-Stick der Weg zum Ruhm waren, lange vorbei. #YOLO und #NOFILTER haben nur noch sehr wenig mit der mittlerweile ausgewachsenen Industrie des Influencer-Marketings zu tun. Ganz im Gegensatz zu Expertenmeinungen aus Marketingkreisen noch vor zwei Jahren. Da waren sich viele einig: Das ganze Influencer-Ding ist nur eine Phase und wird bald im Sumpf des Internets erstickt werden.

Mit Kooperationen Geld verdienen

Anfang dieses Jahres schien auch genau das bewiesen zu werden, als das White Moose Café in Dublin die junge Influencerin Elle Darby und ihre „Machenschaften“ bloßstellte. Die Britin fragte das Hotel an, ob sie umsonst im Hotel übernachten könne, um dort ein romantisches Wochenende mit ihrem Freund zu verbringen. Im Gegenzug wollte sie Werbung für das Hotel auf ihren Social-Media-Kanälen machen. Paul Stenson, der Leiter des Hotels, fand das überhaupt nicht witzig und konnte mit dieser klassischen Influencer-Strategie nicht viel anfangen. Er veröffentlichte ihr Angebot und erntete prompt jede Menge positives Feedback rund um den Globus.

Die meisten waren von der Dreistigkeit der jungen Dame nicht nur überrascht, sondern erbost. Ein schickes Hotelzimmer für ein Foto und einen Hashtag? Kaum zu vergleichen mit einem mühsam ersparten Jahresurlaub. Der Vorfall erschütterte die Branche und schürte die Kritik an den Influencern.

Oder ist es vielleicht ein bisschen mehr als ein Foto und ein Hashtag? Eileen Primus erzählt auf ihrem Blog „Ein Zimmer voller Bilder“ über die bunte Influencer-Welt und hat in einem Interview mal Klartext gesprochen: Solche Anfragen seien vollkommen normal und in der Influencer-Welt sogar ausdrücklich erlaubt. Eileen sagt: „Ich bekomme oft Anfragen von Hotels, die mir Übernachtungen im Austausch für Fotos und Content anbieten. Wenn ich eine Reise plane, frage ich auch mal an, ob Hotels Lust auf eine Kooperation haben.“ Denn die Übernachtung im Luxushotel ist genau genommen kein Urlaub, sondern Arbeit. „Kooperation“ nennt sich das Ganze dann auf „influencerisch“ und meint nichts anderes als bezahlte Werbung mit einem Gesicht. Und wenn diesem Gesicht dann fast eine Million Menschen folgen, die Videos oder Fotos also stets anschauen, dann bedeutet das eine sehr große Reichweite für den Werbenden.

Die ganze Influencer-Industrie begann 2008 und ging seitdem steil bergauf. Doch so neu war die Idee eigentlich nicht. Stars und Sternchen, die ihr Gesicht für bekannte und unbekannte Marken in die Kamera hielten, gab es schon immer. Wenn ein berühmter Fußballer nach seiner Karriere für ein hochpreisiges Unterwäsche-Label modelt, dann hört man keine Schreie in seine Richtung. Liegt der einzige Unterschied nur darin, dass die meisten werbenden Stars Schauspieler, Sänger oder Sportler waren? Die quasi vor ihrer Werbekarriere einen „richtigen“ Job hatten? Sie wurden erst nach ihrer eigentlichen Karriere zum Influencer und hatten ihre Sporen im Rampenlicht bereits verdient, daher könnte man leicht darauf hineinfallen, Werbeverträge mit Stars und Influencer in einen Topf zu werfen.

Freund statt Promi

Wenn Prominente in die Werbung gehen, dann geschieht dies meist mit harten Knebelverträgen, bei denen mehr Geld über den Tisch wandert, als sich ein Normalverdiener vorstellen kann. Die Werbefilmchen werden aufwändig produziert, gedreht, und aufgestellt. Es wird sehr viel Geld investiert, um im Zuschauer den Wunsch zu erwecken, dem Star ein kleines Stückchen näher zu kommen. Doch warum reicht das nicht mehr? Ganz einfach: Die Konsumenten haben die Werbebranche durchschaut. Kein Topmodel benutzt ein Billig-Deo, sondern bekommt verdammt viel Geld dafür, so zu tun als ob. Doch der entscheidende Unterschied zu den Influencern liegt woanders. Die klassische Influencer-Maschinerie funktioniert im Hintergrund am besten. Das Foto soll aussehen wie gerade „aus Versehen“ zu Hause geschossen. Es wird gezielt versteckt, wie viel Arbeit in ein Fotoshooting gesteckt wurde, weshalb viele darauf hineinfallen und es „Geld machen fürs nix tun“ nennen. Denn Influencer sind eigentlich keine Stars oder Sternchen, denen man nacheifern will. Influencer-Marketing soll daherkommen wie ein Freund, der uns ein Produkt empfiehlt. Ein nettes Lächeln und eine kleine Geschichte sollen dir erzählen: Ich mache das hier nicht für das Geld. Ich mache das, weil ich will, dass DU glücklich bist. Und das funktioniert laut Nielsen (einem globalen Informations- und Medienunternehmen) ziemlich gut. 84 Prozent aller Käufer vertrauen den Meinungen der Menschen, die sie kennen. Ganze 70 Prozent machen ihre Entscheidungen außerdem von Nutzerberichten anderer Käufer online abhängig. Influencer bieten dabei beides, auch wenn Ersteres eher eine Illusion ist.

Das neue Marketing

Doch trotz aller Freundlichkeit verdienten Influencer vereinzelt fast dreihunderttausend Dollar pro Social-Media-Post im Jahr 2016, Tendenz steigend. Das kommt verdächtig nah an das heran, was wir als „Star-Gehalt“ ansehen. So gut wie jede Medien-Agentur hat den Wert von Influencer-Marketing mittlerweile erkannt. Die Association of National Advertisers fand heraus, dass bereits 75 Prozent aller Mitglieder der Organisation mit Influencern arbeiten und sagen voraus, dass 2023 bereits 20 Prozent allen Marketings auf der Welt durch diesen Markt funktionieren wird.

Allerdings hat das Influencer-Marketing auch seine Schattenseiten. Immer mehr Angebote zum Kaufen von Followern, Likes oder Kommentaren erscheinen überall im Netz. Obwohl diese oftmals gegen die Nutzungsrichtlinien der Social-Media-Kanäle verstoßen, versuchen viele Menschen ihre Reichweite so zu „faken“. So sollen sich diverse Kooperationen ergeben, die den Firmen vermeintlich Reichweite und gutes Marketing bringen, obwohl alle Follower lediglich Computerprogramme und keine realen Käufer sind. Doch nur da, wo eine Nachfrage ist, findet sich auch das Angebot und die Nachfrage gibt es zur Genüge. Eine Londoner Dating- App fand heraus: 82 Prozent aller Millennials* wollen gerne Influencer sein. Zwei Probleme gehen dabei Hand in Hand. Das erste Problem: Wenn Firmen Influencer beauftragen, für sie ein Produkt zu posten, zu twittern oder das Produkt in einem Video zu zeigen, dann wollen sie dafür einen Mehrwert haben, z. B. gute Werbung oder mehr Kunden. Letzten Endes geht es um eines: Absatzsteigerung. Doch Fake-Accounts und die Masse an Influencern, die den Markt überschwemmen, erschweren genau das. Einen Influencer mit gekauften Followern zu erkennen, ist nicht immer einfach und führt zu einem unfairen Tauschhandel: kostenloses Hotelzimmer oder Produkt gegen unzureichende Werbung. Denn zweckmäßige Werbung ist es in dem Fall nicht, wenn sie keine echten Menschen erreicht. Für die Firmen also ein absolutes Verlustgeschäft. Das zweite Problem tritt auf, wenn immer mehr Menschen in die Branche einsteigen: Wenn jeder ein Influencer ist, wer kauft die Produkte dann noch? Wenn alle Influencer sind, dann ist es niemand. Auch hier sinkt der Mehrwert für die Kooperationspartner irgendwann gegen Null.

Um genau das zu verhindern, wird das Influencertum langsam in das traditionelle Marketing eingegliedert und mit Regeln und Sicherheitsvorkehrungen versehen. Ganze Firmen haben sich der Mission verschrieben, gute und schlechte Influencer zu filtern, um so einen Weg durch den Influencer-Dschungel für Marketing-Suchende zu ebnen. Kurzum: Das Ganze wird ein Eckchen spießiger, kontrollierter und unechter gemacht.

Professionalisierung könnte Influencern auf Dauer schaden

Damit (und mit den neuen Datenschutzgesetzen) wird es für Influencer immer schwerer, ihr Alleinstellungsmerkmal zu behalten. Sie sind nicht länger die netten Bekannten aus der Nachbarstadt, die immer so schöne Fotos von Essen posten und zufällig ein paar Produkte zeigen, sondern sie sind Teil der Werbemaschinerie. Damit werden sie nun wirklich zu Stars und Prominenten. Leinwandfiguren, von denen jeder weiß, dass sie nicht die nette Freundin, sondern bezahlte Marketinginstrumente sind.

* MILLENNIALS
Werden auch Generation Y genannt. Das Y wird hier wie das englische Wort why (dt. „warum“) ausgesprochen. Das
soll auf das charakteristische Hinterfragen von allen möglichen Dingen in dieser Generation hinweisen. Millennials werden alle Menschen genannt, die im Zeitraum der 80er bis frühen 2000er geboren wurden.

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