Fraktale als…
von Leonie Schmidt-Enke
von Leonie Schmidt-Enke
… MENSCHLICHER LUFTSPEICHER
Fraktale sind – wortwörtlich – überlebenswichtig: Wenn wir atmen, strömt der Sauerstoff in die Lunge und damit in eine fraktale Struktur. Ausgehend von der Luftröhre teilt sie sich in zwei Hauptäste, die beiden Lungenflügel, auf.
Hier beginnt ein Verästelungsprozess über mindestens 20 Ebenen hinweg, der bei mikroskopisch feinen Gängen endet. Diese führen schließlich in das eigentliche, atmende Lungengewebe mit seinen rund 300 Millionen Lungenbläschen. Zumindest ist das der Idealfall, denn bei Raucher*innen erleidet die Lunge häufig einen Verlust an Verzweigungen.
Dank dieses Zusammenhangs können Ärzt*innen mithilfe der fraktalen Analyse von Computertomographie-Aufnahmen der Lunge früh erkennen, ob Patient*innen ein erhöhtes Risiko haben, an chronischer Raucherbronchitis zu erkranken oder sogar daran zu sterben. Forscher*innen der University of Alabama fanden heraus, dass bei Raucher*innen eine Beziehung zwischen der fraktalen Dimension der Lunge und Atemwegsverengungen, der Erkrankungshäufigkeit der Atemwege und dem Verlust der Lungenfunktion besteht. Kurz gesagt: Je höher die fraktale Komplexität, desto gesünder ist die Lunge.
… NATÜRLICHE ENTSPANNUNGSHILFE
Dass ein Blick ins Grüne entspannend wirkt und sogar zur schnelleren Genesung nach einer Operation führen kann, weiß man durch eine Studie des Geografen Roger Ulrich bereits seit 1984.
Auch dafür könnten fraktale Eigenschaften verantwortlich sein. Eine neuere Untersuchung, ebenfalls von Richard Taylor geleitet, wies mit Hilfe von Messungen der Hautleitfähigkeit und Elektroenzephalographie (EEG) nach, dass das Betrachten von fraktalen Formen Stress reduziert. Am stärksten war der Effekt mit natürlichen, also nicht exakten Fraktalen und bei fraktalen Dimensionen zwischen 1,3 und 1,5. Zeigte man den Proband*innen stattdessen exakte, mathematische Fraktale, verringerte sich bei der EEG-Untersuchung die entspannende Wirkung. Außerdem arbeitete das Forschungsteam mit Eye-Tracking und fand heraus, dass unsere Augenbewegungen beim Betrachten der Muster selbst fraktale Formen bilden – ebenfalls mit einer Dimension im mittleren Bereich zwischen 1,3 und 1,5. Dimensionen in diesem Bereich sind in der Natur oft vertreten, zum Beispiel bei Wolken, Bäumen oder Bergen. Eine mögliche Erklärung: Unser Auge und das gesamte visuelle System haben sich daran angepasst, fraktale Muster mit einem solchen Dimensionsbereich besonders effizient zu verarbeiten – zum Beispiel, um den Tiger im Dschungel schnell zu erkennen.
… KÜNSTLERISCHER FINGERABDRUCK
Bunt, chaotisch, rätselhaft – aber doch auch irgendwie vertraut und natürlich. Die Bilder des Malers Jackson Pollock aus den 40er- und 50er-Jahren faszinieren bis heute. Pollock nutzte das „Drip-Painting-Verfahren“: Die Leinwand lag auf dem Boden und er ließ Farbe, zum Beispiel aus einem Loch in der Dose, darauffließen oder spritzen. Was unberechenbar wirkt, soll allerdings geplant gewesen sein: „Ich kann den Fluss der Farbe kontrollieren, es ist kein Zufall“, so Pollock. Einen Beleg dafür, dass seine Bilder tatsächlich mehr sind als zufällige Kleckserei, lieferte der Physiker Richard Taylor.
Er fand heraus, dass Pollocks Muster fraktal sind – obwohl es diesen Ausdruck zu seiner Schaffenszeit noch gar nicht gab. Die Muster besitzen eine gebrochene Dimension. 32 andere Kleckskunstwerke, die 2002 in einem Lagerraum auftauchten und Pollock zugeschrieben wurden, besitzen dagegen keine fraktale Dimension und sind somit nach Taylors Einschätzung Fälschungen – eine Ansicht, die inzwischen auch die Kunstwelt aus anderen Gründen überwiegend teilt. Eine weitere Erkenntnis aus Taylors erster Studie war, dass sich die fraktale Dimension von Pollocks Werken im Laufe der Zeit steigerte. Zwar sind seine Bilder nicht exakt selbstähnlich, wie es mathematische fraktale Figuren sind, sie weisen aber eine sogenannte statistische Selbstähnlichkeit auf – und gleichen damit fraktalen Formen aus der Natur. Laut Taylor ist das eine mögliche Erklärung dafür, warum Pollocks Bilder nach wie vor so beliebt sind.
… HEILENDE KLÄNGE
Fraktale Strukturen zeigen sich nicht nur dem Auge – es gibt auch fraktale Musik. Sie kann bei der Therapie von Menschen helfen, die an Tinnitus leiden. Durch die fraktale Struktur sind die Klänge vorhersehbar, aber nicht monoton. Sie klingen vertraut, erinnern Hörer*innen aber nicht an Lieder, die sie bereits kennen, heißt es im Paper des japanischen Forschungsthemas um Studienleiter Dr. Yoshimasa Sekiya. Normalerweise werden bei der Tinnitustherapie sogenannte Breitbandklänge eingesetzt, die entspannend auf die Patient*innen wirken. Musik ist eigentlich nicht erlaubt – sie könnte starke Emotionen hervorrufen.
Bei Fraktalmusik ist das jedoch offenbar nicht der Fall. Bei 92 Prozent der Proband*innen, die auf ihrem Hörgerät Fraktalmusik spielten, stellten die Forscher*innen nach sechs Monaten eine Verbesserung des Tinnitus fest, wobei 62 Prozent der Verbesserungen statistisch signifikant waren. 32 andere Kleckskunstwerke, die 2002 in einem Lagerraum auftauchten und Pollock zugeschrieben wurden, besitzen dagegen keine fraktale Dimension und sind somit nach Taylors Einschätzung Fälschungen – eine Ansicht, die inzwischen auch die Kunstwelt aus anderen Gründen überwiegend teilt. Eine weitere Erkenntnis aus Taylors erster Studie war, dass sich die fraktale Dimension von Pollocks Werken im Laufe der Zeit steigerte. Zwar sind seine Bilder nicht exakt selbstähnlich, wie es mathematische fraktale Figuren sind, sie weisen aber eine sogenannte statistische Selbstähnlichkeit auf – und gleichen damit fraktalen Formen aus der Natur. Laut Taylor ist das eine mögliche Erklärung dafür, warum Pollocks Bilder nach wie vor so beliebt sind.
Herausgeber
fuks e.V. – Geschäftsbereich Karlsruher Transfer
Waldhornstraße 27,
76131 Karlsruhe
transfer@fuks.org
Urheberrecht:
Alle Rechte vorbehalten. Die Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigungen jeglicher Art sind nur mit Genehmigung der Redaktion und der Autoren statthaft. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider. Der Karlsruher Transfer erscheint einmal pro Semester und kann von Interessenten kostenlos bezogen werden.