Ernährung und Bewegung – Schatz der Gesundheit?
Goji Beere, Chiasamen oder Weizengraspulver – Diese Lebensmittelversprechen zahlreiche gesundheitliche Vorteile, weswegen sie so beliebt unter Fitnessliebhabern und Menschen mit einem ausgeprägten Ernährungsbewusstsein sind. Doch ist es wirklich so kompliziert, Lebensmittel auszuwählen, die einen positiven Effekt auf den Menschen haben? Geht es nicht einfacher?
von Kate Becher aus einem Interview mit Prof. Dr. Med. Achim Bub
Trend vs. Konsistenz
Was soll täglich auf dem Frühstückstisch stehen? Gibt es ein Brötchen oder doch eine Acai-Bowl mit Chiasamen? Fitness- und Ernährungstrends sind kurzlebige Ernährungsformen oder sportliche Verhaltensweisen, die sich innerhalb einer Gesellschaft immer wieder verändern. So ist auch das vorgestellte Beispiel einzuordnen. Bezüglich Trends sieht Achim Bub, Professor für Leistungsphysiologie und Ernährung am Institut für Sport und Sportwissenschaften am Karlsruher Institut für Technologie, eine Relevanz für positive Auswirkungen von Ernährung und Bewegung durch regelmäßige Handlungen: »Es geht um eine grundsätzliche Einstellung gegenüber Bewegung und Ernährung.« Viele verschiedene Formen von Ernährung oder Bewegung können gesundheitliche Vorteile bringen:
»Wenn man ein paar wenige Aspekte bei der Ernährung und Bewegung berücksichtigt, dann ist ein großer Teil der Risikofaktoren eliminiert.«
Zu beachten sei eine pflanzen basierte Ernährung mit vielen Vollkornprodukten sowie eine moderate Fettzufuhr. Besonders entscheidend sei dabei die ausgewogene Energiebilanz, also ein Gleichgewicht zwischen aufgenommener und verbrauchter Energie. Während die Erstere zu einer Zunahme an Gewicht führt, ist die Zweite für einen Gewichtsverlust verantwortlich. »Es ist ganz einfach und das ist das Problem: Es ist zu banal, um akzeptiert und umgesetzt zu werden«, meint Bub und weiß, dass sich Menschen häufig einfache Lösungen und Wundermittel erhoffen. Es geht nicht um den einen Tipp, das Superfood oder den Food-Trend, sondern um ganz grundsätzliche Verhaltensweisen. Konsistenz im Alltag sowie grundlegende Prinzipien zu integrieren, sei der Schlüssel zum Erfolg.
Lebensstilassoziierte Krankheiten
Diese und weitere Verhaltensweisen sollen sogenannte lebensstilassoziierte Krankheiten positiv beeinflussen können. Die Art und Weise, wie sich ein Mensch im Alltag verhält, hat einen Einfluss auf das Krankheitsrisiko, jedoch sind nicht alle Leiden durch solche Faktoren beeinflussbar. Diabetes Typ II, Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie ein Schlaganfall oder ein Herzinfarkt, Übergewicht (Adipositas), bestimmte Krebserkrankungen, Osteoporose sowie rheumatische Erkrankungen können durch den Lebensstil beeinflusst werden. Viele dieser Erkrankungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit massiven Stoffwechselveränderungen einhergehen. Genau deswegen haben Ernährung und Bewegung, die beide stark auf den Stoffwechsel reagieren, einen großen Einfluss auf diese Erkrankungen.
»Bezogen auf die Krankheitslast spielen in Deutschland Adipositas, Diabetes, Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen die größte Rolle«.
Zusammengenommen seien diese für 80 bis 90 Prozent aller Todesfälle verantwortlich. Aber auch viele andere Krankheiten seien durch einzelne Lebensstilfaktoren entscheidend beeinflusst. Wichtig sei, dass äußere Faktoren, wie beispielsweise rauchen und eine fetthaltige Ernährung, zwar eine Rolle spielen, Menschen jedoch individuell auf solche Reize reagieren: beispielsweise bekommt nicht jeder Raucher Lungenkrebs und andersherum bleibt nicht jede Sportler*in bleibt von Stoffwechselerkrankungen verschont.
Die Genetik spielt eine untergeordnete Rolle
Bub erklärt am Beispiel von Diabetes Typ II, dass an einzelnen Stellen genetische Prädispositionen, also Voraussetzungen aus dem Erbgut, eine Rolle spielen können: »Bei manchen Menschen wirken Umweltreize viel schneller.« Trotzdem bleibt die Ursache der Erkrankung eine unausgeglichene Energiebilanz, die durch die vermehrte Nahrungsaufnahme entsteht. Erst dadurch kann sich Fett anlagern, welches wiederum den Stoffwechsel negativ beeinflusst: »Auf vielen Ebenen der Gene gibt es Möglichkeiten der Einflussnahme – trotzdem ist beispielsweise Adipositas nicht möglich, wenn eine gewisse Energiezufuhr nicht überstiegen wird – auch wenn durch die Gene eine Gewichtszunahme prädestiniert ist.« Nur ganz wenige der beschriebenen Krankheiten können auf die Gene zurückgeführt werden – etwa ein Promille, also ein Krankheitsfall unter Tausend. »Das, was in Deutschland die entscheidende Krankheitslast ausmacht, ist überwiegend hausgemacht.«
Neben den Faktoren aus der Ernährung bewegen sich Menschen mit Diabetes Typ II in vielen Fällen zu wenig. Beides sind häufig Auslöser für eine krankhafte Veränderung des Stoffwechsels: »Diese können über Jahre zu einem Altersdiabetes, dem Typ II, führen. Dieser kann auch bei jungen Menschen und sogar bei Kindern und Jugendlichen auftreten.« Gerade in solchen Fällen können Menschen viel erreichen, wenn sie einige wenige Prinzipien beachten:
»Wenn Menschen sich ausgewogen ernähren, bewegen und kein Übergewicht haben, dann ist das Risiko für solch eine Form des Diabetes, die in Deutschland die Masse ausmacht, verschwindend gering.«
Wie man sich durch die kleinen Dinge im Alltag schützen kann: Forschung legt Zusammenhänge offen
Erforscht werden solche Phänomene über groß angelegte Studien, die sich zum Ziel nehmen, verschiedene Reize auf den Gesundheitszustand zu beziehen. Eine der ersten und bekanntesten Studien mit genau solch einem Anliegen ist die Nurses Health Study, bei welcher Krankenschwestern auf ihre Lebensweise und die damit verbundene Krankheitslast untersucht wurden. Das Resultat sei als positiv zu interpretieren: »Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass 90 Prozent der Diabetes-Fälle über den Lebensstil zu verhindern wären.« Trotzdem sei zu betonen, dass es sich hierbei um Vermutungen handle, die Potenzial für eine weitere, detailliertere Forschung bieten.
Die Epic Studie (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition) ist ein weiteres Beispiel für solch ein groß angelegtes Design. Die Forschung von 1992 bis 2000 hat sich spezialisiert auf den Zusammenhang zwischen dem Lebensstil und dem Risiko, Krebserkrankungen zu entwickeln. Indem die Forschenden verschiedene Ernährungsformen verglichen, wie beispielsweise der Konsum von vielen pflanzlichen Lebensmitteln, vielen tierischen Produkten, viel oder wenig Fett in der Ernährung, konnten sie Hinweise darüber erlangen, welcher Lebensstil zu einem erhöhten oder verminderten Risiko für bestimmte Krankheiten führt. Ziel ist es, zu ergründen, welche Stoffe gewisse Mechanismen von Auswirkungen auf den Stoffwechsel verursachen.
»Letztendlich geht es um den Stoffwechsel des Menschen, da dieser das Fundament für alle Prozesse im Körper ist.«
Wichtig ist dabei, dass Assoziationen, also Vermutungen solcher Zusammenhänge, zunächst durch kontrollierte Studien bei einem definierten Reiz überprüft werden müssen. Beispielsweise kann der Einfluss von viel oder wenig Obst im Ernährungsplan auf den Körper untersucht werden. Dadurch gelangen die Forscher an Hinweise auf eine positiv beeinflusste Gesundheit oder Krankheits-fördernde Faktoren. Aussagen über Kausalitäten, also Ursache-Wirkungs-Prinzipien, können erst spät getroffen werden – wenn überhaupt.
Auch Bluthochdruck sei durch solche Mechanismen gesteuert: »Durch überkalorische Ernährung werden solche Prozesse aktiviert, wodurch sich der Blutdruck über die Zeit entsprechend erhöht.« Bub betont, dass es sich dabei nicht um schnelle Prozesse handelt, sondern um solche, die einem jahrelangen systematischen Einfluss unterliegen. Der Vorgang ist schleichend, kann schnell oder langsam fortschreiten oder sich auch entgegen einer linearen negativen Entwicklung verbessern. Er weiß, dass eine Therapie für Bluthochdruck-Erkrankte, die mit einer Gewichtsreduktion einhergeht, sehr häufig erfolgversprechend ist und diesen wieder senken kann.
Ebenso verbessern sich die Blutzuckerwerte von Diabetes-II-Patienten in der Regel, nach demselben Schema. »Das zeigt, dass der Lebensstil eine entscheidende Rolle spielt.« Der Blutdruck sei meist nur das erste Symptom von problematischen Krankheitsentwicklungen und kann nach Jahren der Belastung mit einem erhöhten Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko einhergehen. Ursache dafür seien Veränderungen auf Ebene der Blutgefäße, die entscheidend bei vielen Erkrankungen seien.
Krebserkrankungen verhalten sich im Gegensatz zu den bereits beschriebenen Herz-Kreislauf-Erkrankungen schwieriger: »Nicht jede Krebserkrankung ist durch Lebensstil bedingt oder beeinflussbar.« Trotzdem können exogene Faktoren eine entscheidende Rolle spielen, aber auch genetische Ursachen seien nicht zu vernachlässigen.
Ernährungstrends im Wandel
Was gesund ist und welche Lebensweise als krankheitsverursachend gilt, ist nicht in Stein gemeißelt und kann sich mit der Zeit verändern. So wurde der ein oder andere Forschende bereits überrascht: Bub erzählt, dass ein hoher Fleischkonsum früher positiv assoziiert war. Dies hatte kulturelle Gründe, die im zeitlichen Kontext sinnvoll waren: »Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Ernährungssituation für einen großen Teil der Bevölkerung sehr schlecht – in vielen Bereichen gab es eine Mangelernährung.« Diese ist vor allem durch ein Kaloriendefizit, aber auch durch den Mangel vieler essenzieller Nährstoffe gekennzeichnet. Fleisch sei zu diesen Zeiten eine entscheidende Proteinquelle gewesen und wirkte der vorherrschenden Mangelernährung entgegen. Gewichtszunahme war in diesem Fall nicht wie heute negativ assoziiert: Sie konnte als positiv interpretiert werden. Dadurch galt Fleisch zu dieser Zeit als Symbol für Wohlstand. Heutzutage mag diesen in Teilen ein Statussymbol sein, aber auch entgegengesetzte Trends können als Prestige gelten. Deswegen spreche man auch heutzutage von Wohlstandserkrankungen, die durch den Konsum von Lebensmitteln im Übermaß gekennzeichnet sind: »Zuerst kam der Wohlstand und dann die Wohlstandserkrankungen.« Mittlerweile hat sich das wissenschaftliche Bild gewandelt und es wird ein Konsum in Maßen empfohlen – vor allem von sehr fettreichen, stark verarbeiteten Wurstprodukten.
Gleichzeitig mit genau diesen Wohlstandserkrankungen war ein Aufschwung in der Medizin zu verzeichnen: Diagnostik, Therapie und Medikamente aber auch Nahrungsergänzungsmittel haben sich seitdem rasant weiterentwickelt. Dabei sei der positive Effekt von Vitaminsupplementen gar nicht so eindeutig einzuordnen, wie vorerst durch viele Wissenschaftler*innen gedacht. Auch Bub erhoffte sich im ersten Aufschwung der Präparate mehr, als nach heutigem Stand durch diese möglich ist:
»In bestimmten Fällen wirken Nahrungsergänzungsmittel genau entgegengesetzt.«
Beispielsweise gehe hoch dosiertes Vitamin A und dessen Vorstufe Beta-Carotin, für Risikogruppen wie Raucher mit einem erhöhten Risiko für Lungenkrebs einher. Die Annahme der Forscher*innen war, dass diese Gruppe einen Vitaminmangel besitze. Der »oxidative Stress« sollte durch eine Zufuhr von Antioxidantien, wie es Beta-Carotin ist, bekämpft werden. Tatsächlich wurde die aufgestellte These revidiert: »Je mehr, desto besser« gelte bei Vitaminen nicht.
Bub meint, dass die Forschung der 1990er Jahre klar gezeigt habe: Die Diskrepanz zwischen möglichen Wirkungen von Stoffen, wenn sie in Lebensmitteln vorkommen, also im Rahmen einer gewissen Ernährungsweise konsumiert werden, oder wenn diese durch isolierte Substanzen, in Form von Nahrungsergänzungsmitteln, zu sich genommen werden, sei entscheidend. »Dieser Unterschied muss unbedingt beachtet werden, da es sich um ein multifaktorielles Geschehen handelt, das die Komplexität der Ernährung vernachlässigt, wenn nur einzelne Substanzen verabreicht werden.« Der Ernährungs- und Lebensstil sei eine multifaktorielle Intervention, die auf verschiedensten Ebenen in die Gesundheit eines Menschen eingreift. Beispielsweise werden durch Lebensmittel nicht nur der gesamte Stoffwechsel, sondern auch das Immunsystem beeinflusst.
Für Bub stehen in der Zukunft vor allem die Kombination aus Sport und Ernährung als Forschungsschwerpunkt an. Er sieht Potenzial in der Kombination der Forschung am Sportinstitut des KIT und der Ernährungsforschung am Max-Rubner-Institut. Beide Bereiche ergänzen sich in seinen Augen gut. »Das Zusammenführen dieser zwei Disziplinen finde ich bezogen auf eine bevölkerungsbezogene Gesundheit vielversprechend und interessant.« Zusätzlich würde er gerne in die Tiefe vordringen, um weitere Nachweise auf Stoffwechselebene des Körpers zu erforschen:
»Was sind die positiven Prozesse im Körper, die von Bewegung und Ernährung initiiert werden?«
Verschenkte positive Einflussnahme
Wieso das Potenzial von Bewegung und Ernährung in der Gesellschaft nicht ausgeschöpft wird, sei vor allem durch die Kultur und die gesellschaftlichen Normen begründet, aber auch in Unwissenheit und Bequemlichkeit. »Wir wissen eigentlich schon genug darüber, was vorteilhaft oder weniger gut für die Gesundheit des Menschen ist.«
Das Defizit besteht nicht darin, dass nicht genau bestimmt werden kann, was ein einzelnes Molekül bewirkt: »Es hapert am Transfer des Wissens in die Bevölkerung.« Diese könne das Wissen aus der Forschung bisher noch nicht genügend umsetzen:
»Wir wissen bereits, wer mehr Obst und Vollkornprodukte isst, sich regelmäßig bewegt, nicht raucht und moderat Alkohol konsumiert, hat ein geringeres Risiko für zahlreiche Erkrankungen.«
»Die breite Bevölkerung adäquat zu erreichen, ist die größte Herausforderung.« Bub ist der Meinung, dass groß angelegte Kampagnen einen Unterschied machen könnten, wenn Geld in den richtigen Bereichen investiert wird. Aber nicht nur das: »Auf vielen Ebenen muss der Wissenstransfer in den Alltag umgesetzt werden.« Es müsse jedem Menschen möglich gemacht werden, auf solch Wissen Zugriff zu erhalten – auch solchen, die dies aktuell aus verschiedenen sozialen Gründen noch nicht können.
Prof. Dr. Med. Achim Bub
ist Professor für Leistungsphysiologie und Ernährung am Institut für Sport und Sportwissenschaften am Karlsruher Institut für Technologie. Im Rahmen seiner Forschung beschäftigt er sich unter anderem mit der präventiven Wirkung von Bewegung und Ernährung auf die Gesundheit bzw. andersherum mit sogenannten lebensstilassoziierten Erkrankungen – Leiden, die durch die Verhaltensweisen im Alltag eines Menschen hervorgerufen werden. Zusätzlich leitet er das Studienzentrum für Humanernährung am Max-Rubner-Institut in Karlsruhe. Das Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel verfolgt das Ziel, Zusammenhänge zwischen Ernährung, Bewegung und Gesundheit bzw. Krankheiten nachzuweisen.
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