Ergänzung, Ersetzung, Ernüchterung
Sind Anglizismen nichts als ein Ärgernis?
ein Kommentar von Ariatani Wolff
Aufgrund der aktuellen Lage schreibe ich diesen Artikel aus dem Homeoffice und checke zwischendurch immer mal wieder den Newsfeed zur Corona-Pandemie. Zeitgleich sind diverse andere Tabs geöffnet, damit ich Background-Informationen recherchieren, Songs bei Spotify streamen und mit meiner Clique chatten kann. Für mich als Millenial macht das alles total viel Sinn – so mancher deutsche Bildungsbürger, Sprachwissenschaftler oder Kulturpolitiker wird allerdings not very amused sein.
So alltäglich und allgegenwärtig Sprache ist, so divers und vielfältig gestaltet sich ihr Gewand, ihr Gebrauch und ja, auch ihr Genuss. Während sie manchen im wahrsten Sinne des Wortes nur als (Sprach-) Mittel zum Zweck dient, erheben andere sie zu einem Kulturgut, welches es zu schätzen, zu bewahren und nötigenfalls auch zu verteidigen gilt.
Eine Ebene dieses ‚Kampfes um die richtige Sprache‘ ist ohne jeden Zweifel die Diskussion über die Verwendung von Anglizismen, an der sich Medien, Politik und Fachwelt rege beteiligen.
Mit diesem Artikel möchte ich besagte Debatte ein wenig entwirren und ordnen: Welche Arten von Anglizismen existieren und wie gestaltet sich ihr Einfluss auf die deutsche Sprache? Stellt ihre zunehmende Verwendung einen problematischen Sprachverfall dar oder handelt es sich um einen unbedenklichen, weil natürlichen, Sprachwandel? Wird ihre Rolle vielleicht gar massiv überschätzt und zum Problem hochstilisiert?
Wenn ich an Anglizismen denke, kommen mir unmittelbar einige prägnante Beispiele in den Sinn, so etwa der zum Anglizismus des Jahres 2015 gekürte Slogan ,Refugees Welcome‘. Mit dem Aufstieg gewisser Politiker und Parteien erhielt die Rede von ,Fake News‘ eine ganz neue Präsenz und was mit ,gendern‘ gemeint ist, sollte spätestens seit Annegret Kramp-Karrenbauers legendärem Auftritt bei einer Karnevalsveranstaltung 2019 allen bekannt sein.
Daneben und dazwischen finden sich allerdings zahlreiche unerkannte Anglizismen, sodass ein kurzer Überblick angebracht erscheint.
Auf sprachlicher Ebene lassen sich sechs Typen unterscheiden:
- Von Wortentlehnungen ist die Rede, wenn wir Begriffe aus dem Englischen übernehmen und sie an unser Laut-, Schreib- und Grammatiksystem anpassen, was unterschiedlich stark geschieht.
Beispiele: Kids (unangepasst, im Deutschen lautet der Plural ,Kinder‘ ohne s); Computer (angepasst, deutscher Plural lautet ,Rechner‘) - Lehnübersetzungen entstehen durch wörtliche Übersetzungen englischer Satzkonstruktionen, die zwar auf den ersten Blick Sinn machen, jedoch keinen tieferen Sinn ergeben…
Beispiele: to make sense à Sinn machen (im Deutschen hieße es korrekt ,Sinn ergeben‘); floodlight à Flutlicht - Unter Lehnübertragungen versteht man wörtliche Übersetzungen von Teilen des Begriffs.
Beispiele: skyscraper à Wolkenkratzer; understatement à Untertreibung - Bei Lehnbedeutungen wird die Bedeutung eines englischen Wortes auf einen deutschen Begriff übertragen.
Beispiele: to realize à realisieren im Sinne von erkennen (die korrekte Bedeutung des deutschen Wortes ,realisieren’ wäre ,verwirklichen‘) - Scheinentlehnungen bezeichnen begriffliche Neuprägungen, die es so im Englischen gar nicht gibt (deutsche Touristen, die im Großbritannienurlaub verzweifelt auf der Suche nach einem ,handlichen Geschäft‘ sind, machen regelmäßig schmerzliche Erfahrungen damit…).
Beispiele: mobile/cell phone à Handy (bedeutet im Englischen nicht ,Mobiltelefon‘, sondern ,handlich‘); vintage car à Oldtimer (bezeichnet im Englischen nicht ein Auto bestimmten Alters, sondern einen älteren Herrn) - Schließlich gibt es noch sogenannte Hybridformen, also Kombinationen aus englischen und deutschen Wortteilen.
Beispiele: Millionendeal; Fangemeinde
Blickt man von der sprachlichen Ebene auf die Rolle und Verwendung von Anglizismen, lassen sich drei Gruppen unterscheiden:
- Ergänzende Anglizismen verdrängen keine urdeutschen Worte, sondern beschreiben Sachverhalte, für die es bis dato noch keine deutsche Entsprechung gab. Mit drei Prozent machen sie nur einen marginalen Teil der Gesamtmenge aus.
Beispiele: Hippie (ein Hippie ist eben einfach ein Hippie…); E-Mail (wer sagt schon elektronische Textnachricht?!) - Bei verdrängenden Anglizismen ist der Name Programm: Sie ersetzen und verdrängen existierende deutsche Begriffe. Da immerhin 79 Prozent aller Anglizismen in diese Gruppe gehören, wird sie am schärfsten kritisiert.
Beispiele: Briefing (statt Kurzeinweisung); Meeting (statt Treffen) - Differenzierende Anglizismen werden alternativ zu existierenden und aktuell gebräuchlichen deutschen Wörtern verwendet und machen 18 Prozent der Gesamtmenge aus.
Beispiele: Bestseller (als Alternativbegriff zu Kassenschlager); Ticket (als Alternativbegriff zu Eintrittskarte)
Die schärfsten Kritiker von Anglizismen im deutschen Sprachraum stammen aus Kultur und Politik, wobei ihre jeweiligen Motive sich zu unterscheiden scheinen.
Viele Sprachwissenschaftler und selbsterklärte Liebhaber der deutschen Sprache meinen einen drohenden Sprach- und Kulturverfall zu erkennen, ausgelöst durch die Ausbreitung englischsprachiger Begriffe und Lehnwörter. Sie empören sich, gerade die jüngere Generation wisse sich nicht mehr auszudrücken, und zeigen sich besorgt über die möglichen Auswirkungen dieser mangelnden sprachlichen Kompetenz auf dem Arbeitsmarkt.
Der Politik geht es ebenfalls um höhere Werte, hier soll jedoch nicht die Sprache als solche, sondern das Individuum geschützt werden. Das Hauptargument: Durch die verbreitete Verwendung von englischen Begriffen im Kontext von Werbung, Digitalisierung und Dienstleistungen werden bestimmte Bevölkerungsgruppen systematisch ausgeschlossen und dadurch diskriminiert. In einigen Fällen mag dies wenig bedeutsam erscheinen: So können große Modekonzerne munter vor sich hin denglischen, weil sie ihre nicht englischsprachige Zielgruppe offenbar für vernachlässigungswürdig halten. Problematisch ist hingegen die bei Behörden und Unternehmen zu beobachtende Tendenz, auf diesen Zug aufzuspringen – man denke beispielsweise an den Masterplan der Bundesregierung oder das Service Center der Deutschen Bahn. Kritiker sprechen von einer Einschränkung der Partizipationsmöglichkeiten von Deutschen ohne Englischkenntnisse, sie würden gewissermaßen zu Ausgeschlossenen in ihrem eigenen Sprach- und Kulturraum gemacht.
Obwohl diese Einwände sicherlich ihre Berechtigung haben, halte ich es für wichtig, die Befürchtungen in einen größeren Kontext einzuordnen – dann verlieren sie nämlich einen Großteil ihres ‚Problempotenzials‘.
Sprache ist wie kaum ein anderes Gut vor allem eines: dynamisch. Ihre Weiterentwicklung und ihr Wandel sind etwas vollkommen Natürliches, weshalb ich damit hadere, Sprache mit dem Adjektiv ,falsch‘ zu versehen. Bedacht werden muss, dass wir uns heute vollkommen anders ausdrücken als die Minnesänger des Mittelalters oder die großen Meister der Klassik. Trotzdem würde niemand auf die Idee kommen, Goethes Ausdrucksweise in Gegenüberstellung zu zeitgenössischer Literatur als ,falsch‘ zu bezeichnen. Nun könnte man argumentieren, der künstlerische Zugang zur Sprache dürfe nicht mit ihrer alltäglichen Verwendung verglichen werden – denn Kunst darf bekanntlich alles! Aber auch die Alltagssprache vergangener Jahrhunderte weicht vom heutigen Duktus ab, ohne deshalb weniger korrekt zu sein.
Somit bin ich der Auffassung, dass Sprache und Ausdrucksweise niemals richtig oder falsch sein können, sondern höchstens im jeweiligen Kontext passend oder unpassend.
In diesem Sinne halte ich die Forderung, Schüler über die Herkunft und Bedeutung von Anglizismen aufzuklären und ihnen dabei passende Verwendungskontexte aufzuzeigen, für berechtigt. Darüber hinaus ist es angemessen, in der wissenschaftlichen Fachwelt auf bestimmte Modewörter und aus dem Englischen entlehnte Konstruktionen zu verzichten, um gegenseitiges Verständnis herzustellen und seriös aufzutreten. Gleichzeitig dürfen Anglizismen jedoch nicht pauschal verurteilt und per se aus unserem Sprachgebrauch verbannt werden, denn wenn wir plötzlich beginnen, uns selbst zur Benutzung der Begriffe ,Klapp- oder Schoßrechner‘ zu zwingen, erscheint mir dies wenig sinnvoll. Genauso sinnlos und zudem wenig professionell wären langatmige Umschreibungen prägnanter englischer Begriffe. Oder sollen IT-Experten jedes Mal zur Dudendefinition (,ein Rechner, der für andere in einem Netzwerk mit ihm verbundene Systeme bestimmte Aufgaben übernimmt, von dem diese ganz oder teilweise abhängig sind‘) greifen, weil es keine kurze deutsche Entsprechung des englischen Wortes ,Server‘ gibt?
Zum Diskriminierungsargument lässt sich indes sagen, dass viele Anglizismen eine ähnliche Funktion besitzen wie Dialekte, Akzente und jedwede andere Ausdrucksweise, die in irgendeiner Form von der ‚Norm‘ abweicht. Wortwahl und Sprechweise gehören zu unserer individuellen Persönlichkeit und Lebensführung, zu unserem Habitus, um es mit den Worten des Soziologen Pierre Bourdieu zu sagen. Mit jedem Wort, das wir sprechen, übermitteln wir unserem Gegenüber mehr als nur sachliche Informationen. Wir geben ihm implizit Auskunft über unsere Präferenzen, unsere regionale Herkunft und unser soziales Milieu, unseren Bildungsstand und unser Selbstverständnis. In diesem Sinne bestellen Kosmopoliten ihren Kaffee ‚to go‘, weil sie zeigen wollen, dass sie Teil einer weltweiten ‚community‘ sind – nicht, weil der Ausdruck ‚zum Mitnehmen‘ ihnen unbekannt ist. Für viele Teenager gehört es eben einfach zum Lifestyle, bei coolen Live-Events zu flirten und auf YouTube zu surfen, weil sie sich dadurch happy und up-to-date fühlen.
Dieses Ausleben individueller Präferenzen und die damit einhergehende Distinktion von anderen Bevölkerungsgruppen funktioniert allerdings auch in umgekehrter Richtung: Kein selbsternannter Bildungsbürger muss das Wort ‚Shitstorm‘ in den Mund nehmen, sondern kann stattdessen von einem Sturm der öffentlichen Empörung sprechen. Niemand wird zum ‚Brainstormen‘ gezwungen, solange es noch möglich ist, spontan Ideen zusammenzutragen.
In der Wirtschaft, dem Bildungswesen, der Wissenschaft und der Politik geht es also darum, sich dem Kontext entsprechend adäquat auszudrücken, um gegenseitiges Verständnis herzustellen. Als Orientierung kann der Grundsatz dienen, dass die persönliche (Ausdrucks-) Freiheit im öffentlichen Leben dort aufhören muss, wo die Rechte und Bedürfnisse des Nächsten anfangen: Behörden, Ämter, Bildungseinrichtungen, Politiker, global agierende Unternehmen und Dienstleister sollten deshalb sicherstellen, dass möglichst alle Menschen, die ihre Leistungen in Anspruch nehmen möchten, sie verstehen und von ihnen verstanden werden. Weit verbreitete ,eingedeutschte‘ Anglizismen müssen also nicht zwanghaft vermieden werden – aber die Bahn erreicht ihr Ziel genauso schnell (oder langsam), wenn sie den ,Help Desk‘ wieder durch einen soliden Kundendienst ersetzt und ,Travel-Dealz‘ schlicht und ergreifend als Reiseangebote bezeichnet.
Zuletzt noch eine persönliche Anmerkung: Neulich nahm ich an einem virtuellen und somit Corona-tauglichen Spieleabend teil und durfte im Zuge dessen den Begriff ,Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänswitwenpensionskassenjahresabschlussbericht‘ erklären. Zugegebenermaßen findet er in unserem Sprachgebrauch keine Anwendung, aber er entspricht den Regeln der deutschen Grammatik. Solange unsere geliebte Sprache also solche verbalen Ungetüme hervorzubringen vermag, sollten wir uns über ein paar prägnante Anglizismen lieber nicht allzu laut beschweren … 🙂
Ariatani Wolff
ist in Hamburg geboren und aufgewachsen. Mittlerweile lebt die 21-Jährige in Heidelberg, wo sie Politikwissenschaft und Soziologie studiert. Neben ihren Studienfächern gehört das Schreiben schon seit ihrer Kindheit zu ihren großen Leidenschaften.
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