Er ist nicht süchtig 2

Spielsucht ist ein alltägliches Problem in Deutschland, das das Leben einzelner Menschen oder ganzer Familien zerstören kann. Diese Geschichte schildert Spielsucht aus einer anderen, persönlichen Perspektive.


eine fiktive Geschichte von Lisa Traber, inspiriert durch Giuseppe Morsicato

Er ist nicht süchtig. Es ist neun Uhr morgens und ich bin mal wieder gleichgültig bei der Arbeit. Ich habe gelernt, gleichgültig zu sein. Mein Chef hat mich gezwungen, in der Spielothek in der ich arbeite einen Vertrag zu unterschreiben in dem geschrieben steht, dass ich mich aus den Angelegenheiten der Kunden rauszuhalten habe. Okay.
Björn, ein ehemals guter Freund von mir, ist einer von diesen. Früher hatte er alles: Eine Familie, einen guten Job in hoher Position und ein tolles Haus mit großem Garten mitten in der Stadt. Heute hat er einen Haufen Schulden und ist alkoholabhängig. Seine Familie wurde ihm bei einem Autounfall genommen. Er kommt zu mir.,,Hey, Joseph, kannst du mir vielleicht eben den Fuffi in Zehner wechseln? Ich will heute nicht mein ganzes Geld verbraten.“

Er ist nicht süchtig.

Ich denke mir ,,Heute nicht nein, aber morgen, und übermorgen und den Tag darauf“. Seine Nase glüht bereits rot. Was das wohl heißen mag, ha ha. Ich beobachte ihn eine Weile. Neben ihm sind noch andere Kunden da, unter anderem Teenager, die gerade achtzehn geworden sind, die euphorisch rumschreien, weil sie gerade 30 Euro gewonnen haben. In diesem Alter schon.

Die anderen schätze ich als Touris ein, da ich sie noch nie gesehen habe und sie auch kein Deutsch sprechen. In einer Spielothek zu arbeiten heißt, jeden Tag dieselben Gesichter zu sehen. Ich beobachte, wie Björn den Automaten mit einem zweiten Zehner füttert. Er sieht entspannt aus. Na klar, die Automaten sind auch so programmiert, dass der Spieler sich wohlfühlt und nicht gestresst wird, damit er immer mehr Geld reinwirft. Das monotone Geräusch im Hintergrund macht es nicht besser. Zu oft habe ich mir schon den Kopf darüber zerbrochen, wie mies und hinterlistig das ist. Aber wir leben in Deutschland, und Deutschland lässt es zu, sonst würden die Steuereinnahmen ja sinken. Ich schaue mir das Plakat an, dass eben erst an unserem Schaufenster montiert wurde und verdrehe die Augen.

„Stoppt die Spielsucht!“,
,,Alles Abzocke!“,
„Lasst euch nicht rumkriegen!“

Das ist nur dazu da, die Absichten der Spielothekenbetreiber ins rechte Licht zu rücken. In Wirklichkeit möchte mein Chef das Gegenteil erreichen. Er will den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen, damit er sich ein schönes Leben machen kann. Er greift sie an ihrer schwächsten Stelle an: An ihrer Verzweifl ung, die sie dazu treibt ihren Geldbeutel zu leeren.

Schein Nummer vier wandert in den Automaten.

,,Hey, Joseph alter Kumpel, kannst du mir den Zehner hier in Zwei-Euro-Münzen wechseln? Nur noch ein Spiel, dann reicht‘s für heute.“, bittet er mich nach fünf Minuten. Natürlich wechsel ich ihm den Zehner.

So will es der Vertrag. Ich sage kein Wort. Mittlerweile sieht er ganz und gar nicht mehr entspannt aus, eher verzweifelt.

Er ist nicht süchtig.
Er begibt sich an den Automaten.

Währenddessen kommt meine Kollegin, die die Schicht dann weiterhin mit mir zusammen übernimmt. Aus verschiedenen Gründen bin ich froh, dass noch nicht so viel los ist. Halb zehn, die Münzen klingeln. Seine letzten zwei Euro verschwinden. Und natürlich hat er kein Glück. Das war sein letztes Geld für diesen Monat, und dieser ist noch nicht mal halb vorbei, noch nicht mal ansatzweise.

„Hey, Joseph, kannst du mir vielleicht ein Zehner leihen? Nur dieses eine Mal.“

Nur dieses eine Mal. Genauso wie gestern, vorgestern und die Tage davor, als ich immer verneinte.

„Ich zahl es dir natürlich sofort zurück, sobald ich‘s wieder drin hab. Und das werde ich ganz sicher.“

Man kann sich die Welt auch schönreden.

,,Hab ein Herz, ich habe diesen Monat sonst nichts mehr zu essen.“ Er schaut mich mit traurigen Hundeaugen an. Er sieht dieses Mal wirklich sehr verzweifelt aus. Sein Auge zuckt nervös.

,,Na gut, Björn, aber wirklich nur dieses eine Mal. Okay? Komm nicht auf die Idee, mich nochmal zu fragen, weil eigentlich darf ich das nicht. Und ich kann mir selber kaum das Überleben finandiv>zieren. Nur weil du‘s bist.“

„Du bist der Beste.“

Er ist nicht süchtig.

Er nimmt dankbar den Zehner an und auf zum Automaten. Auf ins Verderben. Natürlich hat er auch dieses Mal kein Glück. Ich rege mich einfach nicht darüber auf. Ich schlucke es. Ich muss es schlucken. Wegen des Vertrages.

Mit hängendem Kopf verlässt er die Spielothek. Er denkt gerade sicher an seine 50.000 Euro Schulden und wie er den Tag überstehen soll. Er ist verzweifelt. Das war doch seine letzte Chance. Resigniert überstehe ich den Arbeitstag. Es ist ein sehr trauriger Job. Man sieht tagtäglich, wie viele Menschen sich ins Verderben stürzen und von einem auf den anderen Tag ihr gesamtes Vermögen verzocken. Und ich? Ich muss ihnen auch noch das Geld wechseln. So gerne würde ich diesen armen Gestalten helfen, aber ich darf nicht. Was bleibt mir schon übrig. Ich habe keine Wahl.

Ich schlage die Zeit tot. Am nächsten Tag begegne ich Björn wieder in der Spielothek. Aus einer Zeitung heraus starrt er mich an. Mann nimmt sich Leben. Er hat sich also vor einen Zug geworfen. Ich bin frustriert. Er tut mir leid. Ich nehm mir eine Pause, um eine zu rauchen. Mir wird ganz flau im Magen, ja schlecht.

Er war nicht süchtig. Fragen schießen mir durch den Kopf. Was wäre, wenn ich ihm die zehn Euro nicht gegeben hätte? Wäre er dann noch am Leben? Ist es meine Schuld? Wer wird auf seine Beerdigung kommen?

Aus Frust gehe ich gedankenverloren an den Automaten. Ich weiß, dass ich das Geld nicht habe, ich habe nicht umsonst zwei Jobs in einer Spielothek. Aber na gut, ein Spiel wird schon gehen. Die Minuten verstreichen und in Nullkommanichts habe ich unbewusst 30 Euro im Automaten gelassen. Ohne Glück. Heute denke ich, es ist sowieso alles egal, heute kann ich nichts mehr verlieren. Die Automaten beruhigen selbst mich, obwohl mir das Phänomen bekannt ist. Ohne viel nachzudenken verspiele ich nochmal 50 Euro. Meine letzten 50 Euro für diesen Monat.

Ich bin nicht süchtig.

Nach dem Arbeiten komme ich nach Hause. Der Kühlschrank ist leer. Genauso wie mein Bauch. Es ist mir egal, einen Tag werde ich überstehen. Zufällig fi nde ich fünf Euro auf meinem Schreibtisch. Mein inneres Verlangen sagt mir: Geh in die Spielothek. Du kannst diese fünf Euro verzehnfachen und dein Monat ist gerettet, nicht mehr hungern.

Also begebe ich mich in eine Spielothek, in eine, in der ich nicht arbeite. Natürlich. Ich schmeiße die fünf Euro ein, und wer sagts denn, raus kommen dreißig. Wenn ich diese auch noch verzehnfachen könnte….. Also spiele ich weiter, ich kenne ja die Risiken bestens vom Arbeiten. Raus gehe ich mit nichts. Am nächsten Tag gehe ich hungrig zum Arbeiten. Ich stibitze mir heimlich ein Sandwich aus dem Kühlschrank, das man hätte bezahlen müssen, gut darauf bedacht, nicht vom Chef erwischt zu werden. Das könnte mich den Job kosten. Ich genieße es. Es schmeckt frisch und ein Stück befreiend. Es erlöst mich von meinem quälenden Hunger. Mir geht es gut. Ich denke an Björn.

Er war nicht süchtig.

Von einem Gast erhalte ich zwei Euro Trinkgeld. Meine Chance! Ich begebe mich zum Automaten. Hoff entlich sieht mich mein Chef nicht, Spielen während des Arbeitens ist strengstens untersagt. Euphorisch gehe ich zu dem bunt blinkenden Kasten aus dem wieder diese monotone Musik strömt. Heute habe ich Glück, ich spüre es einfach. Und verliere. Sauer schlage ich gegen den Kasten. Im gleichen Moment drehe ich mich erschrocken um. Hat mein Chef mich gesehen?

Ich bin nicht süchtig.

Schnell begebe ich mich wieder hinter die Theke. Eigentlich ist Zocken schon sehr frustrierend, vor allem wenn man zuschauen muss und nicht eingreifen kann. Ein weiterer Gast bittet mich darum, seinen Schein zu wechseln. Er drückt mir einundfünfzig in die Hand.

„Ist für dich, weil du immer so nett bist.“ Auch er hat eine rote Nase.

Fünfzig gebe ich ihm in Zehnern zurück. Einen stecke ich ein.

Routiniert beende ich meine Schicht. Mir ist bewusst, dass ein Euro in meiner Hosentasche steckt. Ich spüre ihn bei jedem Schritt. Ich werde jetzt zu Penny gehen und mir von diesem Euro eine Tüte Reis und ein Päckchen Haferflocken kaufen. Das rettet mir die nächste Woche. Auf meinem Weg dorthin liegt ein Casino. Nicht sonderlich hübsch, aber immerhin, da ist wieder diese Musik. Ich biege ab. Stehe vor dem Automaten. Verliere meinen letzten Euro. Resigniert streife ich durch die Stadt. Ich sehe die ganzen Penner, die um Geld betteln. Ist das meine Zukunft? Ich verspüre Abscheu und wende meinen Blick ab. Ich laufe und laufe und mein Weg endet an einer Brücke.

Wir waren nicht süchtig.