Der Seitensprung
Fremdgehen gilt als unmoralisch, doch statistisch gesehen tut es jeder Zweite. Aber warum eigentlich? Ein Beitrag über Hormone, Schuld und Ehrlichkeit.
von Corinna Ludwig
Der Seitensprung: eine umgangssprachliche Bezeichnung für eine nicht permanente sexuelle Beziehung zwischen zwei Personen, von denen sich mindestens eine Person in einem festen sozialen Partnerkonstrukt befindet. Treue ist vielen Menschen so wichtig, dass sie nach einem Seitensprung des Partners bereit sind, eine langjährige Beziehung zu beenden. Doch wieso betrügen wir? Um dies zu ergründen, sind verschiedene Facetten zu betrachten: Wie beeinflussen biochemische Prozesse unser Treueverhalten? Welche psychologischen Ursachen münden im Seitensprung? Gibt es eine Kausalbeziehung zwischen Geschlecht und Untreue? Und eine weitere Frage, die sich stellt: Trägt ein Partner die volle Schuld an einem Seitensprung?
Zahlen und Fakten – die Bühne der Liebesparodie
57 Prozent der Männer neigen zum Fremdgehen, ebenso wie 47 Prozent der Frauen. Das ergab eine im Jahr 2014 veröffentlichte Studie der Universität Oxford. Auch die Studie der Universität Göttingen zeigte: Jeder Zweite betrügt. 80 Prozent der zu Untreue Neigenden gaben an, ihren Partner zu lieben und halten Treue für sehr wichtig. Laut einer Studie des „Focus“ ist ein einmaliger Ausrutscher in einer Beziehung jedoch ein Mythos. Für etwa die Hälfte der untreuen Männer oder Frauen ist der Seitensprung nicht der Erste in ihrer Beziehung. Eine Suche im Internet nach dem Begriff „Seitensprung“ ergibt etwa 1.120.000 Treffer. Ein Paradoxon: „ Ich liebe meinen Partner und halte Treue für wichtig. Der Ausflug in das fremde Bett fand trotz alledem statt.“
Biochemische Prozesse – Das Marionettentheater hinter den Kulissen
Besteht nun eine Kausalbeziehung zwischen Geschlecht und Untreue und welche biochemischen Prozesse beeinflussen unser Treueverhalten? Betrachten wir zunächst das männliche Geschlecht: Hier machten Forscher zwei Beobachtungen in der Tierwelt. Das sogenannte „Alte-Kuh-Syndrom“ beschreibt den Umstand, dass Stiere innerhalb ihrer Herde im Laufe der Zeit jegliches Interesse an den Kühen verlieren. Der „Coolidge-Effekt“* führt zum Libidoverlust von männlichen Ratten gegenüber den vorhandenen Weibchen. Der Fortpflanzungsdrang erlischt. Ein neues Weibchen entfacht diesen wieder.
Der Coolidge-Effekt: „Präsident Coolidges Frau wird auf einer Farm auf einen Hahn aufmerksam, der gerade eine Henne bestieg, man teilte der erstaunten Präsidentengattin voller Stolz mit, dieser Hahn könne diesen Akt bis zu zwölf Mal am Tag und das jeden Tag vollziehen. Daraufhin bemerkte Mrs. Coolidge schnippisch: „Sagen Sie das mal meinem Mann!“ Der Präsident hörte diese Bemerkung und hakte beim Farmer nach: „Besteigt der Hahn denn jedes Mal dieselbe Henne?“ Worauf der Farmer ihm erklärte: „Nein, jedes Mal eine andere.“ Darauf Coolidge: „Sagen Sie das mal meiner Frau.“
Der Coolidge-Effekt ist auf die Bedeutung des Lustzentrums im Gehirn zurückzuführen. Trifft ein neues Rattenweibchen auf das Rudel, erhöht sich der Dopaminspiegel des Männchens vorübergehend. Dopamin – auch als Glückshormon bezeichnet – wird auch bei sexuell erregten oder verliebten Menschen in hohem Maße ausgeschüttet. Der Neurotransmitter wirkt als Aphrodisiakum, macht euphorisch und steigert das Wohlbefinden. Dopamin unterstützt somit den Fortpflanzungsdrang und wirkt so in Form eines hormonellen Mechanismus als Treiber genetischer Vielfalt.
Des Weiteren beeinflusst der Testosteronspiegel die Soziosexualität. Prof. Dr. Lars Penke der Georg-August-Universität in Göttingen fand heraus, dass Fremdgehen bei Frauen zu 40 Prozent und bei Männern zu 63 Prozent genetisch bedingt sei. Erklärung für den notorischen Fremdgänger? Nein, denn es bestehe ein kausaler Zusammenhang zwischen Genen und Umwelt.
Stellen wir nun das weibliche Geschlecht auf den Prüfstand. Bei Frauen spielen insbesondere das Immunsystem sowie der Zyklus eine entscheidende Rolle hinsichtlich des Treue-Verhaltens. Laut der Fachzeitschrift „Psychological Science“ besteht eine positive Korrelation zwischen der Ähnlichkeit immun bezogener Gene des Partners und der Anzahl an außer partnerschaftlichen Sexualkontakten bei Frauen. Auch steige das Risiko für einen Seitensprung auf dem Höhepunkt ihrer Fruchtbarkeit beträchtlich.
Die Genetik ist somit ein Puzzleteil der Erklärung des Seitensprungs, aber keine vorbestimmte, alleinige Ursache. Es gibt demnach noch weitere Faktoren, die zur Untreue führen.
Psychologische Gründe – Der Orchestergraben des Liebesparodie-Theaters
Zu diesen weiteren Faktoren gehört insbesondere die psychologische Disposition. Welche psychologischen Ursachen führen letztendlich dazu, den Partner zu hintergehen? Im Folgenden – mit einem Augenzwinkern – eine Checkliste:
- Mangelnde Bestätigung: Fehlen Ihnen Komplimente und Bestätigung in Ihrer Beziehung? Vernachlässigt Ihr Partner die kleinen aufmerksamen Gesten im Alltag? Gehen Sie fremd! Stehen Sie im Mittelpunkt der Welt und brechen aus der Routine Ihres genormten Lebens aus. Zweckgemeinschaft und Pflichterfüllung war gestern, heute gibt es mystifizierten Sex und eine Portion Selbstbewusstsein für alle Beteiligten.
- Selbstschutz: Sind Sie der Typ Mensch, der ein großes Maß an Gefühlen in eine Beziehung investiert? Haben Sie ein hohes Harmoniebedürfnis und Verlustängste? Die Lösung: Durchbrechen Sie Ihr eigenes Harmoniebedürfnis und schaffen emotionale Unabhängigkeit durch einen Seitensprung.
- Rache: Wurden Sie betrogen? Setzen Sie Ihre Gelüste in die Tat um und greifen Sie zum Ausflug in das fremde Bett.
- FOMO („Fear of missing out“): Fragen Sie sich manchmal, ob das schon alles gewesen sein soll? Ergreifen Sie die Chance, um sich die Hörner abzustoßen. Und sie Ihrem Partner aufzusetzen.
- Alkohol: Befinden Sie sich gerade auf einer Party, möchten ihren Problemen durch Alkohol entfliehen und der Pheromon-Cocktail der Frau oder des Mannes neben Ihnen wirkt unkontrollierbar aphrodisierend? Die Lösung: der Seitensprung. Alkohol hat eine enthemmende Wirkung, und verändert das moralische Bewusstsein. Sie werden sich währenddessen nicht schuldig fühlen und Sex erleben, der schon seit langem nicht mehr in einer ritualisierten Ehe stattgefunden hat.
Es gibt vielfältige Gründe, warum Menschen fremdgehen. Der Seitensprung mündet jedoch oft in einem innerlichen moralischen Konflikt.
Die Schuldfrage – der Wendepunkt des Seitensprung-Aktes
Nun ist es passiert – eine Partei war untreu. Es werden Schuldzuweisungen gemacht. Der Begriff der Schuld wird oft mit moralischen Verfehlungen assoziiert. Womit sich die Frage stellt: Ist fremdgehen unmoralisch?
Glaubt man Kants Prüfstein des moralischen Handelns, dem kategorischen Imperativ, kommt man zu dem Schluss, dies sei der Fall. Zieht man die Lehren über das „Prinzip der Verantwortung“ von Philosoph Hans Jonas heran und betrachtet hier die negativen potentiellen Auswirkungen auf den Partner, wird man zu einem ähnlichen Schluss kommen.
Im Jahre 1976 konnte ein betrogener Ehepartner noch das sogenannte „Schuldprinzip“ finanziell sowie moralisch vor Gericht für sich beanspruchen. Dieses Prinzip gibt es nicht mehr. Heute unterliegt die Verurteilung des Seitensprungs als moralische Verfehlung nur noch gesellschaftlichen und nicht rechtlichen Normen.
Doch wer ist schuldig? Es existieren unterschiedliche Thesen, zwei sind an dieser Stelle hervorzuheben: 1. Wer fremdgeht, ist schuldig, 2. Der Betrogene trägt eine Mitschuld.
Die erste These setzt die Vernunft des Menschen und den freien Willen als Grundparadigma voraus. Die Entscheidung zu betrügen trifft somit jeder für sich freiwillig und bewusst. Diese These hebelt die Theorien über biochemische Prozesse als Ursache der notorischen Untreue und somit Promiskuität als biologisches Persönlichkeitsmerkmal aus.
Die zweite These beschreibt die betrogene Person in der Funktion als wissende Opferrolle. Eigene Probleme werden durch diese Rolle getarnt. Gründe für das Einnehmen einer solchen Rolle können Liebe und Co-Abhängigkeit sein. Hier beginnt die Frage, ob ein solcher Suchtcharakter die betrogene Person zum „Mittäter“ macht.
Während viele Facetten der Schuldfrage existieren, steht fest, dass der Umgang mit einem Seitensprung kein leichter ist.
Warum gehen wir also fremd?
Da der Akt der Untreue in der Realität nicht isoliert betrachtet werden kann, ist das Ergebnis nicht eindeutig. Die Schuldfrage hingegen löst die wesentliche Problematik nicht. Eine mögliche Lösung liegt darin, Verantwortung für sich und seine Bedürfnisse zu übernehmen. Dies bedarf eines hohen Maßes an Selbstreflexion. Ein moralisches Dilemma entsteht, wenn unterschiedliche Vorstellungen über Treue in einer Beziehung existieren. Eine Lösung für die Gefahr der Untreue ist nicht in Sicht. Vielmehr sollte darauf geachtet werden, das Fundament für eine gesunde Kommunikationskultur und Ehrlichkeit in einer Bezg zu legen und aufrechtzuerhalten. Ein Bewusstsein über die Marionettenspieler – biochemische Prozesse und psychologische Gründe – sollte geschaffen werden. Denn nur wer stets ehrlich zu sich selbst ist, kann ehrlich zu seinem Partner sein und vermeidet so das Risiko zu hintergehen.
* COOLIDGE-EFFEKT
Präsident Coolidges Frau wurde auf einer Farm auf einen Hahn aufmerksam, der gerade eine Henne bestieg. Man teilte der erstaunten Präsidentengattin voller Stolz mit, dieser Hahn könne diesen Akt bis zu zwölf Mal am Tag und das jeden Tag vollziehen. Daraufhin bemerkte Mrs. Coolidge schnippisch: „Sagen Sie das mal meinem Mann!“ Der Präsident hörte dieses Bemerkung und hakte beim Farmer nach: „Besteigt der Hahn denn jedes Mal dieselbe Henne?“ Woraufhin der Farmer ihm erklärte: „Nein, jedes Mal eine andere.“ Darauf Coolidge: „Sagen Sie das mal meiner Frau.“
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