Auf der Überholspur – Zu Gast im Reich der Mitte
In großen Unternehmen ist es gang und gäbe, dass man für den Aufstieg auf der Karriereleiter für wenige Jahre an einem Firmenstandort im Ausland arbeitet. Auch im Studium gehört ein Aufenthalt im Ausland für viele einfach dazu. Immer präsenter wird in diesem Zusammenhang vor allem das Land der Mitte, China. Das ehemalige Schwellenland hat in den vergangenen Jahren eine spektakuläre wirtschaftliche Entwicklung erlebt und belegt inzwischen den zweiten Platz der Länder mit der weltweit höchsten Wirtschaftsleistung. Wie lebt und arbeitet es sich eigentlich als Ausländer in China?
Ein Interview mit Lea, die zwei Jahre in Peking studierte und Timo, der in Peking zweieinhalb Jahre für einen großen deutschen Automobilhersteller tätig war.
das Gespräch führte Alex Kreuzer
Wie kam es dazu, dass du in Peking arbeitest?
T: Ich wollte in erster Linie Auslandserfahrung sammeln, außerhalb der westlichen Welt. Zusätzlich wollte ich ein neues Aufgabengebiet in meiner Arbeit kennenlernen. Ich arbeite seit Jahren für einen bekannten deutschen Automobilhersteller, der weltweit Standorte hat.
L: Ich habe im Rahmen meines BWL Studiums ein Auslandssemester an der Peking University absolviert. Mein Nebenfach im BWL Studium war Chinesisch, daher stand das Land China also so gut wie fest. Während dieser Zeit haben wir beide uns dann auch kennengelernt. Danach habe ich noch ein Jahr Peking drangehängt und einen Intensiv-Sprachkurs in Chinesisch und ein paar BWL-Kurse an der UIBE (University of International Business and Economics) belegt.
Wie schwer war es, sich einzuleben und an die Kultur anzupassen? Was war dabei die größte Herausforderung?
T: Ehrlich gesagt hatte ich mit der Kultur eher wenige Berührungspunkte. Meine chinesischen Kollegen haben alle Englisch gesprochen und meine Wohnung wurde von der Firma organisiert. Die lag im Business District mit einem relativ internationalen Umfeld, also zwei internationalen Supermärkten und vielen internationalen Restaurants, in denen sogar die Kellner Englisch sprechen konnten. So habe ich die Sprache nie richtig lernen müssen und auch nicht lernen können. Neben der Arbeit auch noch eine vollkommen fremde Sprache inklusive Schriftzeichen zu lernen, ist nahezu unmöglich. Ich habe ein bisschen wie in einer Blase gelebt.
Neben der Sprache war für mich die größte Herausforderung, dass man sich in China nicht so frei wie in Deutschland bewegen kann. Überall sind Kameras. Beim Reisen und Ticketkauf muss man fast immer seinen Reisepass abgeben. Ständig wird man kontrolliert, an jedem U-Bahnhof muss man seine Tasche durchleuchten lassen. Neuerdings werden an immer mehr Orten Gesichtsscanner angebracht und erprobt, z. B. am Eingang von Gebäuden oder an Ampeln.
L: Vor meinem Peking-Aufenthalt war ich schon einmal für zwei Monate in Shanghai und durch mein Nebenfach konnte ich bereits etwas Chinesisch sprechen. Daher kannte ich alles schon ein bisschen und es war für mich nicht so schwierig, mich an das Leben in Peking zu gewöhnen. Trotzdem ist die Kultur und das Verständnis von manchen Dingen vollkommen anders als bei uns und manchmal für uns einfach unverständlich.
Eine der größten Herausforderungen ist aber definitiv die Sprache. Man lernt Chinesisch nicht mal eben so wie eine europäische Sprache und dann reicht es locker für den Urlaub und schon ist man mit den Einheimischen im Gespräch. Im Chinesischen ist es äußerst schwierig, neben den Schriftzeichen gleichzeitig die richtige Betonung hinzubekommen. Wenn man zum hundertsten Mal nicht verstanden wird, weil man ein Wort falsch betont hat oder die Person nicht kapiert, was man will, braucht man viel Geduld und Ausdauer.
Was hast du in China am meisten vermisst?
T: Am meisten habe ich die Familie vermisst. Aber auch solche Sachen wie einfach mal einen netten Spaziergang im Grünen oder im Wald bei frischer Luft zu machen. Peking ist eine Mega-Metropole mit riesigen Straßen und Hochhäuser-Meeren so weit das Auge reicht. Alles grau und so viele Menschen überall. Dort ein ruhiges Plätzchen zu finden, war nicht so leicht. Es gibt zwar große öffentliche Parks, aber da die Luftqualität sehr oft schlecht war, konnte man nicht einfach so rausgehen. Auch die Mobilität, die man in Deutschland durch ein eigenes Auto hat, fehlte mir. In Peking waren wir immer auf U-Bahn, Bus und Taxi angewiesen, um die weiten Strecken von A nach B zu bewältigen.
L: Je länger man dort ist, desto mehr vermisst man seine Familie und Freunde. Ganz am Anfang, wenn alles noch neu und aufregend ist, fühlt es sich eher an wie ein längerer Urlaub und man vermisst eigentlich kaum etwas. Wenn sich dann allerdings der Alltag einstellt, fängt man an, die Leute zu Hause zu vermissen und ganz normale Dinge wie eine Scheibe Brot mit Käse oder einfache Chips mit Paprika statt irgendwelche abgedrehten Sorten wie Chicken Wings, Joghurt, Gurke-Limette, Kimchi oder gar Algengeschmack. Das Schlimmste sind auf jeden Fall Chips mit Durian*-Geschmack.
Hast du davor in Deutschland schon gearbeitet? Was ist in China anders in Bezug auf die Arbeitswelt?
T: Ja, ich habe bereits zehn Jahre vorher in Deutschland gearbeitet. Anders ist vor allem, dass in China die Arbeits- und Urlaubszeiten ganz anders geregelt sind. Ist beispielsweise an einem Donnerstag ein gesetzlicher Feiertag und der darauffolgende Freitag ein freier Brückentag, so musste oftmals zum Ausgleich an dem darauffolgenden Samstag oder Sonntag gearbeitet werden. Auch die Hierarchien sind oft viel stärker ausgeprägt und der Chef ist fast schon ein Heiliger.
Hast du mit Chinesen zusammengearbeitet? Was ist der größte Unterschied, wenn man mit Chinesen zusammenarbeitet? Kann es auch Probleme geben?
T: Ich habe fast nur mit Chinesen zusammengearbeitet. Ich denke, der größte Unterschied ist, dass die Kommunikation in China ganz anders verläuft. Man muss ganz klare Anforderungen, Fragen und Anweisungen stellen, ohne Spielraum für Spekulation. Ansonsten kann es häufig zu Missverständnissen kommen.
Außerdem gehen Chinesen Sachen oft unbedacht an und werden schnell nervös, sobald ein Problem auftritt. Da gab es in der Arbeit bei mir öfter solche Fälle. Wenn es Schwierigkeiten gab, waren die chinesischen Kollegen immer gleich so aufgeregt und haben leider oft sinnlos irgendwelche Handlungen in Hau-Ruck-Aktionen angefangen. Hinterher hat sich das Problem aber meist von allein gelöst. Da muss man lernen, sich nicht von dieser Aufregung mitreißen zu lassen und einfach cool zu bleiben.
L: Zur Arbeit mit Chinesen kann ich nicht so viel sagen, aber zur Zusammenarbeit mit Chinesen an der Uni, z. B. bei gemeinsamen Präsentationen kann ich sagen, dass es nicht so einfach ist. Die Methodik und Herangehensweise ist völlig anders und auch das Lernverhalten. Chinesen lernen in der Schule unheimlich gut, auswendig zu lernen und den Stoff eins zu eins wiederzugeben. Kommt es allerdings zur Anwendung des Stoffes auf andere Probleme, wird es schwieriger.
Hattest du mehr Kontakt zu Einheimischen oder zu anderen „Internationals“, also die dort auch für eine begrenzte Zeit leben?
T: Geschäftlich fast nur mit Chinesen und privat eher mit anderen Internationals. Bei uns im Business District waren ziemlich viele andere Expats* untergebracht und natürlich auch viele deutsche Kollegen. Mit denen war man dann in seiner Freizeit auch öfter mal ein Bier trinken.
L: Ich hatte an der Uni ein paar Kurse belegt, in denen auch Chinesen saßen. Meistens waren die chinesischen Studenten jedoch scheu gegenüber Ausländern und blieben unter sich. So hatte man privat kaum etwas mit ihnen zu tun. Außerdem waren die Chinesen in einem extra Wohnheim nur für chinesische Studenten untergebracht – mit einem viel niedrigeren Standard als dem für internationale Studenten. Dort gab es teilweise Zwölf-Bett-Zimmer mit Stockbetten.
Was noch hinzukommt, ist, dass die chinesischen Studenten einem vielfach höheren Druck durch Eltern ausgesetzt sind, gute Leistungen zu erbringen, sodass diese oft auch gar keine Zeit hatten für Freizeitaktivitäten.
Was war deine lustigste / seltsamste / spannendste / schlimmste Erfahrung in China?
T: Meine lustigste Erfahrung war, als ich im Shuttle-Bus zur Arbeit ganz hinten saß und eingepennt bin. Es war an einem Samstag und daher waren nur ganz wenige Kollegen im Bus. So ist auch nicht aufgefallen, dass ich noch hinten saß. Ich bin erst aufgewacht, als der Bus schon wieder auf dem Rückweg in die Stadt war. Ich bin aufgesprungen und der Busfahrer hat mich ganz geschockt angesehen, irgendwas auf Chinesisch gesagt und mich am Straßenrand rausgelassen. Mitten im Nirgendwo. Zum Glück gibt es in China aber die Taxi-App Didi, die chinesische Version von Uber. Damit konnte ich dann ein Taxi rufen und zur Arbeit fahren.
L: Meine lustigste Erfahrung war das Bierfestival in Qingdao. Qingdao oder früher Tsingtao war Anfang des 20. Jahrhunderts eine deutsche Kolonie. Dort musste dann natürlich erstmal eine Brauerei gebaut werden, die bis heute das chinesische Bier Tsingtao braut. Dort findet jedes Jahr im August ein Bierfestival statt, das so ein bisschen vom Oktoberfest abgekupfert ist. Allerdings auf eine sehr chinesische Art und Weise: riesige Ausmaße, chinesisches Essen inklusive Hühnerfüße, Bier in Plastiktüten, 36 °C Außentemperatur und feiernde Chinesen mit nacktem Oberkörper. Das war wirklich lustig mit anzusehen.
T: Unsere seltsamste Erfahrung haben wir in Shanghai am Bund* gemacht. Es war ein sonniger Tag im Frühling und wir sind dort entlang spaziert. An der Seite waren Bänke. Da haben wir uns dann hingesetzt und wollten ein bisschen die Sonne genießen. Ich habe mich dann auf die Bank gelegt. Da kam dann direkt ein Mann auf uns zu, so eine Art Aufpasser, und sagte, man dürfe nicht auf der Bank liegen, sondern nur sitzen. Natürlich konnte er kein Englisch und hat dann versucht uns klar zu machen, dass liegen verboten ist. Warum wissen wir bis heute nicht…
L: Meine spannendste Erfahrung war eine Wanderung bzw. Klettern auf den wilden Abschnitten der Chinesischen Mauer. Diese Teile sind ziemlich zerfallen und es gibt viele lose Steine, Abbruchkanten und Abgründe. Da war schon ein bisschen Nervenkitzel dabei. Den ganzen Tag haben wir nur zwei andere Menschen dort oben getroffen. Kein Wunder, denn die chinesischen Touristen fahren fast ausnahmslos nur zu näher gelegenen renovierten Abschnitten der Mauer mit Seilbahn, befestigten Wegen und Kiosk.
L: Die schlimmste Erfahrung war eindeutig die Flut im Dorf Yangshuo bei Guilin in Südchina. Dort in der Region hatte es Tage und Wochen zuvor heftig geregnet, sodass der Fluss das ganze Dorf innerhalb von nur fünf Stunden überschwemmt hatte und wir waren auf unserer Reise mittendrin. Das Wasser stieg innerhalb von wenigen Stunden so hoch, dass wir teilweise nicht mehr stehen konnten. Da dachten wir, wir müssen hier weg. Unsere Koffer auf dem Kopf tragend haben wir dann versucht, aus dem Dorf durch die Fluten des hereinströmenden Wassers zu waten. Das war ziemlich heftig und teilweise extrem gefährlich. Wenn es einen von uns da weggerissen hätte, daran mag ich gar nicht denken.
Hast du Tipps für Leute, die auch im Ausland arbeiten wollen, insbesondere in China?
T: Wenn man nach China geht, dann sollte man auf jeden Fall versuchen, Sachen nicht so ernst zu nehmen. Man sollte offen auf Dinge zugehen und nicht immer über alles meckern und alles hinterfragen bzw. versuchen zu erklären, warum etwas ist, wie es ist. Einfach die Dinge so hinnehmen und akzeptieren. Du wirst das Land und die Leute nicht ändern können. Das kann man sich abschminken.
L: Ja genau, einfach offen und unvoreingenommen sein, sich mal über den Tellerrand hinauswagen und unbekannte Dinge ausprobieren.
Wie ist es, wenn Freunde und Familie so weit weg sind?
L: Ist natürlich schon etwas blöd, wenn man so weit weg ist und bei Geburtstagen, Feiern und Feiertagen nicht mal eben nach Hause kann. Vor allem an Weihnachten und Ostern, wenn die ganze Familie zusammenkommt und man der einzige ist, der fehlt. Zumal diese westlichen Feiertage in China überhaupt keine Rolle spielen und man an diesen Tagen arbeiten bzw. in die Uni muss. Da vermisst man die Familie schon ganz schön. Am schlimmsten war es an Heiligabend.
T: Allerdings können wir uns glücklich schätzen, dass es heutzutage durch das Internet viel einfacher und fast kostenfrei möglich ist, mit Freunden und Familien in Kontakt zu bleiben. Wenn auch über ein paar Umwege durch die Internetzensur in China. Da WhatsApp während unserer Zeit dort gesperrt wurde, haben sich unsere Familien die chinesische App WeChat heruntergeladen. Dadurch konnten wir dann ganz einfach miteinander kommunizieren, auch wenn es manchmal schwierig war mit der Zeitverschiebung. Da musste man sich immer richtig verabreden zum Telefonieren. Spontane Anrufe gingen da nicht.
Gibt es etwas, das du jetzt nach der Auslandserfahrung an Deutschland schätzt, was du vorher für selbstverständlich gehalten hast?
L: Die Sauberkeit und Ordentlichkeit in Deutschland. Außerdem sauberes Wasser aus der Leitung, saubere Luft und unzensiertes Internet.
T: Ich schätze neben dem, was Lea schon gesagt hat, die deutsche Ordnung. Sich z. B. geregelt anzustellen ohne Vordrängeln. In China gibt es zwar auch Regeln, aber man hält sich meistens nicht daran. Außerdem gibt es in Deutschland nicht so viele schlimme Gerüche, wenn man durch die Stadt läuft.
Kann Deutschland etwas von der chinesischen Arbeitswelt und Kultur lernen?
T: Ich denke, dass Deutsche von Chinesen lernen können, ein bisschen flexibler zu sein. In Deutschland ist alles bis aufs kleinste Detail geregelt und man hat meist nicht viel eigenen Handlungsspielraum und muss sich an die Regeln halten. In China ist man oft flexibler und findet am Ende immer irgendeine Lösung.
L: Ich finde, dass die Deutschen von den Chinesen lernen könnten, ein bisschen gelassener zu sein. Dinge einfach mal hinnehmen, so wie sie sind und nicht alles zu hinterfragen und rumzumeckern.
* DURIAN
Die Durianfrucht wird hauptsächlich in Südostasien angebaut und konsumiert. Sie ist vor allem auf Grund ihres intensiven und außergewöhnlichen Geschmacks und Geruchs bekannt, der bei einigen Konsumenten sehr beliebt ist, während er andere Leute außerordentlich abstößt. Aufgrund der überwiegenden Geruchsbelästigung ist die Mitnahme von Durianfrüchten in Hotels oder öffentlichen Verkehrsmitteln in Südostasien meist strengstens verboten.
* EXPATS
Ein Expatriate (von lateinisch ex ‚aus‘ und patria ‚Vaterland‘), kurz Expat, ist eine zumeist hochqualifizierte Fachkraft, die durch ihren Arbeitgeber für begrenzte Zeit an einen Standort im Ausland entsandt wird. Das Ziel des entsendenden Unternehmens ist häufig ein Know-How-Transfer sowie eine Verbesserung der Kommunikation zwischen den Standorten.
* BUND
Der Bund ist der englische Name der berühmten Uferpromenade in Shanghai, die am westlichen Ufer des Huangpu-Flusses liegt. Umliegend befinden sich europäische Kolonialbauten. Der Bund ist heute einer der wichtigsten Finanzplätze Ostasiens.
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